Asyl in Deutschland Zwei Russen auf der Flucht
Knapp 3000 Russinnen und Russen haben dieses Jahr einen Erstantrag auf Asyl in Deutschland gestellt. Viele von ihnen sind Männer, die dem Militärdienst entkommen wollen - so wie Danil und Wladimir.
Eine ehemalige britische Kaserne im nordrhein-westfälischen Weeze: Im Flüchtlingsheim der Kleinstadt nahe der holländischen Grenze hat das neue Leben der Brüder Danil und Wladimir begonnen. In Russland waren sie IT-Spezialist und Immobilienmakler. In Deutschland sind sie Flüchtlinge.
Wenn der 30-jährige Danil über die Situation in seinem Heimatland spricht, ringt er immer wieder um Worte: "Warum ich nicht zurück kann? Weil ich nicht weiß, wie die Gesellschaft in Russland sich so schnell verändern konnte. Außerdem habe ich Angst, dass sie mich dort sofort verhaften würden."
Schiefe Blicke geerntet
Am 24. Februar 2022, als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine beginnt, ist Danil zufällig auf Familienbesuch in Deutschland. Sofort entscheidet er sich, hier zu bleiben - und stellt einen Asylantrag. Zu dieser Zeit als Russe in Deutschland zu sein, sei sehr schambehaftet gewesen, sagt er.
"Ich habe bei Behördengängen immer wieder Geflüchtete aus der Ukraine getroffen", erzählt er. "Und natürlich weiß ich, dass mein Land diese Menschen überfallen hat, dass es sie tötet und sie deswegen hier sind. Wenn es irgendwo dazu kam, hörbar über meine Herkunft zu sprechen, war das sehr unangenehm. Ich habe schiefe Blicke geerntet."
Danil in Deutschland
Flucht über Kasachstan und die Türkei
Sein jüngerer Bruder, der 27-jährige Wladimir, flieht im Herbst 2022 über Kasachstan und die Türkei nach Deutschland, weil er nicht gegen die Ukraine kämpfen will. Als Russlands Präsident Wladimir Putin verkündet, viele junge Männer in die Armee einzuziehen, bucht er ein Flugticket und versteckt sich bis zur Abreise in seiner Wohnung.
"In dieser Zeit waren die Mitarbeiter der militärischen Rekrutierungsbüros in der Stadt unterwegs", erzählt Wladimir. "Sie klopften an Wohnungstüren und haben nach Männern gefragt. Ich habe kein Licht angemacht, habe keine Musik gehört, nur ganz leise gesprochen, damit sie nicht bemerken, dass jemand in der Wohnung ist."
Wladimir liest in Internet-Chats, dass Männer am Flughafen befragt, manche aufgehalten werden. Dass er überhaupt ausreisen kann, liegt daran, dass er noch ein gültiges Visum für Deutschland und einen Reisepass hat. Die Mutter lebt in Deutschland, die beiden Söhne haben sie vor dem Krieg regelmäßig besucht.
Die Brüder Wladimir und Danil
Nur kleine Gruppe flieht nach Deutschland
Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben 2022 insgesamt 2851 Russinnen und Russen einen Erstantrag auf Asyl gestellt. Von Januar bis April 2023 sind 2946 Asylanträge beim BAMF eingegangen.
Es sei eine kleine Gruppe von Menschen, die es überhaupt bis nach Deutschland schaffe, ordnet die Organisation Pro Asyl die Zahlen ein. Das liege daran, dass es aktuell keine direkten Flugverbindungen von Russland nach Deutschland gebe. Außerdem werde die Visavergabe an Russinnen und Russen sehr restriktiv gehandhabt.
Wer es als Kriegsdienstverweigerer bis nach Deutschland schafft, dem stehen laut Flüchtlingsberatern derzeit langwierige Asylverfahren bevor. Das erleben auch die Brüder Danil und Wladimir. Danils Asylantrag wurde bereits abgelehnt. Als er ihn stellte, hatte er noch keinen Einberufungsbescheid vom russischen Militär bekommen.
BAMF prüft jeden Asylantrag einzeln
Laut Michael Lukas von der Düsseldorfer Flüchtlingsberatung Stay prüft das BAMF jeden Antrag einzeln. "Gab es einen Einberufungsbescheid? Wie alt ist die Person? Man muss glaubhaft machen, dass es eine beachtliche Wahrscheinlichkeit gibt, dass man in die russische Armee eingezogen wird. Da ist das Bundesamt relativ streng", sagt Lukas. Nur die Sorge davor, eingezogen zu werden, reiche nicht.
Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl, kritisiert das Vorgehen des BAMF. "Es ist skandalös, dass diejenigen die sich klugerweise dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bereits vor der offiziellen Einberufung entziehen, keinen Schutz im bundesdeutschen Asylverfahren erhalten."
Wer die Waffen niederlege oder den Militärdienst verweigere, brauche reguläre Wege, um Schutz zu bekommen, findet Kopp. "Russische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, die sich unter großem Risiko von der Regierung ihres Landes abgewandt haben, sollten Möglichkeiten der Ausbildung und Beschäftigung in Deutschland und Europa erhalten."
Rückkehr nach Russland nicht möglich
Die Brüder Danil und Wladimir aus St. Petersburg haben ihre Einberufungsbescheide inzwischen erhalten. Diese sind in Russland auch digital hinterlegt und gelten automatisch als zugestellt.
Sie hoffen, dass das ihre Chancen auf Asyl in Deutschland erhöht und sie hier ein neues Leben beginnen können. Einen Weg zurück nach Russland sehen sie für sich nämlich nicht.