Traditionelles Frauenbild bei TikTok Zurück in die 1950er
Schwingende Röcke, Kinderschar und Sauerteig: Bei Instagram und TikTok folgen einige Frauen dem traditionellen Rollenbild und inszenieren sich als "Tradwives". Dahinter steckt oft auch eine Ideologie.
Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Partnerschaft, Beruf und Gesellschaft - erreicht ist sie noch lange nicht, aber wir sind auf einem guten Weg. Oder? Eine neue Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts ipsos zeigt: 60 Prozent der deutschen Männer finden, dass es reicht, bei den Frauen sind es nur 38 Prozent.
Gerade unter jüngeren Menschen gibt es einen Trend zu Rückbesinnung auf traditionelle Rollenverteilungen. Ein Mann, der zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert, sei unmännlich, findet der ipsos-Studie zufolge mehr als ein Drittel der Millennials. Ein Trend, der sich auch im Netz widerspiegelt.
"Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?" Der Satz stammt aus einer Werbung der 1950er-Jahre. Damals brachte in der Regel der Mann das Geld nach Hause. Die Frau stemmte den Haushalt, sorgte für das leibliche Wohl und hielt ihm den Rücken frei, immer gut frisiert und adrett gekleidet.
Trend bei TikTok und Instagram
Die traditionelle Rollenteilung ist auch heute noch kein alter Hut - sondern tatsächlich ein Trend bei TikTok und Instagram. "Tradwives", traditionelle Ehefrauen beziehungsweise Hausfrauen nennen sich die jungen Influencerinnen, die es als erstrebenswertestes Ziel ansehen, sich um Heim und Haus zu kümmern.
Carolina Tolstik ist eine von ihnen, unter dem Namen "Malischka" teilt sie auf Social Media ihr tägliches Leben, oder vielmehr: einen Ausschnitt davon. Die 27-Jährige ehemalige Grundschullehrerin lebt mit ihrem Freund seit einigen Jahren auf Mallorca, sie bezeichnet sich als "Stay at home girl" - als Mädchen, das zu Hause bleibt.
"Viel Zuspruch von Hausfrauen"
Ihre Posts bei TikTok seien überspitzt und humorvoll, sagt sie, und sieht sich selbst als Feministin. "Ich würde niemals sagen, ich bin gegen Frauenrechte. Ganz im Gegenteil, ich finde, jeder sollte das machen, was ihn glücklich macht. Und dazu gehört für mich eben auch die Wahl, Hausfrau zu sein. Ich kriege unheimlich viel Zuspruch von Hausfrauen, die sagen: Endlich werden wir mal gesehen. Wir werden wahrgenommen."
Kritik an ihrer Inszenierung weist sie von sich. "Ich glaube, es ist teilweise so eine eigene Unzufriedenheit. Hasskommentare entstehen ja immer dann, wenn einen selbst irgendwie was trifft."
Sie erkläre es sich so: "Natürlich polarisiert das Ganze, wenn man vielleicht einen harten Tag hatte, acht Stunden im Büro saß, im Regen nach Hause fährt. Und dann sieht man im Internet jemanden im strahlenden Sonnenschein, der dann einen Kuchen backt und sagt, so sieht mein Alltag aus."
Mittelaltermarktromantik für Mütter
Tolstik inszeniert sich als moderne junge Frau. Viele Influencerinnen der Tradwife-Szene wirken dagegen wie Figuren aus alten Schwarz-Weiß-Filmen. Brave Kittelkleider aus naturbelassenem Leinen, Blümchenblusen und schwingende Röcke. Umgeben von der glücklichen Kinderschar rühren sie in hölzernen Schalen ihren Sauerteig, drapieren liebevoll Blumensträuße und werden nicht müde, in Wort und Schrift die Segnungen des Tradwife-Lebens zu preisen.
Vor allem aus den USA kommen viele dieser Accounts. Häufig sind sie hochreligiös, sehen die traditionelle Rollenaufteilung als gottgegeben und die Frau als dem Manne untertan an. Und anders als die Cosplayer beispielsweise auf Mittelaltermärkten, die am Ende des Tages das Lederwams ablegen und wieder in Jeans und T-Shirt schlüpfen, scheinen diese Frauen die Rolle 24/7 zu leben. In jeder Hinsicht.
"Rückbesinnung auf Antifeminismus"
Ein Weltbild, das Theresa Brückner mit großer Skepsis betrachtet. Die Social-Media-Expertin aus Berlin ist selbst Mutter, bei Insta unter @theresaliebt und bei YouTube aktiv und arbeitet als Pfarrerin für Kirche im digitalen Raum im Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg.
"Wir sehen eine Rückbesinnung auf den Antifeminismus", sagt Brückner. Dahinter stecke ein Weltbild und auch eine Ideologie. "Gerade in den USA ist es oftmals verknüpft mit der extrem Rechten. Das ist nichts Harmloses und auch nichts, wo es nur darum geht, dass man jetzt ein bisschen Pampasgras ins Bild stellt und an dieser Stelle etwas schön darstellt."
Es gehe darum, dass man versucht, was zu verkaufen, so Brückner. "Und zwar eine patriarchale Struktur und ein Machtgefälle, wo Frauen weniger wert sind als Männer, weil sie sich unterordnen müssen."
Frauen abhängig von Männern - in jeder Hinsicht
Auch deutsche Tradwife-Accounts verbreiten dieses Gedankengut zunehmend. Die Userin tradwifefactory beispielsweise: "Wenn mein Mann Nein sagt, dann ist es ein Nein. Ich diskutiere nicht darüber, ich quengele nicht und ich nörgele nicht. Wenn mein Mann Nein sagt, hat das immer einen Grund. Nämlich, dass er meine Sicht der Dinge bereits gehört, sich zu der Thematik ein Urteil gemacht und entschieden hat. Weitere Diskussionen und Quengeleien meinerseits wären nicht nur respektlos, sondern würden auch zu Vertrauensdefiziten in unserer Ehe führen. Mein Mann hat die Autorität mit dem letzten Wort."
Dazu gehört in ihrem Verständnis auch, dass die Frau auch finanziell vom Mann abhängig ist. "Ich bin vorsichtig bei Männern, die von einer Frau immer erwarten, berufstätig zu sein und es besonders toll finden, wenn eine Frau finanziell unabhängig ist." Diese Männer, so ihr Schluss, wollten sich vor der Verantwortung drücken.
Theresa Brückner sagt dazu: "Natürlich können Menschen selbst entscheiden, in welche Beziehungsmodelle sie sich hineinbegeben. Die Gefahr besteht allerdings eben immer in einer Form von Absicherung. Inwieweit ist das dann auch in diesem Beziehungsmodell so abgesichert, dass eine Frau, auch wenn dann der Mann nicht mehr da ist, abgesichert ist und eine Möglichkeit hat, sich selbst zu versorgen?"
Und wer bezahlt das alles?
Viele Accounts zeigen nicht nur glückliche Familien, sondern auch großzügige Häuser, herrliche Gärten, Wiesen, Weiden, Tiere. Für die Social-Media-Expertin ein Hinweis, genauer hinzuschauen.
"Was steckt dahinter? Was sieht man da im Hintergrund? Was ist das für ein Haus? Was steckt auch finanziell in dem Sinne dahinter?", fragt Brückner. "Wenn man alleine mal einen Thermomix googelt, was das für eine Summe an Geld ist, die man da hineinstecken muss. Dann wird ganz schnell deutlich, dass sich das nicht einfach dadurch verdienen lässt, dass man sich selbständig um das Essen zu Hause kümmert, sondern es muss ja auch in irgendeiner Form finanziert werden."
Wie, lassen die Influencerinnen gerne offen - genau wie die Frage, ob sie ihr Hausfrauendasein nicht doch hier und da mit Hilfe von Nannys und anderen Mitarbeitern geregelt bekommen.
Tradwife-Inszenierung als Geschäftsmodell
Carolina Tolstik macht im Interview keinen Hehl daraus, dass sie selbst finanziell unabhängig von ihrem Partner ist und dass sie "neben" dem Hausfrauenjob als Influencerin auch ernsthaft arbeitet - wie viele Tradwives oder Stay-at-home-girls. "Ihr Alltag besteht ja auch aus Filmen, Videos schneiden und eben nicht nur Matcha Latte trinken und Yoga machen", sagt Tolstik.
Die Zuschauer sähen nur einen kleinen Ausschnitt. "Aber alles, was dahinter steckt - Kooperationen und Verträge und alles Drum und Dran, das wird ja gar nicht gezeigt. Und ich meine, wozu auch? Ich glaube, keinen meiner Zuschauer würde es interessieren, wie ich sechs Stunden vor dem Laptop sitze."
Schein oder Sein
Vielleicht würde es das Bild der schönen neuen alten Hausfrauenwelt aber ein bisschen entzaubern. Was rät Social-Media-Expertin Brückner Eltern, deren Kinder von diesen Inszenierungen fasziniert sind? "Ein begleitetes Konsumieren oder zumindest ein Ins-Gespräch-Kommen. Was bedeutet es, in unserer Gesellschaft gleichberechtigt zu leben? Was bedeutet es, in unserer Gesellschaft auch wirklich zu gucken, wo sind marginalisierte Gruppen, wie können wir die unterstützen? Wie leben wir es vor?"
Kurz gesagt: Medienkompetenz fördern. Denn auch im Netz ist nicht alles so, wie es scheint.