AfD und ihre Anhänger Was kommt nach dem Frust?
Bei der Regierungsbildung in Thüringen, Sachsen und Brandenburg spielt die AfD keine Rolle. Wieder einmal. Jetzt geht es für die Partei darum, ihre Wähler zu halten.
Olaf Kießling beginnt seinen Vortrag mit der Überschrift eines Artikels: "Wie die AfD in Thüringen die Demokratie attackiert". Kießling hat dem ein Fragezeichen vorangestellt. Heute, sagt er, gehe es darum, dass sich die Anwesenden "selbst ein Bild machen" können.
In einer Brauerei in Arnstadt veranstaltet der AfD-Kreisverband Ilmkreis-Gotha am vergangenen Mittwoch einen Bürgerabend. Kießling ist hier der direkt gewählte Abgeordnete. Bei der Landtagswahl im September landete seine Partei - vom Thüringer Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft - mit 32,8 Prozent auf Platz eins.
Und dennoch hat die AfD ihr eigenes Ziel verpasst: endlich einmal regieren. Sie wurde weder in Thüringen noch in Brandenburg oder Sachsen, wo die AfD bei den Landtagswahlen auf 29,2 bzw. 30,6 Prozent kam, zu Gesprächen über Koalitionen eingeladen. Der Partei bleibt wieder nur die Oppositionsrolle. Sie muss dafür sorgen, dass ihre Wähler bei der Stange bleiben.
Viele Zweifel
Olaf Kießling macht erst einmal weiter wie gehabt. Kießling hat die AfD in Thüringen mit aufgebaut. Seit 2014 sitzt er im Landtag. Der Bürgerabend ist einer von insgesamt vier, die sein Kreisverband im Oktober veranstaltet. Die AfD ist auch abseits der Wahlen präsent und platziert ihre Botschaften.
Kießling spricht über den Eklat bei der Konstituierung des Erfurter Landtags. Von einer "Machtergreifung" war die Rede. Der Alterspräsident aus den Reihen der AfD hatte sich mehrfach geweigert, die Beschlussfähigkeit des Parlaments festzustellen. Das Landesverfassungsgericht entschied: Das war rechtswidrig.
Kießling bestreitet das und zieht die Unabhängigkeit des Gerichts in Zweifel. Der neue Landtagspräsident kommt nun von der CDU und nicht von der stärksten Fraktion - der AfD.
Der zweite Themenkomplex gilt der Ukraine. Kießling redet vom "Krieg in der ehemaligen UdSSR", also in der Sowjetunion. In Videos, die er einspielt, geht es vor allem darum, Russlands Angriff mit dem Agieren der USA in anderen Kriegen aufzuwiegen. Das Publikum klatscht. Dann geht Kießling weiter zu Corona, Klima und Migration.
Auf Konfrontation aus
Unter den rund 30 Zuhörern sitzt Herr Schmidtke, selbst AfD-Mitglied. Der 68-Jährige hat auf dem Bau gearbeitet und in einer Matratzenfabrik. Über seine Rente sagt er: "Die stimmt."
Gar nicht okay sei hingegen der Umgang mit der AfD. "Das ist keine Demokratie", so Schmidtke. Er will Menschen dafür zur Rede stellen: Zeitungsredakteure, den Bürgermeister und Stefan Kramer. Thüringens Verfassungsschutzpräsident hatte einmal gesagt, wenn die AfD regiere, wandere seine Familie nach Israel aus. Kramer ist Jude. "Dem würde ich sofort beim Umzug helfen", sagt Schmidtke.
Zu Familienfeiern gehe seine Frau mittlerweile allein. Schmidtke hadert allerdings nicht mit seiner Haltung. Und auch für seine Partei dürften die nächsten fünf Jahre vor allem weitere Konfrontation bedeuten, glaubt er.
Neue Wählerschichten erschlossen
Schmidtke ist typisch für die AfD. Unter Männern und Arbeitern schneidet die Partei seit jeher besonders stark ab. Für die Wahlerfolge der vergangenen Monate brauchte es aber mehr. Die AfD hat sich neue Wählerschichten erschlossen.
Laut dem Sozialpsychologen und Rechtsextremismusforscher Oliver Decker von der Universität Leipzig hat sich bei den Landtagswahlen ein neuer Effekt gezeigt. "Ein gewisser Groll ist zu einem wahlentscheidenden Moment geworden", sagt Decker.
Decker verweist darauf, dass Ressentiments wie Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus in Ostdeutschland seit mehr als 20 Jahren eine "relativ hohe Stabilität" hätten. Er hat solche Einstellungen in Langzeitstudien untersucht.
"Wir erleben eine grundsätzliche Verschiebung der Stimmung", sagt Decker. Es gebe nun den breiten Wunsch, dem Groll Ausdruck zu verleihen. Die AfD profitiere davon. "Sie redet die Krise herbei und bietet an, diese Ressentiments zu befriedigen, indem sie draufhaut."
Eine Langzeiterhebung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung stützt Deckers Thesen. Demnach gewinnt die AfD seit 2022 vor allem bei Frauen und Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen und Einkommen hinzu. Neu- und Stammwähler eint das Misstrauen in die Regierung und die Ablehnung von Zuwanderung.
Bei den drei Landtagswahlen in diesem Herbst fiel die Abgrenzung von extremen Positionen aus. Erstmals wurde die AfD mehrheitlich aus Überzeugung statt aus Enttäuschung über andere Parteien gewählt, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap.
Außen vor bei Koalitionen
In Arnstadt meldet sich eine ältere Dame. Die anderen Parteien - CDU, SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht - würden jetzt schon so lange über eine Koalition in Thüringen verhandeln. "Was macht denn die AfD?", fragt sie. Es müsse was passieren. "Sonst sagen die Leute: Das hat nichts gebracht."
Olaf Kießling erklärt, der Landtag sei auch ohne Regierung arbeitsfähig. Und man müsse immer wieder darauf verweisen, was die AfD schon durchbekommen hätte. Die Senkung der Grunderwerbssteuer Anfang des Jahres etwa. Erstmals von der AfD beantragt, später von der CDU mit Stimmen von FDP und AfD umgesetzt.
Es sind Details statt eines Durchbruchs. Auf Nachfrage sagt Kießling später: "Der normale Bürger versteht nicht, warum jetzt nicht die AfD regiert." Gerade Neuwähler könnten deshalb enttäuscht sein.
Auf einer Grafik, die die Thüringer AfD wenige Tage nach der Wahl unter anderem bei Facebook verbreitet, steht: "Ihr habt gewählt - ihnen ist es egal." CDU, BSW, SPD und Linkspartei seien demnach "Kartellparteien", die ihre Wähler "verraten" würden. Auch wegen solcher Angriffe schließen andere Parteien Koalitionen mit der AfD kategorisch aus.
Der Rechtsextremismusexperte Oliver Decker sieht, dass die AfD sich mit ihrem radikalen Kurs Probleme schafft. "Sie können mit Ressentiments großartige Wahlerfolge erzielen, aber damit unmöglich in eine Regierung gehen", so Decker.
Decker hält es deshalb nicht für ausgeschlossen, dass es jetzt zu einer Strategiedebatte in der Partei kommt. Die Rhetorik würde am Ende entschärft, um koalitionsfähig zu werden.
Krisenprofiteure
Beim Bürgerabend bleibt diese Debatte aus. Olaf Kießling endet seinen Vortrag mit einem Hinweis auf die Bundestagswahl 2025. "Nach der Wahl ist vor der Wahl", sagt er. Eine Zuhörerin ruft: "Wenn die AfD noch stärker wird, dann braucht es die anderen irgendwann nicht mehr." Kießling stimmt zu. Ohne absolute Mehrheiten gehe es wahrscheinlich nicht.
Das würde Ergebnisse von weit mehr als 40 Prozent bedeuten. Ist das realistisch? Kießling hebt die Arme. "Solange die Probleme größer werden, werden auch wir größer", sagt er.
Sozialpsychologe Oliver Decker wiederum rät anderen Parteien, sich von einer Krisenrhetorik zu verabschieden. Diese befeuere eher die Polarisierung. "Wir haben handfeste Herausforderungen, aber wir stehen nicht vor dem Untergang", so Decker.