Olaf Scholz
analyse

Möglicher NATO-Beitritt der Ukraine Warum Deutschland bremst

Stand: 13.07.2023 09:03 Uhr

Deutschland gehört zu den wichtigsten Waffenlieferanten der Ukraine. Doch einen kurzfristigen Beitritt des angegriffenen Landes in die NATO will auch die Bundesregierung nicht. Wieso?

Von Uli Hauck, ARD-Hauptstadtstudio

An den litauischen Gastgebern hat es nicht gelegen. Vilnius war gepflastert mit ukrainischen Flaggen. Auf Stadtbussen, auf Werbeschildern, an Balkonen - überall wurde zur Unterstützung der Ukraine aufgerufen. Und auch die Solidarität in der Bevölkerung war groß, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am ersten Gipfeltag mitten in Vilnius eine Rede hielt.

Die deutsche Regierungsdelegation hat das nicht beeindruckt. Die deutsche Entscheidung, dass ein schneller NATO-Beitritt der Ukraine nicht ansteht, war bereits längst vor dem Gipfel gefallen.

Keine Mitgliedschaft während des Krieges

Zentrales Argument der Bundesregierung ist dabei der berühmte Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, in dem der Bündnisfall geregelt ist. Er besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen ein NATO-Land als ein Angriff gegen alle angesehen wird. Dieser Bündnisfall wurde bislang nur einmal aktiviert, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Im Fall einer Ukraine in der NATO ist die Befürchtung, dass man in einen direkten Konflikt mit Russland gezogen wird.

Die deutsche Sorge geht dabei so weit, dass selbst eine Einladung der Ukraine in die NATO nicht gewollt war. Deshalb war schon in Vorfeld des Gipfels klar, dass es keine geben wird. Denn eine solche hätte zwangsläufig eine NATO-Mitgliedschaft zur Folge gehabt. Das haben die letzten Beitritte von Finnland und Schweden gezeigt, auch wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die schwedische Mitgliedschaft noch ein Jahr hinausgezögert hat. Am Ende wird der automatische Beitrittsprozess dazu führen, dass Schweden Mitglied wird.

Kritik an fehlender Beitrittsperspektive

Nach dem Gipfel von Vilnius hat der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, die NATO dafür kritisiert, dass sie bei ihrem Gipfel der Ukraine noch nicht einmal ein Signal für einen zeitnahen Beitritt gesendet hat. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, dass sei mehr als ein "Schönheitsfleck".

In der Bundesregierung bezweifelt man allerdings, dass man beispielsweise überhaupt einen seriösen Zeitplan für eine NATO-Mitgliedschaft aufstellen kann, solange sich die Ukraine im Krieg befindet und es keine gesicherten Grenzen gibt. Zumal konkrete Beitrittstermine und Schritte den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu bringen könnten, den Krieg immer weiter einfach am Köcheln zu halten.

Künftige Verhandlungsmasse?

Hier kommt ein weiterer Punkt ins Spiel, der in den Überlegungen zumindest hinter den Kulissen eine Rolle spielt. Eine mögliche NATO-Mitgliedschaft als Sicherheitsgarantie für die Ukraine könnte auch Verhandlungsmasse sein, wenn es irgendwann zu Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine kommen sollte.

Der Gipfel von Vilnius hat deshalb gezeigt, dass die beiden größten und wichtigsten Waffenlieferanten der Ukraine, USA und Deutschland, keinen übereilten NATO-Beitritt wollten. Und auch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius passte in dieser Frage kein Blatt Papier. Schon vor dem Gipfel war klar: Eine schnelle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine findet keine deutsche Unterstützung. So ist es letztlich auch gekommen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 11. Juli 2023 um 22:15 Uhr.