Illegale Einreise nach Deutschland Warum nur an einer Grenze kontrolliert wird
Anders als an der Grenze zu Österreich gibt es an der Grenze zu Polen keine festen Kontrollen. Dabei kommt es hier zu den meisten illegalen Einreisen.
Die steigende Zahl von Asylsuchenden in Deutschland hält eine Debatte über die Ausweitung von festen Grenzkontrollen am Laufen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat diese an der Grenze zu Österreich um ein halbes Jahr verlängert. An der Grenze zu Polen lehnt sie stationäre Kontrollen aber bislang ab.
Dass Faeser stattdessen auf verstärkte Schleierfahndungen im deutsch-polnischen Grenzgebiet setzt, genügt der CDU nicht. Sie spricht von einer "Scheinlösung". Das Argument dahinter: Durch Kontrollen könnten mehr Menschen nach Polen zurückgewiesen werden - und würden dann nicht in Deutschland ein Asylverfahren beginnen.
Hauptroute hat sich verschoben
Zurückweisungen sind rechtlich umstritten. Aber auch das SPD-geführte Innenministerium will illegale Migration nach eigener Aussage "bekämpfen". Und die findet vor allem über die Grenzen zu Österreich, der Schweiz, Polen und Tschechien statt. Seit 2022 liefen mehr als drei Viertel der erfassten unerlaubten Einreisen über diese Grenzen. Das geht aus Zahlen der Bundespolizei hervor.
Die Übertritte nahmen zuletzt zu, besonders über Polen. In diesem Jahr ist es das wichtigste Transitland, noch vor Österreich. Von den rund 5300 illegalen Einreisen in der vorläufigen Statistik für April entfiel etwas weniger als die Hälfte auf die deutsch-polnische Grenze.
In einem Schreiben an die EU-Kommission bezeichnete Bundesinnenministerin Faeser dennoch die Einreise über den südlichen Nachbarn weiterhin als "Hauptroute illegaler Migration nach Deutschland". Mit dem Brief, aus dem das ARD-Hauptstadtstudio zitierte, verlängerte Faeser ebenfalls im April die Kontrollen zu Österreich.
Bund und Länder hatten zudem Mitte Mai vereinbart, dass lageabhängig auch Kontrollen an weiteren Grenzen eingeführt werden können. Also auch zu Polen oder zur Schweiz und Tschechien, wie es die CDU fordert.
Aus welchen Gründen sich die Lageeinschätzung bei Polen und Österreich konkret unterscheidet, lässt das Bundesinnenministerium auf Anfrage von tagesschau.de unbeantwortet. Man beobachte die Lage "sorgfältig", sehe aber die vorübergehende Einführung von Grenzkontrollen generell "weiterhin als ultima ratio an", erklärt ein Sprecher.
Beeinträchtigungen durch Kontrollen eher gering
Faeser hatte in der Vergangenheit auch vor Beeinträchtigungen des Grenzverkehrs durch stationäre Kontrollen gewarnt. In Bayern ist die Landesregierung derweil zufrieden mit den dortigen Kontrollen. CSU-Innenminister Joachim Herrmann begrüßte deren erneute Verlängerung. Wohl auch, weil sich deren Auswirkungen im Rahmen halten.
Die österreichische Autobahngesellschaft ASFINAG weist auf ihrer Website die jeweils aktuellen Wartezeiten aus. Demnach müssen Autofahrer an den Autobahn-Grenzübergängen nach Deutschland oft keine fünf Minuten warten. Die Kontrollen erfolgen nur stichpunktartig. Am späten Donnerstagabend dauerte es allerdings zwischen Salzburg und Rosenheim 30 Minuten länger.
Größere Staus gab es im vergangenen Jahr, als Deutschland die Kontrollen wegen des anstehenden G7-Gipfels verstärkte. Der ADAC warnt aktuell, dass Einreisende "in den Spitzenzeiten der Hauptreisezeit" eine halbe Stunde oder mehr warten könnten. Aus Österreich fordert die SPÖ deshalb ein Ende der deutschen Kontrollen.
Umstritten ist, ob die Bundespolizei dauerhaft Kontrollen an einer zweiten oder dritten Grenze leisten kann. Kritisch zeigt sich etwa die Gewerkschaft der Polizei, die GdP. Sie hat in den vergangenen Monaten mehrfach personelle Verstärkung gefordert. Der Berlin-Brandenburger GdP-Vorsitzende, Lars Wendland, sagte dem rbb, es fehle zudem an Containern und IT-Infrastruktur.
Wendland hält die jetzt verstärkten Schleierfahndungen für effektiver als Grenzkontrollen. Für Schleuser seien sie weniger ausrechenbar. Und Schleuser zu fassen, ist das zweite wichtige Ziel aller Maßnahmen.
Nicht automatisch mehr Zurückweisungen
Bislang wirken sich Kontrollen und Zurückweisungen nur bedingt auf die Asylbewerberzahlen aus. Im ersten Quartal 2023 wurden in Deutschland rund 57.700 Asylsuchende und rund 102.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Weniger als zehn Prozent der Asylanträge entfielen auf Personen, die nach einer illegalen Einreise aufgegriffen wurden.
Dem gegenüber stehen rund 4700 Zurückweisungen. Neben Afghanen und Syrern werden vor allem Menschen aus Balkanstaaten, Indien oder nordafrikanischen Ländern zurückgewiesen, darunter auch minderjährige Unbegleitete. Die Zurückweisungen erfolgten fast ausschließlich an den Grenzen zu Österreich und der Schweiz. An Letzterer gibt es allerdings keine Grenzkontrollen.
Deshalb ist mindestens fraglich, ob mehr Kontrollen auch zu mehr Zurückweisungen führen würden. Denn es hängt nicht davon ab, bei welcher Maßnahme ein Mensch aufgegriffen wird, sondern davon, ob er den Wunsch auf Asyl äußert und ob er bereits in einem anderen EU-Land registriert ist. Eine hohe Zahl der an der deutsch-polnischen Grenze gestoppten Menschen war nicht in Polen oder anderswo registriert. Und Betroffene landeten mitunter trotz Zurückweisung noch in einem deutschen Asylverfahren.
Im Mai warfen zudem mehrere Menschenrechtsorganisationen der Bundespolizei sogenannte Pushbacks nach Österreich vor. In mindestens sechs Fällen Ende 2022 sollen Menschen aus Deutschland dorthin gebracht worden sein, obwohl sie vorher einen Asylwunsch geäußert hätten. Das wäre ein Rechtsbruch. Die Bundespolizei bestreitet ein solches Vorgehen.
Steuerung von Migration auf europäischer Ebene
In der SPD teilen nicht alle den Kurs ihrer Parteifreundin und Bundesinnenministerin. Es gibt durchaus auch Befürworter weiterer Grenzkontrollen. Dazu gehört etwa Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann, stellt sich gegenüber tagesschau.de hingegen an die Seite von Nancy Faeser. Sowohl die Schleierfahndung als auch stationäre Grenzkontrollen dienten der Lageeinschätzung. Eine Steuerung von Migration erfolge aber nicht an den Binnengrenzen, "sondern muss an den Außengrenzen der EU und bei der Verteilung von Asylsuchenden unter den Ländern geschehen", sagte Hartmann.
Ähnlich argumentiert das BMI. Die Grundlinie der Bundesregierung sei es, "irreguläre Migration zu begrenzen und legale Migrationswege zu ermöglichen", so der Sprecher. Dafür brauche es eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.
Am Donnerstagabend beschlossen die EU-Innenminister mit Zustimmung von Faeser eine Verschärfung des europäischen Asylrechts. Ob die Reform in der Form kommt, hängt von weiteren Beratungen mit dem EU-Parlament ab. Und so werden die Grenzkontrollen bei der deutschen Innenministerkonferenz ab kommenden Mittwoch wieder Thema sein.