Kanzler-Kandidatur der Union "Keiner von Rang in der CDU ist für Söder"
Trotz Kanzlerinnen-Rüffel und Parteifreunden, die sich gegen ihn stellen: Laschet habe sehr gute Chancen Kanzlerkandidat zu werden, meint Politologe Korte im tagesschau.de-Interview. Doch die Union müsse sich neu erfinden.
tagesschau.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gestern in der ARD ihren eigenen Parteivorsitzenden Armin Laschet für seine Corona-Politik in NRW kritisiert. Wie stark beschädigt ihn das im Hinblick auf eine mögliche Kanzlerkandidatur?
Karl-Rudolf Korte: Das Interview hat ihn nicht beschädigt. Merkel hat auf die Heterogenität verwiesen, die angesichts des Kampfes gegen das Virus existiert. Insofern sehe ich nicht, dass sie hier primär gegen Laschet agiert hat, sondern sie hat sich grundsätzlich gegen einen zu großen Spielraum der eigenen Corona-Interpretation bei den Bundesländern gewandt.
Karl-Rudolf Korte ist seit 2002 Professor für Politikwissenschaft an der Uni Duisburg-Essen und leitet dort die Forschungsgruppe "Regieren" sowie die "NRW School of Governance". Er gilt als Experte für Parteistrategien, Wahlkämpfe und Wählerverhalten.
tagesschau.de: Einige CDU-Abgeordnete haben sich jetzt öffentlich für CSU-Chef Markus Söder ausgesprochen. Wie stehen Laschets Chancen?
Korte: Ich schätze seine Chancen als sehr gut ein, solange kein Einspruch aus dem Präsidium kommt. Er kann aus dem Machtanspruch eines Bundesvorsitzenden der CDU und des Ministerpräsidenten von NRW heraus das Zugriffsrecht auf dieses Amt ableiten. Und ich glaube auch, dass er damit eine Mehrheit der Union hinter sich bekommt. Man hat nur zwischenzeitlich den Eindruck, dass das Amt des Kanzlerkandidaten der Union vielleicht gar nicht mehr so attraktiv ist. Denn, wie die Dinge aktuell stehen, gibt es keinen Automatismus mehr, dass diese Kandidatur auch wirklich ins Kanzleramt führt.
"Die CDU scheint sehr geeint zu sein"
tagesschau.de: Hat Laschet wirklich genügend Rückhalt in seiner Partei?
Korte: Ich sehe im Moment keinen von Rang in der CDU, der sich offen für Markus Söder ausspricht. Laschet hat sein Integrationsamt sehr ernst genommen. Anders als nach dem Hamburger Parteitag scheint die CDU sehr geeint zu sein. Insofern ist das eingelöst worden, was er vorhatte. Er repräsentiert die Partei insgesamt. Zwar hat er die Partei bisher inhaltlich zu wenig geführt und geformt. Aber das hat er sich vermutlich für die jetzt kommende Zeit vorgenommen, wenn er auch Kanzlerkandidat wird.
tagesschau.de: Die Union will die Frage der Kanzlerkandidatur irgendwann zwischen Ostern und Pfingsten entscheiden. Müsste sie das nicht eigentlich jetzt sofort tun?
Korte: Nein, denn diese offene Frage zieht mediale Aufmerksamkeit nach sich, was kein Nachteil ist. Wir bleiben neugierig darauf, wer das Rennen in der Union macht. Zentral bleibt die Führungserzählung: Für welches Thema brennt der Kandidat in der Unterscheidung zu den anderen Parteien?
"Laschet versucht, sich an die Spitze zu setzen"
tagesschau.de: Wenn Laschet Kanzlerkandidat werden sollte: Ist er der richtige Mann, um die Union wieder an die Regierung zu bringen? Umfragen in der Bevölkerung sehen ja Söder deutlich vorne.
Korte: Diese Umfragen sind eine Momentaufnahme in einer besonderen Phase dieser Pandemie. Wenn wir davon ausgehen, dass wir im September eine geimpfte Republik haben werden und alle schon einmal im Urlaub waren, wird die Lage entspannter sein. Insofern werden Zukunftsthemen, die über den Wahltag hinaus nicht unmittelbar mit Corona zusammenhängen, eine große Rolle spielen. Die Frage wird sein, wer den Vorsorgestaat am besten organisieren kann und dafür die besten Kompetenzen mitbringt.
tagesschau.de: Die CDU hatte heute eine Sonderpräsidiumssitzung einberufen, zunächst war danach nur ein Statement geplant, dann wurde eine Pressekonferenz daraus: War das Laschets Versuch einer Offensive - nach der Kanzlerinnenkritik von gestern?
Korte: Ja, das würde ich so sehen. Es war der Versuch, sich an die Spitze derjenigen zu setzen, die in dieser Pandemie eigene Antworten entwickeln - und zwar aus der CDU-Zentrale und nicht aus den Staatskanzleien. Wer führt, kann gewinnen. Ideal wäre, wenn für die Freiheit geplant würde und nicht immer nur für die Sicherheit.
"Laschet will als CDU-Vorsitzender sichtbarer sein"
tagesschau.de: Ist dieser Versuch denn gelungen?
Korte: Das ist noch schwer zu sagen. Die Wirkung solcher Auftritte zeigt sich ja erst mit einiger Zeitverzögerung. Dass Laschet überhaupt in die Offensive gegangen ist, zeigt, dass er Bedarf sieht, als CDU-Vorsitzender und nicht nur als Ministerpräsident sichtbarer zu sein und auch Gegenakzente zu setzen.
tagesschau.de: Morgen beginnt der Prozess der Entwicklung des CDU-Wahlprogramms: Was erwarten Sie sich davon?
Korte: Das kommt zum richtigen Zeitpunkt. Es wird aber nicht ausreichen, einen Werkzeugkasten auszupacken und Reparaturarbeiten am Wohlfahrtsstaat zu bieten, sondern man muss schon grundsätzlicher klarmachen, dass es um eine Führungserzählung geht und eine Staatsreform, die offenbar ansteht. So wie damals Roman Herzog sagte: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen."
Die Union müsste also dazu anleiten, das Land zu modernisieren und diesen Prozess mit Erfahrung und Kompetenz, mit Maß und Mitte zu begleiten. Das erwartbare Sicherheitsversprechen an die Wählerinnen und Wähler der Union bedarf einer ergänzenden Transformationsgeschichte.
"Wer diesen Weckruf nicht hört, braucht nicht anzutreten"
tagesschau.de: Wird dieser Auftakt der CDU den Rückenwind bringen, den sie braucht, um aus dem jetzigen Tief zu kommen?
Korte: So muss sie das zumindest anlegen. Die CDU ist weit genug vom Wahltermin im September entfernt, um eine Mobilisierungsoffensive zu starten. Der Schlafwagen-Modus scheint durch die schlechten Umfragen durchkreuzt. Und wer diesen Weckruf nicht hört, braucht am Ende gar nicht mehr anzutreten.
Jede Regierung hat Lebenskurven. Der Countdown des Machtverfalls ist nach so vielen Jahren nur schwer aufzuhalten. Wenn sich die Union neu vor dem Wahltag erfinden möchte, kann sie das nur mit neuem Personal und einem spektakulären Programm.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.