Ernährungsstrategie Die Deutschland-Diät
Mehr Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, weniger Fleisch, Salz und Zucker: Im Kabinett ging es in der letzten Sitzung vor Weihnachten ums Essen. Minister Özdemir stellte Pläne für eine Ernährungsstrategie vor.
Essen soll gesund, gut für die Umwelt und bezahlbar sein, findet Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. "Alle sollen sich gut ernähren können." Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft will der Grünen-Politiker eine umfassende Ernährungsstrategie erarbeiten. Unter anderem der Bauernverband, Sozial- und Umweltorganisationen und der Lebensmittelverband unterstützen das Vorhaben.
Eines der Ziele: Stärkung der pflanzlichen Ernährung. Mehr Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte wie Bohnen und Erbsen sollen auf den Tellern landen, der Konsum von Zucker, Fett und Salz reduziert werden.
Außerdem landet noch immer zu viel Essen im Müll. Fast elf Millionen Tonnen Lebensmittel in Deutschland werden pro Jahr weggeworfen, das soll weniger werden.
Lebensmittel aus der Region
Mit den Plänen will Özdemir vor allem dafür sorgen, dass mehr ökologisch erzeugte Lebensmittel aus der Region in Kantinen und Mensen angeboten werden, wie er dem ARD-Hauptstadtstudio sagte. Ziel der Ernährungsstrategie müsse sein, dass in allen Kantinen von Schulen, Fabriken Senioren und Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern "ein gesundes Essen auf dem Stand dessen, was die Wissenschaft uns sagt", angeboten werden könne. Dies müsse zudem bezahlbar sein.
Der Grünen-Politiker will auch, dass die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung verbindlich werden - sie sehen unter anderem eine Ernährung mit weniger Fett, Salz und Zucker vor.
Bereits im Koalitionsvertrag haben sich die Ampel-Parteien darauf verständigt, bis 2023 eine Ernährungsstrategie zu beschließen. Noch bleibt vieles vage. Konkreter wird es beim Thema Werbung. So soll es Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder unter 14 Jahren richtet, künftig nicht mehr geben.
Ein dickes Problem
Der Handlungsbedarf ist groß. In Deutschland gelten rund 15 Prozent der Kinder als übergewichtig, ein Teil davon als adipös. Ungesunde Ernährung, erläutert die Medizinerin Lisa Pörtner, könne zu einem Mangel an wichtigen Mikronährstoffen führen, mit möglichen negativen Folgen für die körperliche und geistige Entwicklung. Auch bei Erwachsenen sind Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten ein großes Problem. So gebe es bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes und einigen Krebserkrankungen "starke Zusammenhänge mit unserem Ernährungsverhalten". Wichtigste Risikofaktoren: zu wenig Obst und Gemüse, zu viel rotes Fleisch, also etwa Schweine- und Rindfleisch.
Pörtner engagiert sich im Bündnis "Ernährungswende anpacken". Mehrere Verbände haben sich darin zusammengeschlossen, etwa die Umweltorganisation WWF, der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Auch sie plädieren unter anderem für mehr pflanzliche Ernährung und dafür, den Konsum tierischer Produkte schrittweise zu reduzieren.
Dabei spielt auch der Umweltaspekt eine große Rolle: Laut Bundesumweltministerium beträgt der Anteil der Ernährung an den Treibhausgasemissionen in Deutschland 15 Prozent - so viel, wie durch das Heizen verursacht wird. Einen großen Anteil an den Emissionen haben die Tierhaltung in der Landwirtschaft, die Düngung, auch der Transport von Lebensmitteln trägt zum CO2-Ausstoß bei.
Gesundes, kostenloses Schulessen
Agrarminister Özdemir will mit der Ernährungsstrategie vor allem die Kinder in den Blick nehmen. Ein wichtiger Hebel für eine nachhaltige Ernährung sei ein gesundes Schulessen, zeigt sich Meike Müller überzeugt. Sie ist Geschäftsführerin des Schul-Caterers "Abraxas" in Berlin und zugleich Berliner Vertreterin des Verbandes Deutscher Schul- und Kita-Caterer.
Müller sieht Berlin als Vorreiter vor allem bei der Teilhabe. Grundschulkinder können hier ein kostenfreies Mittagessen erhalten. Der Verband fordert, dass das bundesweit gilt. Alle Kinder in Deutschland, betont Müller, sollten unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ein gesundes Mittagessen bekommen.
Ausgewogene Ernährung ist teuer
Ernährung sei oft eine soziale Frage, eine gute Ernährungspolitik deswegen auch "eine Frage der gesellschaftlichen Fairness", sagt auch Özdemir. Angesichts der Energiekrise und gestiegener Lebensmittelpreise ist es vor allem für Menschen mit wenig Einkommen schwer, sich gesund und ausgewogen zu ernähren. Zwar hat die Bundesregierung Hilfen in der Energiekrise auf den Weg gebracht, außerdem steigen mit dem neuen Bürgergeld die Regelsätze um gut 50 Euro.
Der Sozialverband VDK aber sieht Nachbesserungsbedarf und fordert einen höheren Regelsatz. Damit gesundes Essen bezahlbar bleibe, müsse zudem die Mehrwertsteuer auf bestimmte Produkte abgeschafft werden, vor allem auf frisches Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, forderte Verbandspräsidentin Verena Bentele.
Union gegen Werbeverbot
Die Opposition im Bundestag ist skeptisch. Die Union setzt vor allem auf Bildung. Ernährungspolitiker der Unionsfraktion wollen, dass das Thema einen höheren Stellenwert in Kita und Schule erhält, um mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, was gesund ist und wie leckeres Essen zubereitet werden kann. Ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel lehnt die Union hingegen ab. Der ernährungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Albert Stegemann, kritisiert, dass der Bundesregierung selbst noch keine Erkenntnisse darüber vorlägen, ob sich Werbeverbote auf das Ernährungsverhalten auswirken. Stegemann fordert eine "wissenschafts- und evidenzbasierte" Ernährungsstrategie. Ähnlich argumentiert der Lebensmittelverband Deutschland. Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff will die Ernährungsstrategie der Bundesregierung "konstruktiv begleiten", wie er sagt. Zugleich lehnt er ein Werbeverbot ab. Vielmehr müssten Kinder und Jugendliche im Umgang mit Werbung geschult werden.
Die Herausforderungen sind groß, die Erwartungen und Forderungen in Sachen gesunde Ernährung unterschiedlich. Ein umfassender Prozess mit zahlreichen Beteiligten soll nun angestoßen werden, an dessen Ende ein Plan für bessere Ernährung steht.