Eine Gruppe Jugendlicher
interview

Einstellung von Jugendlichen "Ein gewisses Grundvertrauen in die Gesellschaft"

Stand: 15.10.2024 16:56 Uhr

Wie kann es sein, dass Jugendliche voller Sorgen sind - und trotzdem zuversichtlich in die Zukunft schauen? Studienautor Mathias Albrecht erklärt, woher das Grundvertrauen in die Institutionen kommt.

tagesschau24: 81 Prozent der jungen Leute haben Angst vor einem Krieg in Europa. Woher kommt diese Angst der Zwölf- bis 25-Jährigen?

Mathias Albert: Für die Angst vor dem Krieg in Europa, das ist ganz klar, ist der Krieg in der Ukraine ursächlich. Das ist selbstverständlich sehr stark angestiegen. Die Jugendlichen haben insgesamt viele Ängste und Sorgen, die sie ausdrücken, und es gibt hier kein Zeichen für Entwarnung. Das positive Signal ist, dass sie trotz dieser Ängste und Sorgen zunehmend positiv in die Zukunft der Gesellschaft schauen. 

tagesschau24: Es gibt das Vorurteil, junge Menschen würden sich nicht für Politik interessieren. Ihre Studie sagt da etwas anderes.

Albert: Wir sehen eine breite Politisierung. Es ist ein langfristiger Trend, dass das politische Interesse der Jugendlichen zunimmt. Was neu ist, ist, dass erstmals genauso viele weibliche Jugendliche politisch interessiert sind wie männliche Jugendliche. Die Jugendlichen sagen, dass sie sich mehr als noch vor einigen Jahren über Politik informieren, also insgesamt auf breiter Front ein Politisierungstrend. 

Mathias Albert
Zur Person

Mathias Albert ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bielefeld. Er ist Leiter der Shell-Jugendstudie.

AfD kann Potenzial bei Jugendlichen abrufen

tagesschau24: Bei den Wahlen im Osten hat sich gezeigt, dass es unter den AfD-Wählern viele junge Menschen gibt. Spiegelt sich das in der Studie wieder? 

Albert: Wir sehen durchaus, dass sich insbesondere männliche Jugendliche in den letzten Jahren etwas nach rechts bewegt haben. Das wird zum Teil im Schnitt kompensiert dadurch, dass sich junge Mädchen eher nach links bewegt haben. Es ist aber so, dass der Anteil derjenigen, die sich als rechts oder eher rechts bezeichnen, gerade bei den jungen Männern zwar deutlich höher ist als noch vor wenigen Jahren, aber nicht höher ist als vor etwa zehn oder 15 Jahren.

Das heißt, es gibt schon seit geraumer Zeit dieses Potenzial, das jetzt gerade, wie man an den Wahlen sieht, auf fruchtbarem Boden fällt. Es gibt eine Partei, die macht ihnen Angebote, und die wird zunehmend als etabliert angesehen. Es ist akzeptabel, die zu wählen. Das heißt, jetzt kann diese Partei ein Potenzial abrufen, das allerdings schon länger vorhanden ist. 

Kritik, aber keine Systemkritik

tagesschau24: Wie sieht es mit dem Vertrauen junger Menschen in die Demokratie aus? Wie groß ist das? 

Albert: Junge Menschen haben viel zu kritisieren und auch zurecht zu kritisieren, was die Problemlösungen anbelangt, die die Politik anbietet und wie ernst die Politik sie nimmt. Aber diese ganze Kritik von vielen Dingen, die schlägt nicht in Systemkritik um. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist sehr hoch und auch das Vertrauen in die Demokratie. Die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform bleibt auch hoch, da geht eigentlich nichts zurück.

Klimawandel bleibt wichtiges Thema

tagesschau24: Vor einigen Jahren war jungen Menschen vor allem ein Thema sehr wichtig: Da kam mit Greta Thunberg und Fridays for Future das Bild einer jungen Generation auf, die laut zum Handeln gegen den Klimawandel aufruft. Wie hoch ist dieses Thema mittlerweile bei Jugendlichen im Kurs? 

Albert: Klimawandel und Umweltverschmutzung bleiben für Jugendliche wichtige Themen. Es ist ein bisschen weniger geworden in den letzten Jahren, aber immer noch auf sehr hohem Niveau. Es wurde allerdings verdrängt durch die übergroßen Sorgen in Bezug auf einen möglichen Krieg, durch die großen Sorgen in Bezug auf Ungleichheit zwischen den Menschen und auf die wirtschaftliche Entwicklung. Aber es bleibt ein ganz, ganz wichtiges Thema. 

"Das gibt ein gewisses Grundvertrauen"

tagesschau24: Bei allen Problemen momentan weltweit heißt es in der Studie, die Zwölf- bis 25-Jährigen blicken trotzdem positiv in die Zukunft. Was genau macht sie denn optimistisch? 

Albert: Es gibt verschiedene Faktoren, warum Jugendliche optimistisch in die Zukunft schauen. Aber man muss sich eines vielleicht vergegenwärtigen: Diese Jugendlichen sind in den letzten paar Jahren aufgewachsen in einer Zeit ihres Lebens, die prägt, und sie haben eine große Krise - die Corona-Krise - mitbekommen mit vielen, vielen persönlichen Einschränkungen.

Aber sie haben eben auch erfahren, dass die Gesellschaft als solche durchgekommen ist. Das heißt, es ist eine Erfahrung, dass der Staat, dass die Gesellschaft, dass die staatlichen Institutionen trotz aller Widrigkeiten, trotz aller Kritik, die man an einzelnen Maßnahmen üben kann, da durchgekommen sind. Und das gibt ein gewisses Grundvertrauen, dass man auf Grundlage der bestehenden Institutionen, dass man in diesem demokratischen System auch mit solchen Großkrisen fertig werden kann.

Das Gespräch führte Sandra Rieß für tagesschau24. Für die schriftliche Version wurde es gekürzt und redigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. Oktober 2024 um 17:00 Uhr.