Brief an Spitzenpersonal Grüne Parteibasis "erschüttert" über Asylkurs
Von "Abschreckung und Abschottung" ist die Rede: Vor den Beratungen zur EU-Asylrechtsreform kritisieren mehr als 700 Grüne den Kurs der Bundesregierung scharf. Mit einem Brief machen sie Druck auf die Parteispitze.
Die parteiinterne Kritik der Grünen an den Plänen zu einer EU-Asylrechtsreform und an der Haltung der Parteispitze wird vor dem für Donnerstag geplanten Innenministertreffen in Brüssel lauter.
Einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" zufolge wurde am Abend ein von rund 730 Parteimitgliedern unterzeichnetes Schreiben unter anderem an Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Familienministerin Lisa Paus versandt, in dem die Parteibasis einen Kurs der "Abschreckung und Abschottung" und Pläne zu einer "massiven Beschneidung des Asylrechts" beklagt. Der Brief liegt auch dem ARD-Hauptstadtstudio vor.
Unter den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern sind den Angaben zufolge unter anderen die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, die Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, der frühere Botschafter Deutschlands in Pakistan, Martin Kobler, und Grüne-Jugend-Co-Chef Timon Dzienus. Adressaten sind auch die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katharina Dröge und Britta Haßelmann.
In dem Brief heißt es laut "Spiegel", die Verhandlungssituation in Brüssel sei "sicherlich schwierig" und man sei sicher, "dass ihr für die Umsetzung des Koalitionsvertrags kämpft". Die Pläne der EU-Kommission zu einer Asylreform seien aber nicht vom Koalitionsvertrag der "Ampel"-Koalition aus SPD, Grünen und FDP gedeckt.
"Hegemonie in der Debatte zurückgewinnen"
Die "deutsche Verhandlungsposition" zu diesem Punkt sei "schwer nachvollziehbar", heißt es in dem Schreiben. "Wir erwarten nicht, dass sich die schwierige Lage in der europäischen Asylpolitik von heute auf morgen ändert. Aber wir erwarten, dass ihr gemeinsam mit viel Rückenwind aus der Partei, Zivilgesellschaft und der Wissenschaft dazu beitragt, dass Populismus nicht in Gesetzesform gegossen wird und wir die Hegemonie in der Debatte zurückgewinnen", zitiert der "Spiegel" weiter.
Berichte über die Prioritäten der Bundesregierung hätten die Verfasserinnen und Verfasser des Briefs "erschüttert", heißt es: "Die Ausweitung sicherer Drittstaaten, schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems sind nur einige der Rechtsverschärfungen, die in der vorgeschlagenen Reform des Asylsystems angelegt sind."
Grenzverfahren als "rechte Nebelkerze"
Die Bundesregierung soll sich nach dem Willen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unter anderem dafür starkmachen, dass Asylzentren an den EU-Außengrenzen eingerichtet werden, um bereits dort eine Vorprüfung der Asylbegehren vieler Menschen zu treffen. Minderjährige unter 18 Jahren und Familien mit Kindern sollen diese Verfahren nicht durchlaufen müssen.
Grüne-Jugend-Chef Dzienus sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", Faesers Pläne seien "unmenschlich und eine rechte Nebelkerze". Er erwarte von den grünen Bundesministern, dass diese "sich klar gegen Außengrenzverfahren stellen". Außenministerin Baerbock hatte die Grenzverfahren zwar als hochproblematisch bezeichnet - der EU-Kommissionsvorschlag sei aber die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem "geordneten und humanen Verteilungsverfahren" zu kommen.
Die EU-Innenministerinnen und -minister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems.