Auf einem Smartphone ist die geöffnete App "Das E-Rezept" zu sehen, während im Hintergrund eine Apothekerin in einer Apotheke an einem Regal steht.
FAQ

Digitalisierung Was bringt das papierlose Rezept?

Stand: 01.09.2022 12:29 Uhr

Öfter angekündigt, immer wieder verzögert: Nun startet das papierlose Rezept in zwei Modellregionen. Wo läuft das Verfahren nun an, was bringt es - und wann kommt es für alle?

Von Corinna Emundts, ARD-aktuell

Die erste Testphase für E-Rezepte läuft seit fast einem Jahr. Jetzt geht es weiter auf diesem Weg: Heute soll ein schrittweiser Start des E-Rezepts anlaufen - zunächst bei Praxen und Kliniken in der Region Westfalen-Lippe und bei Zahnärzten in Schleswig-Holstein. Ab heute sollten zudem bundesweit Apotheken E-Rezepte annehmen können. Wer statt des rosa Zettels also den digitalen Code vorlegt, bekommt das Medikament. Aber noch nicht alle Arztpraxen stellen sie aus, auch für die Patienten und Patientinnen ist noch längst nicht alles geklärt.

Wie funktioniert das elektronische Rezept (E-Rezept)?

Das E-Rezept löst die ärztliche Verordnung eines apothekenpflichtigen Arzneimittels ab, das bisher auf rosa Papier gedruckt wurde. Es hat den Rechtsstatus einer Urkunde - eine Fälschung würde als Straftatbestand gelten. Darüber hinaus dient das Rezept als Abrechnungsdokument der Apotheke gegenüber den Krankenkassen. Das E-Rezept gehört neben der elektronischen Patientenakte zu den wichtigsten Anwendungen der Telematik-Infrastruktur (TI). So wird das geschützte Netzwerk genannt, über das Apotheken, Arztpraxen und andere Beteiligte des deutschen Gesundheitswesens kommunizieren. Dort werden die E-Rezept-Daten verschlüsselt auf Servern gespeichert. Nur berechtigte Personen können die Codes dort entschlüsseln, also die Versicherten selbst, Ärzte und Apotheken.

Für den flächendeckenden Einsatz bräuchten auch alle Arztpraxen eine entsprechende Software - die ohnehin bereits stark digitalisierten Apotheken haben diesen Schritt schon getan und stehen laut Apothekenverband ABDA nahezu vollständig bereit. E-Rezepte sind derzeit für die rund 73 Millionen gesetzlich Versicherten möglich, nicht aber für Mitglieder einer privaten Krankenkasse.

Mitte 2021 hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) anhand von Gutachten zum Datenschutz die generelle Sicherheit des E-Rezepts bestätigt. Schließlich werden die Daten verschlüsselt auf Servern der Telematikinfrastruktur gespeichert und sind nicht so ohne weiteres auslesbar.

Wo läuft die neue Verschreibungsart von Medikamenten an?

Zwar sind ab dem 1. September Apotheken bundesweit in der Lage, solche Rezepte anzunehmen. Aber es fehlt noch an ausstellenden Ärztinnen und Ärzten. Flächendeckend geht es derzeit nur in den Arztpraxen in der Region Westfalen-Lippe. Der kassenärztliche Verband der zweiten Pilot-Region Schleswig-Holstein ist wegen Datenschutzbedenken kurzfristig wieder ausgestiegen: Dort sind es bisher nur noch die Kassenzahnärzte, die bereits E-Rezepte ausstellen wollen. Andere Bundesländer sollen nach und nach dazukommen.

Wer gab den Impuls für digital ausgestellte Rezepte?

Bereits in der Vorgänger-Bundesregierung gab es diesen Plan. Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die elektronische Gesundheitskarte als eines der wichtigsten Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen angekündigt. Verschiedene Gesetzesänderungen zwischen 2019 und 2020 ebneten dafür den Weg und legten den Starttermin ursprünglich schon auf den 1. Januar 2022 fest. Zum 1. Juli 2021 sollte eine bundeseinheitliche Rezept-App dafür vorgelegt werden. Beauftragt wurde damit die halbstaatliche Gematik GmbH, die für ein sicheres Datennetzes im deutschen Gesundheitssystem sorgen soll. Zum Jahreswechsel 2021/22 sollte das Vorhaben also bereits starten.

Der amtierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) befürwortet das Vorhaben, verschob jedoch den allgemeingültigen Start - und verlängerte die Testphase mit der Begründung, "damit Praxen, Apotheken, Krankenkassen und Softwareanbieter noch mehr Erfahrung mit dem E-Rezept sammeln".

Weshalb kam es zu Verzögerungen?

In der Ärzteschaft und unter Kassen hatte es starke Bedenken gegeben, ob das Verfahren bereits ausgereift genug sei. Mitte Dezember hatten sich die Chefs der größten gesetzlichen Krankenkassen an Lauterbach gewandt und davor gewarnt, dass das E-Rezept noch nicht startreif sei. Trotz der verlängerten regionalen Testphase seien damals nicht einmal 50 E-Rezepte ausgestellt worden, "und selbst diese wenigen E-Rezepte konnten teilweise nicht bis zur Abrechnung mit den Krankenkassen geführt werden", so die Kassenchefs in einem Schreiben an den Minister. "Zwingend notwendige Massentests fanden nicht statt. Damit ist die Voraussetzung für eine flächendeckende Einführung eines erprobten E-Rezepts nicht gegeben." Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz wiederum reagierte verärgert über die Verzögerung: Es sei "gerade die Ärzteschaft, die gern an alten Zöpfen zu Lasten der Patientinnen und Patienten festhält".

Dem Hausärzteverband jedoch geht die Einführung des E-Rezepts nicht schnell genug: "Es ist beim besten Willen nicht nachvollziehbar, warum etwas, das in anderen europäischen Ländern seit Jahren problemlos und datenschutzkonform funktioniert, in Deutschland anscheinend ein Ding der Unmöglichkeit ist", sagte dessen Vorsitzender der "Rheinischen Post".

Für Praxen bedeutet die Umstellung auf E-Rezepte recht hohe Investitionskosten in die Software, die auch regelmäßig mit Folgekosten erneuert werden müsse.

Welche Vorteile bietet das E-Rezept?

Wenn die Pilotphase überwunden ist, könnte es für Versicherte einfacher werden, zu ihren Arzneimitteln zu kommen - Fahrwege zu Arztpraxen und Apotheken könnten teilweise wegfallen. Mit dem E-Rezept kann man Medikamente bei Apotheken vorbestellen oder sich liefern lassen. Dies wäre gerade für chronisch Kranke eine große Erleichterung, die auf dauerhafte Medikamentierung angewiesen sind. Aber auch für Bettlägerige, Pflegebedürftige oder Eltern von kranken Kindern, die nicht so ohne weiteres das Haus verlassen können, wäre das neue Verfahren eine Hilfe. Auch in ländlichen Regionen, in denen Wege zu Apotheken und Arztpraxen lang sein können, würde das E-Rezept helfen. Zudem können Folgerezepte im gleichen Quartal ohne erneuten Arztbesuch über die zum E-Rezept gehörige Gematik-App bestellt werden. Bei Videosprechstunden kann es Prozesse erleichtern, weil nichts mehr auf Papier per Post geschickt werden muss. Und wenn Diagnosen und Rezepte gleich in der (freiwillig angelegten) elektronischen Patientenakte landen, behalten alle den Überblick.

Noch sei man jedoch von einem reibungslosen Funktionieren meilenweit entfernt, kritisiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Im Moment dauere es für die Arztpraxen viel zu lange, die E-Rezepte samt elektronischer Signatur auszustellen. Und da viele Versicherte nicht die technischen Möglichkeiten haben, werde der digitale Code dann doch meistens ausgedruckt. Von der Testphase ist es also noch ein Stück bis zum Normalbetrieb, damit das E-Rezept wirklich Papier und Aufwand spart.

Welche Voraussetzungen brauchen Versicherte, um E-Rezepte nutzen zu können?

Bisher ist es etwas kompliziert: "Man muss es wirklich wollen", heißt es unter Experten. Wer das E-Rezept nutzen will, braucht dafür eine spezielle App und zusätzlich die elektronische Gesundheitskarte mit sogenannter NFC-Funktion und sechsstelliger Zahl von der Krankenkasse. Die NFC-Funktion braucht es zur Datenübertragung. Allein diese Karte zu beantragen, ist nicht trivial. Zusätzlich braucht es eine PIN, die man nur nach persönlicher Identifizierung - etwa per Video - von der Kasse erhält. Besitzerinnen und Besitzer neuerer Gesundheitskarten haben das Problem nicht: Die neue Generation der Gesundheitskarten mit NFC-Funktion wird seit 2019 von den Kassen als Standard ausgegeben.

Die App der Firma Gematik wiederum erfordert Handys neuerer Generationen, über die nicht jeder verfügt. Die App heißt "Das E-Rezept", ist kostenlos in allen gängigen App-Stores verfügbar - und wurde laut Gematik bisher rund 320.000 Mal heruntergeladen. Doch auch dort muss man sich kompliziert einloggen. In der Gesundheitsbranche geht man derzeit deswegen nicht davon aus, dass es in der Anfangsphase des E-Rezeptes einen großen Ansturm auf das neue Verfahren gibt. Es wird zunächst vermutlich eher nur von digitalaffinen Patientinnen und Patienten genutzt werden.

Martin Tschirsich vom Chaos Computer Club schätzt, dass von den rund 73 Millionen Versicherten maximal 500.000 das E-Rezept vollumfänglich per App nutzen könnten. Ein zentrales Problem sei nämlich nicht gelöst, sagte der Experte für das digitale Gesundheitswesen dem ZDF: "Die Infrastruktur fürs Einloggen in die Rezept-App ist einfach nicht vorhanden."

Was passiert, wenn man die technischen Hürden nicht überwindet?

Wer die Voraussetzungen nicht nicht erfüllen kann oder mag, bleibt dennoch gut versorgt. Die Arztpraxis kann den Rezept-Code auf Papier ausdrucken, die Versicherten können dies wie das bisherige rosafarbene Rezept einfach in der Apotheke vorlegen. Allerdings fällt dann das für das E-Rezept sprechende Argument der Druck- und Papierersparnis weg.

Im kommenden Jahr könnte es leichter werden: Dann soll es direkt über die Gesundheitskarte funktionieren - dies hat die Gesellschafterversammlung der Gematik diese Woche beschlossen. Zu den Gesellschaftern zählten der Bund mit eigener Mehrheit, außerdem Bundesärztekammer und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen.

Wie geht es weiter?

Bis zum Jahresende soll das E-Rezept flächendeckend ausgerollt sein, so lautet dem Vernehmen nach das Ziel der Bundesregierung. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hätte das Verfahren gern noch einfacher: Er ist dafür, dass die Arztpraxen die E-Rezepte direkt an die Apotheke schicken - das ist eine Frage der Technik. Und es wäre praktisch, das E-Rezept direkt per Mail oder SMS aufs Smartphone zu bekommen - hier gibt es jedoch offene Fragen beim Datenschutz.

In Planung ist bereits, dass auch Heil- und Hilfsmittel künftig auf diesem Wege verschrieben werden können. Eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt mittlerweile in groß angelegter Testphase die Gänge: Ab 2023 ist die "E-AU" für Praxen und Arbeitgeber obligatorisch. Nur Patienten sollen dann noch einen Papierausdruck ihrer Krankmeldung für die eigenen Unterlagen ausgehändigt bekommen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 01. September 2022 um 11:21 Uhr.