Hubert Aiwanger

Antisemitismus-Vorwürfe Bundesregierung fordert Aufklärung im Fall Aiwanger

Stand: 30.08.2023 19:50 Uhr

Die Bundesregierung hat sich im Fall Aiwanger entsetzt gezeigt. Es dürfte nichts vertuscht werden, machte Kanzler Scholz deutlich. Aiwanger selbst versicherte vor Journalisten, er sei "kein Antisemit" und "kein Extremist".

Die Spitzen der Bundesregierung haben am Rande ihrer Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) lückenlose Aufklärung gefordert.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, es dürfe nichts "vertuscht und verwischt" werden und es müssten gegebenenfalls "notwendige Konsequenzen" gezogen werden:

Alles, was bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend.

Lindner: Antisemitismus nicht relativieren

FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sagte, Antisemitismus dürfe in Deutschland auf keinen Fall relativiert werden. Die Vorwürfe seien bestürzend. Es müsse dringend Klarheit geschaffen werden "mit den notwendigen Konsequenzen, die er (Aiwanger) selbst ziehen muss oder der bayerische Ministerpräsident", fügte der FDP-Politiker hinzu.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, Aiwangers Umgang mit den bisherigen Berichten sei "unglaubwürdig". Es stelle sich für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nun die Frage, ob er mit einem Politiker, der zudem zuletzt durch rechtspopulistische Äußerungen aufgefallen sei, künftig noch zusammenarbeiten wolle. "Ich finde das schwer vorstellbar", sagte Habeck.

Freie Wähler stehen zu Aiwanger

Für die Freien Wähler in Bayern scheint dagegen klar: Sie stehen geschlossen zu ihrem Vorsitzenden. Mehrere Mitglieder des Partei- und Fraktionsvorstandes sagten das nach gemeinsamen Beratungen im Landtag in München. Fraktionschef Florian Streibl machte von der Personalie auch eine Regierungsbeteiligung abhängig. Er sagte: "Eine Koalition in Zukunft wird es auch nur mit Hubert Aiwanger geben." Und auch Generalsekretärin Susann Enders zeigte sich entschlossen:

Wir stehen als Freie Wähler hundertprozentig hinter Hubert Aiwanger. Und das werden wir auch weiter tun.

Es gebe eine "geschlossene Rückendeckung". Enders kritisierte Teile der medialen Berichterstattung, Rücktrittsforderungen der Opposition und sprach wörtlich von einer "üblen Schmutzkampagne". Am Morgen hatte auch Aiwanger auf der Plattform X - ehemals Twitter - von einer Schmutzkampagne gesprochen.

Aiwanger verteidigt sich

Aiwanger, der auch bei dem Treffen der Freien Wähler war, äußerte sich zu den Vorwürfen nicht sofort. Am Nachmittag sagte er dann in Donauwörth vor Journalisten: "Ich bin weder Antisemit noch Extremist, sondern ich bin ein Demokrat, ich bin ein Menschenfreund." Was "in Jugendzeiten hier diskutiert wird, wundert mich etwas", fügte er hinzu. "Aber es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann."

Es sei korrekt, dass in seiner Schulzeit eine oder einige wenige Blätter in seiner Schultasche gefunden worden seien. Über andere Berichte müsse er jedoch "teilweise den Kopf schütteln". Für "die letzten Jahrzehnte" könne er diesbezüglich "alle Hände ins Feuer legen". Auf die Frage, ob man in seinen Schulakten noch etwas finden könne, das ihn weiter belasten könnte, sagte er: "Lassen wir uns überraschen, was mir da jemand unter die Nase halten will."

Hubert Aiwanger, Freie Wähler/stellv. Ministerpräsident Bayern, weist Vorwürfe zurück in Flugblatt-Affäre

tagesschau24, 30.08.2023 18:00 Uhr

Auch Söder fordert Antworten

Bayerns Regierungschef Söder hatte Aiwanger zuletzt aufgefordert, sämtliche - auch neue - Vorwürfe nun schnell und umfassend zu beantworten. "Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben", sagte Söder am Rande eines Termins im oberbayerischen Beilngries. Das gelte für Fragen, die es seit dem Wochenende gebe - aber auch für neue Vorwürfe, die nun bekannt wurden. Die 25 Fragen, die man an Aiwanger übermittelt habe, umfassten auch diese neuen Vorwürfe.

Söder reagierte damit auf Vorhaltungen eines ehemaligen Mitschülers Aiwangers, über die das ARD-Magazin report München berichtet hatte: Aiwanger soll beim Betreten des schon besetzten Klassenzimmers früher ab und zu "einen Hitlergruß gezeigt" haben, wie der Mitschüler dem Magazin sagte. Er war nach eigenen Angaben für zwei Jahre in derselben Klasse wie Aiwanger. Zudem habe Aiwanger "sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht in diesem Hitler-Slang". Auch judenfeindliche Witze seien "definitiv gefallen".

Sondersitzung des Kabinetts brachte keine Klärung

Söder hatte Aiwanger gestern nach einer Sondersitzung des Kabinetts der Landesregierung aus CSU und Freien Wählern nicht entlassen, sondern ihm eine Liste mit 25 Fragen übergeben, die Aiwanger beantworten soll.

Dieser hatte am Wochenende Vorwürfe dementiert, als 17-Jähriger ein antisemitisches Flugblatt an seiner damaligen Schule verfasst zu haben. Der Parteichef der Freien Wähler erklärte am Wochenende, nicht dessen Urheber gewesen zu sein. Sein Bruder gab an, das Papier verfasst zu haben.

Fall Aiwanger überschattet Wahlkampf in Bayern

Der Vorfall überschattet den bayerischen Wahlkampf. In sechs Wochen wird dort ein neuer Landtag gewählt. Aiwanger ist Spitzenkandidat der Freien Wähler, Söder tritt erneut für die CSU an. Söder hatte sich früh darauf festgelegt, mit den Freien Wählern weiter koalieren zu wollen. Seit Dienstag kann per Briefwahl gewählt werden.

In den jüngsten Umfragen von Anfang August hatte die CSU bei 39 Prozent gelegen, die Grünen bei 14, die Freien Wähler zwischen zwölf und 14, die AfD zwischen 13 und 14, die SPD bei neun und die FDP bei vier Prozent.

In einer früheren Version dieses Textes wurde Christian Lindner als Wirtschafts- und nicht als Finanzminister bezeichnet. Wir haben den Fehler korrigiert.

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