BGH hebt Raser-Urteil auf Das Problem war der Vorsatz
Bei einem illegalen Autorennen in Berlin starb 2016 ein Unbeteiligter. Zwei Raser wurden deshalb wegen Mordes verurteilt. Den BGH überzeugt das nicht.
Was wird den Angeklagten im Berliner "Raserfall" vorgeworfen?
Sie sollen sich spontan zu einem Wettrennen verabredet haben. In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2016 mitten in Berlin. Einige rote Ampeln sollen die damals 24 und 26 Jahre alten Fahrer bei ihrer Tour überfahren haben - mit bis zu 170 Kilometern pro Stunde. An der letzten Ampel rammte einer der Fahrer mit seinem Wagen einen Rentner, der mit seinem kleinen Jeep bei Grün die Kreuzung überfahren hatte. Der Geländewagen wurde über 70 Meter weit über die Straße geschleudert. Der 69-jährige Fahrer starb noch am Unfallort. Eine Beifahrerin der Raser wurde verletzt.
Wie hat das Landgericht Berlin die Angeklagten verurteilt?
Das Urteil war spektakulär. Das Landgericht Berlin verurteilte beide Raser wegen Mordes in Mittäterschaft, gefährlicher Körperverletzung und einer vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs. Neben den lebenslangen Freiheitsstrafen bekamen beide eine lebenslange Sperrfrist für eine Neuerteilung des Führerscheins. Bei einer bloßen Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung - wofür die Verteidigung plädiert hatte - hätte die Höchststrafe bei fünf Jahren gelegen.
Was hat der BGH jetzt dazu gesagt?
Die höchsten Strafrichter haben das Urteil aufgehoben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen. Das Problem war der Vorsatz. Nahmen die Angeklagten den Tod des Rentners zumindest billigend in Kauf? Aus Sicht des BGH hat das Landgericht hier einen Fehler gemacht.
Im Urteil hieß es, die Angeklagten hätten die Möglichkeit, dass ihr Rennen für einen anderen tödlich ausgehen könnte, spätestens erkannt und billigend in Kauf genommen, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren. Genau für diesen Zeitpunkt hat das Landgericht allerdings auch festgestellt, dass die Angeklagten keine Chance mehr hatten, den Unfall zu verhindern. Das aber würde heißen: Die Raser hatten erst Tötungsvorsatz, als das Geschehen schon nicht mehr in ihren Händen lag. Das aber ist zu spät.
Raser sind also keine Mörder?
So einfach ist die Rechtslage nicht, sagte die Vorsitzende Richterin bei der Urteilsverkündung. Nötig sei eine differenzierte Betrachtung im Einzelfall, und dabei könne möglicherweise auch eine Verurteilung wegen Mordes herauskommen.
Wann nimmt man überhaupt den Tod eines anderen Menschen "billigend in Kauf"?
Immer wieder hörte man bei der Begründung zum Berliner Urteil: "Wer mit 170 km/h durch eine Innenstadt fährt, dem muss doch klar sein, dass dabei jemand zu Tode kommen kann." Das stimmt sicher. Genau dieser Satz wäre aber allein nur die Begründung für eine fahrlässige Tötung und nicht für den Vorsatz.
Die Abgrenzung zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Tötung kann man vereinfacht so erklären: Denkt ein Raser: "Wenn ein Mensch ums Leben kommt, ist mir das egal" dann nimmt er den Tod billigend in Kauf. Denkt er hingegen: "Ich bin ein guter Fahrer. Es wird schon gut gehen", dann mag das grobe Selbstüberschätzung sein, aber dann fehlt der Vorsatz, jemanden zu töten. Dann würde eine fahrlässige Tötung vorliegen.
Müsste ein Raser mit Tötungsvorsatz nicht gleichzeitig seinen eigenen Tod in Kauf nehmen?
Der BGH hält die Gefahr, die die Raser für sich selbst eingehen, für einen "vorsatzkritischen Umstand". Auch hier muss aber wieder jeder Einzelfall für sich geprüft werden.
Das wurde deutlich bei einem weiteren Raserfall, den Karlsruhe am Donnerstag entschied: In dem Frankfurter Fall war ein Autofahrer mit 142 Kilometern pro Stunde über eine rote Ampel gerast. Er stieß dabei mit einem anderen Wagen zusammen, dessen Fahrer noch an der Unfallstelle starb.
Das Landgericht verurteilte ihn wegen fahrlässiger Tötung. Der Raser war nämlich nicht angeschnallt. Daraus schlossen die Richter, Vorsatz könne nicht vorliegen, weil der Raser ansonsten zwangsläufig auch seinen eigenen Tod in Kauf hätte nehmen müssen. Eine solche generelle Regel gebe es aber nicht, so der BGH. Der Frankfurter Fall muss nun neu verhandelt werden, Ausgang offen.
Welche Rolle spielte die Eigengefährdung der Raser im Berliner Fall?
Auch im Berliner Fall führte der Gedanke zu Schwierigkeiten. Das Landgericht war davon ausgegangen, dass es den Rasern egal war, ob bei ihrer Fahrt jemand ums Leben kommen würde. Gleichzeitig sagten die Richter im Urteil aber, dass die Angeklagten sich selbst sicher fühlten in ihren Autos und nicht daran glaubten, dass ihnen oder der Freundin auf dem Beifahrersitz etwas passieren würde.
Der BGH sah darin einen Widerspruch. Im Übrigen habe das Landgericht die Annahme, dass die Angeklagten sich in ihren Fahrzeugen absolut sicher fühlten, nicht belegt. Es gebe keinen Erfahrungssatz dahin gehend, dass sich Fahrer in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Fahrzeugen regelmäßig sicher fühlten wie in einem Panzer oder in einer Burg.
Wurden nicht inzwischen die Strafen für Raser verschärft?
Ja, wurden sie. Seit 2017 können "verbotene Kraftfahrzeugrennen" mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, auch wenn nichts passiert. Stirbt jemand, stehen bis zu zehn Jahre Haft im Raum. Also doppelt so viel wie bisher bei "fahrlässiger Tötung".
Für zurückliegende Raser-Fälle, also auch für die Angeklagten in dem Berliner Fall, gilt das neue Gesetz nicht. Einer Verurteilung wegen Mordes steht das neue Gesetz nicht entgegen.