Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz.
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Bruch der Regierungskoalition Wer hat Schuld am Ampel-Aus?

Stand: 16.11.2024 12:20 Uhr

Medienberichte über FDP-Vorbereitungen für das Ende der Ampel bringen neue Brisanz in die Debatte, wer Verantwortung für den Koalitionsbruch trägt. Wer gibt wem die Schuld? Und wie könnte die Diskussion den Wahlkampf beeinflussen? Ein Überblick.

Vor eineinhalb Wochen platzte die Regierungskoalition in Berlin nach wochenlangen, öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen über den richtigen Kurs in der Wirtschaftspolitik. Seitdem werfen sich vor allem die SPD und FDP gegenseitig vor, den Bruch der Ampel-Regierung provoziert zu haben.

Was ist die Ausgangslage?

Nachdem die Regierung aus SPD, Grünen und FDP am Abend des 6. November scheiterte, drehte sich die öffentliche Diskussion hauptsächlich um zwei große Fragen: Wie geht es nun weiter? Und wie kam es zum Zerbrechen der Koalition?

Die erste Frage ist nun weitgehend geklärt: Die Fraktionen haben sich darauf geeinigt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage am 16. Dezember im Bundestag stellen soll. Die vorgezogenen Bundestagswahl ist für den 23. Februar geplant.

Wer die politische Verantwortung für das Ende der Koalition trägt, wird hingegen weiter hitzig von den Parteien diskutiert. Angefacht werden dürfte diese Debatte von Medienberichten, die FDP habe sich gezielt auf den Ausstieg aus der Ampel vorbereitet.

Was sagen die Berichte über die FDP-Pläne?

Dass es große Uneinigkeiten innerhalb der Ampel gab und insbesondere die FDP zunehmend fremdelte, war schon länger offensichtlich. Es ist daher davon auszugehen, dass sich alle drei Parteien - im Jahr vor dem eigentlichen Termin für die Bundestagswahl - intern über ein vorzeitiges Ende des Regierungsbündnisses beraten haben dürften.

Laut Berichten der Wochenzeitung Die Zeit und der Süddeutschen Zeitung plante die FDP jedoch wochenlang und viel akribischer als bisher bekannt auf ein Ende der Koalition hin. Die Führung der Partei habe diesen Fall bereits seit Ende September in geheimen Sitzungen besprochen und dafür Strategiepapiere anfertigen lassen, berichten die beiden Medien übereinstimmend. In einem internen Chat von FDP-Mitarbeitern sei der Tag des Koalitionsbruchs als "D-Day" bezeichnet worden.

Die Beteiligten wollten sich auf Anfrage von Die Zeit nicht zu der Recherche äußern. Ein FDP-Parteisprecher sagte, es habe in den vergangenen Monaten "immer wieder und in verschiedenen Runden eine Bewertung der Regierungsbeteiligung" stattgefunden. "Selbstverständlich wurden immer wieder Szenarien erwogen und Stimmungsbilder eingeholt."

Was passierte am Abend des Koalitionsbruchs?

Die gegenseitigen Schuldzuweisungen, insbesondere zwischen Kanzler Olaf Scholz und FDP-Chef Christian Lindner, begannen nur kurze Zeit nach dem Koalitionsausschuss am 6. November, der das Ende der FDP-Beteiligung an der Regierung besiegelte. Nach wochenlangen Debatten, konkurrierenden Gipfeln und grundlegend verschiedenen Positionspapieren zur Wirtschaftspolitik galt das Treffen als letzte Chance für die Koalition, doch noch einmal einen gemeinsamen Weg nach vorne zu finden.

Dieses Vorhaben scheiterte aber, Scholz entließ Finanzminister Lindner und machte diesen für das Ende der Koalition verantwortlich. "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen", sagte Scholz als er vor die Presse trat. Ein solches Verhalten wolle er dem Land nicht weiter zumuten.

Womöglich hätte er Lindner bereits früher entlassen sollen, sagte Scholz gestern in der Süddeutschen Zeitung. Er habe bereits bei den langen Haushaltsverhandlungen im Sommer über diesen Schritt nachgedacht. "Ich hätte vielleicht schneller feststellen müssen, ab wann es so nicht mehr weitergehen kann," so der SPD-Politiker.

Lindner gab am Abend des 6. November kurz nach Scholz ein Statement ab. Er warf dem Kanzler vor, die Zusammenarbeit mit ihm und der FDP aufgekündigt und damit einen "kalkulierten Bruch dieser Koalition" herbeigeführt zu haben. Unter anderem kritisierte er die vorbereitete Rede von Scholz, die er als Beweis anführte, dass der Kanzler von vornherein die Entlassung geplant habe. Lindner wirkte bei seinem Statement angefasst und sprach auch in einer Pressekonferenz am folgenden Tag emotional über das Koalitionsende. Auch deshalb könnten Medienberichte über kalkulierte FDP-Vorbereitungen Lindner schaden.

Welche Rolle spielte die SPD?

SPD-Politiker reagierten empört auf die Berichte in der Süddeutschen Zeitung und der Zeit. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warf dem ehemaligen Koalitionspartner "politischen Betrug" vor und forderte eine Entschuldigung. "Von Christian Lindner erwarte ich nicht, dass er die Größe hat, sich bei den Menschen zu entschuldigen. Aber wenn in der FDP noch jemand einen Funken Ehre hat, dann wäre jetzt der Moment, dies in aller Demut zu tun", sagte Miersch der Nachrichtenagentur dpa.

"Der Schaden, der der Vertrauenswürdigkeit von Politik zugefügt wurde, ist nicht zu ermessen", sagte SPD-Chefin Saskia Esken. "Verantwortung als Fremdwort, Bösartigkeit als Methode: Ich bin tief erschüttert über dieses Verhalten der FDP", schrieb Arbeitsminister Hubertus Heil auf der Plattform X. Gesundheitsminister Karl Lauterbach nannte den Vorgang eine "unfassbare Enttäuschung".

Aber auch der SPD wurde in den vergangene Tagen vorgeworfen, den Koalitionsbruch gezielt herbeigeführt zu haben. Insbesondere Äußerungen des neuen Bundesfinanzministers Jörg Kukies (SPD) sorgten für Spekulationen. Kukies war beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung gefragt worden, wann er gewusst habe, dass er eine neue Aufgabe bekomme. Der bisherige Wirtschaftsberater des Kanzlers antwortete: "sehr kurz davor". Auf Nachfrage präzisierte er: "Einen Tag vor dem Mittwoch, dem Koalitionsausschuss, haben wir zum ersten Mal abstrakt darüber gesprochen, dass das eine Möglichkeit sein könnte."

Welche Rolle spielt die Debatte im Wahlkampf?

Neben den inhaltlichen Unterschieden der Parteien dürfte für die ehemaligen Ampelpartner auch das Wie und Warum des Koalitionsbruchs ein wichtiges Thema im Wahlkampf bleiben. Die rot-grüne Minderheitsregierung hat in den vergangenen Tagen wiederholt ihre Regierungsverantwortung betont und insbesondere die Union aufgefordert, wichtige Gesetzesvorhaben noch vor der Auflösung des Bundestags zu verabschieden.

Die scheidende Politische Geschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, reagierte heute mit Unverständnis auf die Medienberichte über FDP-Vorbereitung auf das Ende der Ampel. "Wir machen so nicht Politik", sagte Büning am Rande des Bundesparteitags in Wiesbaden. "Wir sind in die Regierung gegangen, um Verantwortung zu übernehmen und nicht, um Spielchen zu spielen und Theaterszenen zu planen." Sie fügte hinzu: "Der Plan ist ja auch nicht ganz so aufgegangen."

FDP-Chef Lindner hat sich klar von der SPD und den Grünen abgegrenzt und für seine FDP als Koalitionspartner einer möglichen CDU-geführten Regierung geworben. Derzeit liegt die FDP bei der Sonntagsfrage knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde. Lindner sagte im ARD-Bericht aus Berlin aber, er peile ein zweistelliges Ergebnis für seine Partei an. Die vorgezogene Neuwahl sei eine Richtungsentscheidung für Deutschland.

Einen Tag nach dem Ende der Ampel hatten in einer repräsentative Umfrage von infratest dimap für den ARD-DeutschlandTrend 40 Prozent der Befragten die FDP für das Scheitern verantwortlich gemacht. 26 Prozent sahen die Grünen in der Verantwortung, 19 Prozent die SPD.

Jim-Bob Nickschas, ARD Berlin, tagesschau, 16.11.2024 07:41 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. November 2024 um 11:00 Uhr.