Debatte um Sexkaufverbot "Deutschland ist das Bordell Europas"
Bundesweit arbeiten laut Schätzungen bis zu 400.000 Frauen als Prostituierte. Um Menschenhandel und Ausbeutung zu verhindern, hat sich das EU-Parlament für ein Sexkaufverbot ausgesprochen. Wie sinnvoll wäre das?
Im Leonhardsviertel in Stuttgart verkaufen Frauen sexuelle Leistungen gegen Geld. Leuchtschilder in grellen Farben sollen die Kunden in die Bordelle locken. Aber es gibt auch einen Straßenstrich und von Zuhältern angemietete Wohnungen.
Prostitution gehört hier seit vielen Jahrzehnten zum Straßenbild dazu - genauso wie die hippen Bars und kleinen Cafés, von denen im Viertel immer mehr aufmachen. Ein normales Viertel also? Für Sozialarbeiterin Veronika Schürle vom Verein "Esther Ministries", der sich gegen Zwangsprostitution einsetzt, ist es das nicht. "Prostitution ist kein Job, das ist Gewalt an Frauen", sagt sie.
Nordisches Modell als Vorbild?
Deshalb spricht Schürle sich für ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten Nordischen Modell aus. Es stammt aus Schweden. Freier werden dort für den Kauf von Sex bestraft, Bordelle müssen schließen. Sexarbeiterinnen und Prostituierte werden hingegen nicht bestraft. Ziel ist es, Ausbeutung und Menschenhandel einzudämmen.
Auch in der deutschen Politik werden momentan die Stimmen wieder lauter, die sich für das Nordische Modell aussprechen. Schürle hofft, dass dadurch die "gewaltige Nachfrage" reduziert werde.
"Es ist erbärmlich, was hier passiert"
Nur eine Straße neben der legalen Rotlichtmeile im Leonhardsviertel in Stuttgart arbeiten laut Schürle Zwangsprostituierte unter erbärmlichen Bedingungen. Viele von ihnen stammen aus Osteuropa. "Sie dürfen sich keinen Tag Urlaub leisten, auch wenn sie krank sind oder ihre Periode haben", sagt die Sozialarbeiterin. Manche arbeiteten sogar während der Schwangerschaft noch bis zum achten Monat, also kurz vor der Entbindung.
Abtreibungen sind an der Tagesordnung, sagt die gebürtige Bulgarin: "Auch im sechsten Monat. Sie werden von selbsternannten 'Hebammen' durchgeführt. Es ist erbärmlich, was hier passiert."
Schürle versucht mit ihrem Verein Betroffene wie Julia (Name geändert) aus der Zwangsprostitution zu holen. Julia arbeitete zwölf Jahre lang immer wieder als Sexarbeiterin in Deutschland - zunächst freiwillig, sagt sie. Doch vor wenigen Wochen sei ihr Zuhälter ausgerastet und habe ihr den Arm gebrochen. "Dieses Mal war es eine Katastrophe", erzählt Julia. "Er hat mich mit einer Stange geschlagen." Sie sei daraufhin zwölf Tage im Krankenhaus gewesen, wurde zweimal operiert. Nun reicht es Julia. Sie fährt zurück nach Bulgarien. Veronika Schürle hofft, dass das auch ein Abschied aus der Sexarbeit ist.
SPD-Abgeordnete fordert Sexkaufverbot
Für die baden-württembergische SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier ist Sexarbeit eine Frage der Menschenrechte. Manche Frauen machten diese Arbeit freiwillig, sagt Breymaier. Ihrer Meinung nach rechtfertige das aber nicht das Leid der vielen anderen Frauen, "die gedemütigt, geschlagen, zerstört werden".
Die Mehrheit der Frauen im Stuttgarter Leonhardsviertel sei nicht krankenversichert und stamme aus Osteuropa, Südosteuropa, Afrika oder zunehmend auch aus China. "Das sind doch nicht selbstbestimmte Frauen", sagt die SPD-Politikerin.
Warnungen vor Verbot
Bordellbetreiber John Heer aus Stuttgart ist gegen ein Sexkaufverbot. Er befürchtet, dass die Situation für Sexarbeiterinnen und Prostituierte durch das Nordische Modell sich gar verschlechtern würde. "Natürlich wird es gefährlicher", sagt Heer.
Auch Organisationen wie die Deutsche Aidshilfe, die Diakonie Deutschland oder der Deutsche Frauenrat sprechen sich gegen das Nordische Modell aus. Sie argumentieren, Sexarbeiterinnen und Prostituierte könnten so leichter Opfer von Gewalttaten werden und sich mit Krankheiten infizieren.
Mehrere Personen verurteilt
Meist sind es osteuropäische Banden oder Rockergruppen, die Frauen in illegalen Bordellen oder angemieteten Wohnungen zur Prostitution zwingen. In den vergangenen Wochen gelang es der Polizei in Baden-Württemberg, zwei Banden zu fassen. In Heilbronn wurden mehrere Personen verurteilt, in Konstanz läuft gerade noch ein Gerichtsprozess.
Bundesweit gab es nach Angaben des Bundeskriminalamtes im vergangenen Jahr 346 Verfahren wegen sexueller Ausbeutung. Das sei aber nur die Spitze des Eisbergs, ist sich Wolfgang Fink vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg sicher. Er spricht sich für ein generelles Prostitutionsverbot oder zumindest eine höhere Altersgrenze aus, um junge Frauen zu schützen.
Viele bezeichnen Deutschland wegen seiner liberalen Gesetze als das "Bordell Europas". Für den LKA-Beamten Fink ist das keine Übertreibung: "Das ist tatsächlich so. Wir sind in Europa das Land, in dem die Prostitution am weitesten verbreitet ist."