Beratungen in Brüssel Länderchefs geschlossen für Industriestrompreis
Die Länderchefs sind sich einig: Industrieunternehmen sollen für gewisse Zeit einen niedrigeren Strompreis zahlen und so entlastet werden. Doch so geschlossen wie die Ministerpräsidenten zeigt sich die Ampelkoalition nicht.
Auf ihrem Treffen in Brüssel haben sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten in einer gemeinsamen Erklärung geschlossen für die Einführung eines zeitlich befristeten günstigeren Strompreis für Unternehmen mit hohem Energieverbrauch ausgesprochen. Das berichtet die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf die Erklärung der Länderchefs.
Ganz bewusst wollten die Länderchefs nicht mehr von einem "Industriestrompreis" sprechen, sondern von einem "Brückenstrompreis", betonte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz innehat. Denn die Forderung der Länder sehe vor, dass betroffene Betriebe eine Übergangszeit überbrücken müssten, bis genügend Strom aus erneuerbaren Energiequellen zur Verfügung stehe. Dafür müssten diese Unternehmen staatliche Unterstützung erhalten.
Ohne diese Unterstützung seien Konzerne, die besonders viel Energie bräuchten und international aktiv seien, nicht mehr wettbewerbsfähig, betonte der SPD-Politiker: "Wir reden da über Stahl und Chemie, wir reden über Kupfer und Aluminium, über Glas, Keramik, Zement und noch etliche andere Industriezweige mehr." Diesen Branchen drohe ein "sehr, sehr großer Schaden" und diese Sorge hätten die Länderchefs in Brüssel auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen "sehr eindringlich" mitgeteilt.
Wüst macht Druck auf Bundesregierung
Auch in ihrer "Brüsseler Erklärung" warnen die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, die infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gestiegenen Energiekosten stellten ein akutes Hemmnis für die Erholung der Konjunktur und die Rückkehr der Industrieproduktion auf Vorkrisenniveau dar. Gerade darum müsse eine Lösung her, forderte Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst - und zwar "so schnell und so wirkungsvoll wie möglich".
Die Verantwortung, eine solche Lösung auf den Weg zu bringen, sieht Wüst bei der Bundesregierung, wie er im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF betonte. Nicht die EU zögere bei der Entscheidung über einen verringerten Strompreis. "Die EU-Kommission kann sich nur mit Dingen auseinandersetzten, die die Nationalstaaten von ihr wollen, nämlich in dem Fall die Genehmigung eines Industriestrompreises", sagte Wüst und fügte hinzu: "Ob Deutschland den will, das entscheidet die Bundesregierung. Die streitet, mal wieder."
Die offene Frage nach der Finanzierung
Tatsächlich ist die Haltung der Ampelparteien bezüglich eines Industriestrompreises gespalten. Die Grünen - allen voran Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck - befürworten ihn, ebenso wie die SPD-Fraktion. Die FDP lehnt den Vorschlag ab und auch Bundeskanzler Olaf Scholz gab sich zuletzt skeptisch, müsse doch zunächst die Frage der Finanzierung geklärt werden.
Auch CDU-Politiker Wüst hatte auf die Frage, wie ein Industriestrompreis finanziert werden soll, keine direkte Antwort - auch das sei Sache der Ampelkoalition. Er betonte aber ausdrücklich: "Teurer als all das, was gerade diskutiert wird, wäre nur, nichts zu tun." Das würde jeden Monat Industriearbeitsplätze kosten und hohe Investitionssummen in Zukunftstechnologien gingen verloren.
In einem Brief an Kanzler Scholz hatte auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, seine Sorgen über den Wirtschaftsstandort Deutschland betont. Er bekräftigte seine Forderung, dem entgegenzusteuern. Dazu zähle, den Spitzenlastenausgleich bei der Stromsteuer nicht zu streichen sowie wirksame Hilfsinstrumente für die energieintensive Industrie wie einen Industriestrompreis einzuführen.
Dreyer: Industriestrompreis allein reicht nicht aus
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer warnte jedoch, ein befristet günstigerer Strompreis werde angesichts enormer Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen aufgrund hoher Energiekosten und vor dem Hintergrund großer Subventionsprogramme bei Mitbewerbern in China und den USA nicht ausreichen.
"Ähnlich wie im Deutschland-Pakt, den Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufen hat, brauchen wir einen Europa-Pakt", betonte die SPD-Politikerin. Es brauche ebenso einen Abbau von Bürokratie, weniger Hürden im Vergaberecht und weniger Auflagen im Beihilferecht im europäischen Binnenmarkt. "Das ist wichtig, um Zukunftstechnologien in Europa zu entwickeln", betonte Dreyer.
Grünen-Fraktion lädt zur gemeinsamen Debatte
Bundeswirtschaftsminister Habeck begrüßte die geschlossene Unterstützung der Länderchefs für das Konzept des Industriestrompreises ausdrücklich - vor allem die Zustimmung der CDU-Ministerpräsidenten.
Habecks Parteikollegin und Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katharina Dröge, hat eigenen Angaben zufolge eine Einladung an alle Fraktionen ausgesprochen, um über die vorübergehende Subventionierung der Stromkosten für energieintensive Unternehmen zu sprechen. Die Debatte über einen Industriestrompreis nannte sie erneut richtig.