Sportvereine in der Krise Money for Muffel
Viele Vereine haben in der Pandemie Mitglieder verloren. Eine Gutschein-Kampagne des Innenministeriums und des Olympischen Sportbunds soll helfen, sie zurückzugewinnen. Das löst aber nicht alle Probleme der Vereine.
Christine Bechtloff öffnet die Tür zur einer der beiden großen Hallen des Mombacher Turnvereins 1861. Sport ist hier in diesen Tagen nicht möglich. Der Raum ist vollgestellt mit Stühlen und Tischen. Auf einer Bühne steht die Kulisse der "Bohnebeitel", eines Fastnachtsvereins aus Mainz, der hier auftritt. "Nach zwei Jahren Pandemie können bei uns endlich auch wieder Veranstaltungen stattfinden. Das bringt Geld in die Vereinskasse und hilft finanziell", erzählt die Vorsitzende des MTV.
Dem Mainzer Traditionsverein fehlt es nicht nur an Geld, sondern auch an Mitgliedern. "Wir hatten bis zur Pandemie mehr als 2900 Mitglieder. Als wir im Lockdown schließen mussten, sagten uns manche Mitglieder, dass sie ohne Angebot austreten wollten. Wegen Kurzarbeit ist bei vielen auch das Geld knapp geworden", sagt die Vereinschefin. Aktuell pendelten die Mitgliederzahlen um die 2500. "Einige sind neu dabei, andere zurückgekommen. Aber wir sind noch längst nicht wieder auf dem alten Stand", sagt Bechtloff.
Seit Ende Januar bieten das Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) einen 40-Euro-Gutschein an. Dieser kann online heruntergeladen und dann vor Ort in den Vereinen mit den Mitgliedsbeiträgen verrechnet werden. Beim Mombacher Turnverein gibt es schon zwölf Neuzugänge. "Das ist ein guter Anfang", sagt Bechtloff. "Wir versuchen vieles, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Leute dauerhaft an uns zu binden." So startet der Verein immer wieder eigene Sonderaktionen: Schnupperkurse und Rabatte, ein Erlebnistag, Kooperationen mit Kindergärten und Schulen oder Programme mit Theatern. Der Turnverein sei dauerhaft auf mehr Mitglieder angewiesen - finanziell und auch für das Vereinsleben, sagt Bechtloff.
Energiekosten werden immer größeres Problem
Die tagesschau hatte bereits im vergangenen Sommer über den Verein berichtet. Damals war er schon tief in der Krise - wegen der massiv gestiegenen Energiekosten, die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine nochmals nach oben gingen. "Wir haben Hilfen von der Stadt bekommen und noch einen Kredit aufgenommen. Aber das Problem wurde so ja leider nur in die Zukunft verschoben", stellt Bechtloff ratlos fest.
Der Finanzvorstand habe die Mehrkosten allein durch Energie in diesem Jahr grob überschlagen - und kommt auf etwa 85.000 Euro. Das könne natürlich kein Gutschein für Neumitglieder auffangen. Und woher soll das Geld für die Energie kommen? Bechtloff zuckt mit den Schultern. Der Verein stehe vor immer neuen Strukturkrisen. "Nach Corona kam auch noch die Teuerung. Viele Menschen sind finanziell dauerhaft überfordert und streichen sogar den Sportverein. Mombach ist ein eher strukturschwacher Stadtteil. Viele hier rechnen mit jedem Euro."
Dabei liegen die monatlichen Beiträge nur zwischen acht Euro für Kinder und 21 Euro für Familien. Im Vergleich zu umliegenden Vereinen und privatwirtschaftlichen Sportstudios sei das wenig. "In einer Stadt mit vielen anderen Vereinen und einem ganz anderen Freizeitangebot haben wir aber natürlich auch noch eine besondere Konkurrenzsituation", so Bechtloff.
Christine Bechtloff, Vorsitzende des Mombacher Turnvereins 1861, in einem Turnraum für Kinder.
Neue Mitglieder, aber eine alte Ölheizung
Im Südwesten der Pfalz ist die Lage für den SV Lemberg in puncto Mitglieder ganz anders. "Wir sind auf dem Land und haben ein Alleinstellungsmerkmal. Viele Alternativen gibt es nicht. Aber wir betreiben auch eine sehr intensive Jugendarbeit - vor allem im Bereich Mountainbike und Fußball", sagt Marc-Kevin Schaaf. Er ist Vorsitzender und Fußball-Trainer.
Derzeit hat der kleine Sportverein 380 Mitglieder - mit ständig steigender Tendenz. "Trotz Corona sind die Leute bei uns geblieben", so Schaaf. "Wir versuchen, auf uns aufmerksam zu machen. Da kommt die Aktion mit dem 40-Euro-Gutschein gerade recht. Fünf Neuzugänge können wir auch schon vermelden."
Die Freude über die neuen Mitglieder wird aber auch hier von zunehmenden Sorgen um die Energiekosten begleitet. "Die Kosten für unsere Ölheizung haben sich verdreifacht - auf rund 9500 Euro. Das können weder neue Mitglieder noch höhere Beiträge abfedern", fasst Schaaf zusammen.
Die Mitgliedsbeiträge bewegen sich etwa im gleichen Rahmen wie in Mombach und wurden zuletzt um 50 Cent im Monat erhöht. "Wir müssen die Balance halten, sonst verschrecken wir die Leute. Wir haben auch einen sozialen Auftrag und bieten Jugendarbeit für die ganze Gesellschaft", erklärt Maas. Ein staatliches Zuschussprogramm für die Ölheizung des Vereins gibt es bislang nicht. Der SV Lemberg muss in dieser Frage alleine schauen, wie er über die Runden kommt.
Marc-Kevin Schaaf, Vorsitzender des SV Lemberg, zeigt die Ölheizung des Vereins.
Milliardenteurer Sanierungsstau
Miriam Seib lächelt, als sie von den Neuzugängen in Lemberg und in Mainz-Mombach hört. Sie ist beim DOSB und leitet die Gutschein-Initiative mit, die mit dem Bundesinnenministerium gestartet wurde. "Bislang sind etwa 43.000 Gutschriften online abgerufen worden. Mehr als 1100 Menschen haben sich damit schon bei den Vereinen als Neueinsteiger angemeldet", so Seib. "Die Aktion läuft ja noch mehrere Monate. Wir setzen auf dauerhafte Nachfrage."
Michaela Röhrbein vom Vorstand des DOSB sitzt daneben und nickt zufrieden. "Es ist aber nicht nur ein Signal an die Sportler, sondern auch an die Ehrenamtlichen in den Vereinen: Wir wollen auch sie unterstützen. Wir wünschen uns, dass auch sie in den Verein bleiben."
Das wachsende Problem bei Vereinen in Sachen Energiekosten ist auch beim DOSB längst angekommen. Etwa 70 Prozent der Vereine klagten über viel zu hohe Energiepreise. Das Thema war auch auf dem sogenannten Bewegungsgipfel von Bund, Ländern und DOSB im Dezember auf der Agenda. "Alle haben sich auf ein gemeinsames Ziel verpflichtet: den Entwicklungsplan Sport. Hier soll es in einem Jahr ressortübergreifende Hilfen geben", so Röhrbein. Zu den aktuellen Energiefragen kommt noch der allgemeine Sanierungsstau im deutschen Sport. Der DOSB spricht von etwa 31 Milliarden Euro.
Hoffen auf weitere Hilfen
In Mainz geht Christine Bechtloff durch die Turnhalle und schaut nachdenklich auf die Heizkörper, die seit Monaten nur noch im Sparbetrieb laufen. Sie muss erstmal versuchen, die Kosten kurzfristig in den Griff zu bekommen. "Wir sparen, wo wir können. Auch Leuchtmittel haben wir schon ausgetauscht. Das bringt aber mit Blick auf die Gesamtkosten wenig."
Auch der Energiepreisdeckel der Bundesregierung helfe kaum, weil die Zulagen die Mehrkosten nicht ansatzweise kompensieren. Eine Einschätzung, die auch oft aus der mittelständischen Wirtschaft zu hören ist. Bei der Verabschiedung wird Bechtloff grundsätzlich: "Wir freuen uns über den Gutschein. Angesichts der strukturellen Herausforderungen ist das aber zu wenig. Wir Ehrenamtliche tun, was wir können. Aber wenn die Politik Vereine wie uns wirklich erhalten wollen, muss etwas ganz anderes kommen."