Truppenabzug aus Afghanistan BND-Präsident räumt Fehler bei Lagebewertung ein
Der Auftritt des BND-Chefs im Afghanistan-Untersuchungsausschuss war mit Spannung erwartet worden. Kahl gab zu, die Geschwindigkeit, mit der die Taliban Kabul 2021 einnahmen, falsch eingeschätzt zu haben.
Freitag, 13. August 2021, 11.30 Uhr. Während in Afghanistan die Taliban vorrücken, tagt in Berlin der Krisenstab der Bundesregierung. Es ist eine Sitzung, die im Nachhinein Fragen aufwirft. Denn trotz der raschen Geländegewinne der Taliban fällt die damalige Bundesregierung keine Evakuierungsentscheidung. Der SPD-Abgeordnete Jörg Nürnberger macht dafür auch den Bundesnachrichtendienst verantwortlich.
"Ich glaube, der BND hat zum Ende des Afghanistan-Einsatzes die Lage um den 11., 12., 13. August 2021 falsch eingeschätzt", so Nürnberger. Der BND habe auf Grundlage der vorhandenen Informationen "eine falsche Bewertung der weiteren Entwicklung" vorgenommen. "Und diesen Vorwurf muss man dem BND in aller Deutlichkeit machen."
In der Krisensitzung an jenem 13. August hatte die damalige Vizepräsidentin des BND, Tania von Uslar-Gleichen, die Lageeinschätzung des Geheimdienstes vorgetragen. Ihre Analysten gingen - zumindest offiziell - immer noch nicht von einer schnellen Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban aus. Den Fall Kabuls vor dem 11. September hielt man beim BND für "eher unwahrscheinlich".
Warnstufe ja, Evakuierung nein
Jan Hendrik van Thiel, damals Gesandter an der deutschen Botschaft in Kabul, warnte dagegen schon länger vor dem Staatsverfall - das war auch im BND bekannt. Trotzdem gab es kein klares Lagebild und keine klaren Entscheidungen, beklagt die Grünen-Abgeordnete Sara Nanni.
"Es gab niemanden - und zwar weder in den Leitungsebenen der Ressorts noch bei den Ministerinnen und Ministern - der oder die sich wirklich verantwortlich gefühlt hat", so Nanni. "Sich zu fragen: Was wissen wir, was wissen wir nicht? Und was sind unsere Handlungsoptionen?"
Am Ende der Krisensitzung wird lediglich die Warnstufe erhöht, aber nicht evakuiert. Keine 48 Stunden später fallen in Kabul die Taliban ein und das große Chaos bricht aus. Dabei gab es Informationen, die allerdings nicht richtig bewertet oder berücksichtigt wurden.
Die US-Amerikaner hatten der damaligen deutschen Botschafterin in Washington, Emily Haber, klargemacht, dass sich die Deutschen auf einen Rückzug vorbereiten sollten. Und andere Nationen schafften längst Fakten. Der CDU-Abgeordnete Thomas Röwekamp sagt: "Wir haben gesehen, dass andere Nationen schon früher mit der Evakuierung von Ortskräften begonnen haben."
Krisenstabssitzung ohne den BND-Präsidenten
All das seien Indizien, die nicht exklusiv der BND gehabt hätte, sondern die verfügbar gewesen seien, so Röwekamp. "Die aber gemeinsam zu einem Lagebild verdichtet wurden, das am Ende diesen schnellen Fall von Kabul nicht vorhergesehen hat."
In der Krisenstabssitzung am 13. August 2021 war ein wichtiger Mann nicht anwesend: BND-Präsident Bruno Kahl. Bei seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss hat er zugegeben, dass es eine Fehleinschätzung bei der Geschwindigkeit gegeben hat, mit der die Taliban Kabul eingenommen haben. Der Ausschussvorsitzende Ralf Stegner: "Das ist in der Tat eine Fehleinschätzung gewesen. Das hat der Präsident auch eingeräumt."
Nach genau zwei Jahren biegt der Untersuchungsausschuss zum desaströsen Afghanistan-Abzug auf die Zielgerade ein. Nach der Sommerpause sollen die ehemaligen Minister Heiko Maas, Annegret Kramp-Karrenbauer und Horst Seehofer sowie Ex-Kanzlerin Angela Merkel vernommen werden.