Streit im Vermittlungsausschuss Wo es beim Ganztags-Anspruch hakt
Es ist der letzte Versuch, das Großprojekt der Großen Koalition zu retten: Der Vermittlungsausschuss ringt heute Abend um einen Kompromiss bei dem Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung. Was sind die Streitpunkte, wie könnte eine Lösung aussehen?
Warum soll es einen Rechtsanspruch geben?
Ziel ist es, durch eine Betreuung von Grundschulkindern auch am Nachmittag, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Union und SPD hatten daher vor vier Jahren in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, den Rechtsanspruch einzuführen, um Eltern zu entlasten. Zudem wäre auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern geholfen, weil dem Arbeitsmarkt so mehr Fachkräfte zur Verfügung stünden. Argumentiert wurde auch mit besseren Bildungschancen für Kinder, wenn diese nach Schulschluss gut betreut würden, statt unbeaufsichtigt vor dem Fernseher oder dem Handy zu sitzen, wie es die ehemalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) formulierte.
Wie soll das konkret umgesetzt werden?
Jedes Kind, das ab dem Sommer 2026 eingeschult wird, soll in den ersten vier Schuljahren Anspruch auf einen Ganztagsplatz bekommen - für mindestens acht Stunden an Wochentagen. Zudem soll Einrichtungen im ganzen Jahr maximal vier Wochen Schließzeit erlaubt bleiben - und nur während der Ferien. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums sind schon jetzt mehr als die Hälfte der 2,8 Millionen Grundschulkinder in einer Ganztagsbetreuung - in einigen Bundesländern, vor allem im Osten, sogar mehr als 90 Prozent. Für die Erfüllung des Rechtsanspruchs müssten nach ursprünglichen Schätzungen noch einmal zwischen 800.000 und einer Million zusätzliche Plätze geschaffen werden.
Wo hakt es?
Hauptstreitpunkt ist die Finanzierung: "Wer bestellt, muss auch bezahlen", heißt es aus den Ländern. Demnach soll der Bund, wenn er ein Gesetz für den Rechtsanspruch auf den Weg bringt, auch dafür sorgen, dass für die Umsetzung genug Geld zur Verfügung steht. Um eine Ganztagsbetreuung zu ermöglichen, müssten viele Grundschulen umgebaut und erweitert werden, zudem fallen laufende Betriebs- und Personalkosten an. Gerechnet wurde bisher mit Investitionskosten von 7,5 Milliarden Euro, wovon der Bund 3,5 Milliarden übernehmen will. Für die laufenden Betriebskosten dürften jährlich 4,5 Milliarden anfallen, daran will sich der Bund mit knapp einer Milliarde beteiligen.
Die Länder pochen nun darauf, dass der Bund seine Anteile erhöht. Die Länder, die noch viele Plätze schaffen müssten, um den Rechtsanspruch zu erfüllen, verhandeln härter, beispielsweise Baden-Württemberg. Andere Länder, zum Beispiel Thüringen, haben bereits einen Rechtsanspruch umgesetzt. Sie müssen damit zwar weniger investieren, können nach all der Vorarbeit das Geld vom Bund aber auch gut gebrauchen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Klar ist, dass der Einigungsdruck hoch ist - zumal sich in Wahlkampfzeiten keiner ein Scheitern leisten will. Zudem geben neue Zahlen des Deutschen Jugendinstituts Hoffnung, dass es doch nicht so teuer werden könnte, wie ursprünglich geplant. Das Institut schätzt, dass für einen Rechtsanspruch weniger neue Ganztagsplätze geschaffen werden müssen: Statt bis zu einer Million zusätzlicher Plätze könnten es nur 600.000 sein, was auch die angenommenen Kosten deutlich drücken würde. Möglicherweise haben sich dadurch neue Verhandlungsspielräume eröffnet.
Welche Szenarien sind denkbar?
Wenn der Vermittlungsausschuss zu einer Einigung kommt, müsste diese noch einmal von Bundestag und Bundesrat bestätigt werden. Im Bundestag könnte das an diesem Dienstag - bei der vorerst letzten Sitzung vor der Bundestagswahl passieren. Der Bundesrat kommt das nächste Mal am 10. und am 17. September zusammen und könnte dann seine Zustimmung geben. Gibt es keine Einigung im Vermittlungsausschuss, droht das Ganztagsgesetz der sogenannten Diskontinuität zum Opfer zu fallen: Das bedeutet, dass Gesetze, die in einer Wahlperiode nicht abschließend beraten werden konnten, dann verfallen.
Mit Material von dpa