Robert Habeck und Annalena Baerbock halten beim kleinen Parteitag der Grünen Blumen in den Händen.
analyse

Kleiner Parteitag der Grünen Emotionaler Abschied und viel Ungewissheit

Stand: 06.04.2025 20:23 Uhr

Den Tränen nah hat sich Vizekanzler Habeck aus der ersten Reihe der Grünen verabschiedet. Mit ihm und Baerbock knackte die Partei einst Umfragerekorde. Doch nun müssen die Grünen in ihre neue Rolle finden.

Von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Ein spöttisches Lächeln - so hat man Robert Habeck zuletzt häufig gesehen, etwa im Bundestag. Das wirkte distanziert, ein Noch-Minister am Spielfeldrand. Ganz anders ist nun der Moment, als Habeck in seiner Partei wirklich Abschied von der großen Bühne nimmt: zittrige Stimme, den Tränen nah. Er ringt um Fassung und ruft zum Schluss: "Es war mir eine Ehre!"

Wie geht es weiter für die Grünen? Robert Habeck und Annalena Baerbock hatten die Partei zu neuen Umfragerekorden und in die Ampelregierung geführt. Nun ist die Partei im Bund wieder in der Opposition, im Osten aus zwei Landtagen geflogen - und in den Umfragen inzwischen gleichauf mit der Linken. Eine Gefahr für die Grünen, denn beiden Parteien kämpfen um ähnliche, oft städtische Milieus.

"Das Bullshit-Bingo mitgespielt"

Die Grünen wollen "die führende Kraft der linken Mitte" werden, so definieren sie ihre Oppositionsrolle im Leitantrag, der auf dem Länderrat in Berlin angenommen wurde. Die großen Richtungsdebatten bleiben erst einmal aus.

Nur in der Migrationsfrage gibt es auf dem Kleinen Parteitag heftige Kritik am Habeck-Kurs im Wahlkampf: Man habe "das Bullshit-Bingo mitgespielt", sagt Svenja Borgschulte aus dem Landesverband Berlin in ihrer Rede. "Was zur Hölle muss noch passieren, damit diese Partei sich eingesteht, dass der aktuelle Kurs nicht aufgeht?", fragt Jakob Blasel, der Chef der Grünen Jugend, sichtlich aufgebracht am Mikro.

"Der Drang nach Zerfleischung ist sehr gering"

Dennoch überwiegt in grünen Kreisen diese Einschätzung: "Der Drang nach innerparteilicher Zerfleischung ist sehr gering", so sagt es Paula Piechotta, Bundestagsabgeordnete aus Sachsen. Dort spüren die Grünen den Gegenwind noch viel heftiger als anderswo.

Die Ostgrünen hatten auf viele Debatten der vergangenen Jahre einen anderen Blick, wie Piechotta schildert: Schon 2022 hätten sie in der Partei gefordert, "dass wir Frieden als Ziel der Ukraine-Unterstützung und die vielen diplomatischen Initiativen, die es ja immer auch gab und gibt, stärker miterzählen müssen". Gerade im Osten spürte sie ein Fremdeln mit den vielen Debatten um Waffengattungen. Selbst CDU und SPD treten hier deutlich skeptischer in der Ukraine-Frage auf. Die Grünen waren in den politischen Debatten im Osten fast allein mit ihrer Position.

Ein eigenes Ost-Kapitel im Leitantrag

Im Beschluss gibt es nun ein extra Ost-Kapitel, in dem den Landesverbänden etwa finanzielle Hilfe versprochen wird. Der Leitantrag sei zumindest als Symbol wichtig, findet Piechotta: "Wir erkennen als Partei an, dass man jetzt nicht den Osten am langen Arm verhungern lassen kann." Im Herbst soll es eine Art Ost-Festival oder einen Kongress geben, mit dem die Grünen ihre Sichtbarkeit erhöhen wollen. Noch offen ist, welche ostdeutschen Grünen es in Spitzenämter, etwa der Fraktion, schaffen könnten - und ob das reicht, um als Grüne spürbar auch Ostperspektiven zu vertreten.

Viel wichtiger ist vielleicht die Erkenntnis, für die auch Paula Piechotta in der Partei wirbt: "Gesamtdeutschland wird gerade dem Osten immer ähnlicher", sagt sie. "Eine AfD, die fast so stark ist wie die CDU, Sperrminoritäten von AfD und Linken - viele ostdeutsche Realitäten sind schneller als erwartet auf Bundesebene angekommen." Wer es im Osten schafft, der schafft es überall - das ist die Analyse, die aus grüner Sicht ein Alarmsignal sein muss.

Es gab auch grüne Erfolgsgeschichten

Doch die vergangenen Monate brachten nicht nur enttäuschende Wahlergebnisse und den Verlust der Regierungsbeteiligung. Es gab auch grüne Erfolgsgeschichten: Zehntausende neue Mitglieder wurden gewonnen. Über 160.000 Grüne gibt es nun - etliche davon kamen im Habeck-Wahlkampf. Ihnen will und muss man nun, da die Habeck-Euphorie vorbei ist und ihr Idol abtritt, etwas bieten.

Die Parteispitze strebt dafür eine Strukturreform an. Das Ziel sei, dass Mitglieder stärker mitwirken können. Das sei "auch etwas für alle, die keine Zeit haben, am Wochenende zu Bundesarbeitsgemeinschaften der Grünen zu fahren oder sich in den Stadtrat wählen zu lassen", kündigt Parteichef Felix Banaszak an. Es gehe um eine "permanente Kampagnenfähigkeit" der Grünen. Das heißt auch: Online soll es ein beständiges grünes Grundrauschen geben.

Aber Banaszak betont zugleich: "Das Macht- oder Entscheidungszentrum der Partei muss sich auch in den Strukturen zeigen." Das ist ungewöhnlich für eine Partei, die eigentlich eher skeptisch gegenüber Machtzentren ist und seit 1980 Amt und Mandat trennt. Mehr Macht für Einzelne, weniger Skepsis vor Entscheidungszentren - vielleicht ist das dann ein ganz pragmatisches Erbe aus der Realo-Ära um Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 06. April 2025 um 17:45 Uhr.