Grillen an einem Sommerabend im Clara-Zetkin-Park in Leipzig.
Umfrage

ARD-Themenwoche Zusammenhalt vor allem im Privaten

Stand: 07.11.2022 05:00 Uhr

Was hält uns zusammen?, fragt die ARD-Themenwoche. Zusammenhalt entsteht für viele im Privaten, zeigt eine Umfrage. Doch das Miteinander in der Gesellschaft empfinden zwei Drittel als schlecht.

"WIR gesucht - Was hält uns zusammen?" ist das Motto der aktuellen ARD-Themenwoche, die am gestrigen Sonntag begann und bis zum kommenden Samstag dauert. Auf allen Kanälen und allen Sendern der ARD, im Hörfunk, Fernsehen und Online, widmen sich Berichte, Talks und Reportagen der Frage, wie es um das Miteinander in Deutschland steht und wie der Zusammenhalt in der Gesellschaft gestärkt werden kann. Und das scheint auch bitter nötig zu sein, wie eine Umfrage von infratest dimap im Rahmen der ARD-Themenwoche zeigt. Denn der Alltag der Menschen ist derzeit von zahlreichen Krisen und Konflikten geprägt.

Konflikte in Deutschland: Reich gegen Arm, Alt gegen Jung

Konflikte in einer Gesellschaft, die auch zu einer Spaltung führen können, kann man gut mit Gegensatzpaaren beschreiben. So ist der Konflikt zwischen Alt und Jung lange bekannt, aber in der Wahrnehmung der Befragten kein wirklich entscheidender. 37 Prozent sind der Meinung, es gebe große Konflikte zwischen den Generationen.

Anders Corona: Zwar sorgt die Pandemie mittlerweile für deutlich weniger Debatten als noch vor einigen Monaten. Trotzdem geben 72 Prozent der Befragten an, es gebe derzeit in Deutschland große Konflikte zwischen Befürwortern und Gegnern der Corona-Maßnahmen. 62 Prozent sehen die Migration als großes Konfliktfeld. Spitzenreiter bei den Konflikten ist ein Klassiker der Sozialpolitik: Drei von vier Befragten sehen große Konflikte zwischen Arm und Reich.

In Krisenzeiten können Gesellschaften zusammenwachsen. Das hat man zu Beginn der Pandemie gesehen, und auch der russische Angriff auf die Ukraine hat anfangs zu großer Solidarität geführt. Mit der Zeit lassen diese Effekte erfahrungsgemäß nach. Aktuell halten insgesamt 64 Prozent der Wahlberechtigten den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland für schlecht. In Ostdeutschland ist die Bewertung mit 74 Prozent noch kritischer. Auch bei den jüngeren Menschen (18 bis 34 Jahre) ist die Zahl derer, die den Zusammenhalt in Deutschland als schlecht empfinden, mit 73 Prozent deutlich höher als im Durchschnitt aller Befragten.

Infratest dimap hat im Auftrag der ARD insgesamt 1211 Menschen befragt - sie gelten als repräsentativ für die Wahlberechtigten in Deutschland. Auffallend ist, dass im Osten Deutschlands viele Entwicklungen kritischer und negativer gesehen werden. Das gilt auch für die Sorgen der Menschen.

Inflation, Energiepreise: Deutschlands größte Sorgen

Die größte Sorge der Menschen ist, die Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können, weil alles immer teurer wird. Im gesamtdeutschen Durchschnitt fürchten das 66 Prozent der Befragten - im Osten Deutschlands sind es 69 Prozent. Diese Sorge ist übrigens in den vergangenen Tagen deutlich gewachsen: Für die ARD-Themenwoche wurden die Befragungen am 25. und 26. Oktober durchgeführt. Dabei gaben 54 Prozent der Befragten an, sie fürchteten, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Dieselbe Frage stellte infratest dimap einige Tage später erneut für den DeutschlandTrend: Da war der Wert auf 66 Prozent gestiegen.

Dass es wegen hoher Energiepreise zu Unruhen und sogar Gewalt auf deutschen Straßen kommt, besorgt im Durchschnitt 61 Prozent - in Ostdeutschland 71 Prozent. Auch die Sorgen, dass Deutschland direkt in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden könnte, sind im Osten mit 64 Prozent größer. Nicht so drängend ist die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Im Osten sorgt sich da jede/r Vierte, im gesamtdeutschen Durchschnitt sind es 14 Prozent.

Keine Aufbruchstimmung nach Regierungswechsel

Und was tut die Politik? Seit Amtsantritt der Ampel-Koalition habe sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland sogar noch verschlechtert, geben 49 Prozent der befragten Wahlberechtigten an (im Osten sind es 59 Prozent). Weitere 43 Prozent sehen keine große Veränderung seit Dezember 2021 (im Osten: 32 Prozent). Nur vier (Osten: drei) Prozent der Befragten geben an, der Zusammenhalt in der Gesellschaft habe sich seither verbessert.

Für Anhängerinnen und Anhänger der Oppositionsparteien hat der gesellschaftliche Zusammenhalt noch deutlicher Schaden genommen. Von Anhängerinnen und Anhängern der Union sagen 58 Prozent, das Miteinander habe sich verschlechtert. Wählerinnen und Wähler der Linken sind zu 61 Prozent dieser Meinung, und sogar 83 Prozent der AfD-Anhänger geben an, seit Amtsantritt des Kabinetts Scholz habe sich der Zusammenhalt in der Gesellschaft verschlechtert.

Doch auch jeweils etwa ein Drittel der Anhänger der Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP geben an, das Miteinander habe sich verschlechtert. Was bedeutet das? Die aktuell hohe Inflation, explodierende Energiepreise und allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit sind Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine. Die Zahl und Stärke der Krisen ist außergewöhnlich. In dieser Situation ist es der Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz offenbar nicht gelungen, ein Gefühl des Zusammenrückens herzustellen.

 

Zusammenhalt in der Familie, mit Freunden, im Verein

Auffällig ist, dass die Einschätzung, wie es um das gesellschaftliche Miteinander steht, deutlich kritischer oder negativer ausfällt, wenn es um das große Ganze geht, im direkten Umfeld dagegen wird der Zusammenhalt sehr viel positiver eingeschätzt. Neun von zehn Befragten sagen, in ihrer Familie und im Freundeskreis sei der Zusammenhalt intakt. Fast drei Viertel empfinden das Miteinander in ihrer Gemeinde als gut. Die mit Abstand wichtigste Institution für das Wir-Gefühl in Deutschland sind Sportvereine, Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Mehr als drei Viertel der Befragten sehen hier den Ort, an dem gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht.

Auffällig ist, dass Institutionen, die traditionell als wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gesehen werden, sehr kritisch beurteilt werden. Die Kirchen spielen laut Umfrage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt nur noch eine vergleichsweise kleine Rolle: 27 Prozent der Befragten geben an, die Kirchen leisteten hier einen angemessenen Beitrag. Auch Politik und Parteien tragen für nur 28 Prozent der Wahlberechtigten zu einem Miteinander in der Gesellschaft bei.

Debatten laufen nicht gut

Gesellschaften lösen drängende Probleme und Konflikte durch Dialog, nicht durch Gewalt - zumindest ist das in der Theorie so. Die Umfrage zur ARD-Themenwoche zeigt aber, dass viele mit der Debattenkultur in Deutschland unzufrieden sind. Beim Ringen um gemeinsame Lösungen werden Standpunkte ausgetauscht, man lernt von der jeweils anderen Seite und am Ende steht ein Kompromiss.

Dass die Debatten hierzulande derzeit gut laufen, findet nur eine Minderheit. Fast drei von vier Befragten sagen, es gehe in Debatten in der Regel mehr um Selbstdarstellung als um Inhalte. 51 Prozent geben an, Debatten würden nicht fair und respektvoll geführt, 70 Prozent sind überzeugt, an der Meinung der anderen Seite gebe es zu wenig Interesse. Fast zwei Drittel sind der Meinung, Debatten würden sich zu häufig mit Randthemen beschäftigen.

Social Media spitzt Konflikte zu

Interessant ist auch, dass laut Meinungsforschung die Nutzung von Social Media nicht ohne Folgen bleibt. Wer häufig auf Facebook, Instagram, Twitter und Co. unterwegs ist, sieht Konflikte tendenziell bedrohlicher und die Welt schlechter als andere. So ist die Beurteilung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei den Befragten, die viel Social Media nutzen, noch kritischer als beim Durchschnitt: 75 Prozent der Befragten bewerten das Miteinander als schlecht (Durchschnitt der Befragten: 64 Prozent).

Gleichzeitig sehen jene, die Social Media häufig nutzen, die Debattenkultur noch negativer als die Gesamtheit der Befragten und intensive Social Media-Nutzerinnen und Nutzer haben insgesamt größere Sorgen. Übrigens ist eine deutliche Mehrheit der Befragten in Deutschland überzeugt, dass Social Media den gesellschaftlichen Zusammenhalt eher schwächt.

Social Media kann Debatten zuspitzen, verschärfen und polarisieren. Die Anonymität vieler Nutzerinnen und Nutzer erleichtert einen unsachlichen und rüden Umgang miteinander. Was im richtigen Leben Folgen für das Zusammenleben hätte, bleibt im digitalen Raum meist folgenlos. Gleichzeitig bewerten laut infratest dimap häufige Nutzerinnen und Nutzer von Social Media das Miteinander in ihrem direkten, realen und privaten Umfeld sogar noch etwas positiver als der Durchschnitt der Befragten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 07. November 2022 um 07:22 Uhr.