WM-Übertragung in Kneipen "Wenig Bock auf Fußball"
Boykottieren oder nicht? Für Fans ist das einfacher zu entscheiden als zum Beispiel für Kneipen. Einige setzen statt der WM-Übertragung auf ein kritisches Alternativprogramm, andere finden die Debatte zu spät.
"Boycott Qatar" - fast geschlossen haben die Fans des SC Freiburg und des 1. FC Union Berlin mit schwarzen Schildern am letzten Bundesligaspieltag im Stadion ein Zeichen gegen die WM in Katar gesetzt. Ähnliche Bilder gab es bei den anderen Bundesligisten. Sie machen deutlich: "Diese WM findet ohne uns statt."
Und die Welle des Boykotts schwappt aus den Stadien über auf viele Fußballkneipen, wie etwa das "Swamp" in Freiburg. Hier arbeitet Rudi Raschke. "Wir haben in dieser Zeit wenig Bock auf Fußball", macht er klar. Hinter der kleinen Kneipe am Rand der Innenstadt steht ein Verein, der sich für eine kritische und emanzipatorische Fußballkultur in Freiburg einsetzt. "Bei uns wird es diesmal kein Public Viewing geben", betont Raschke. Alternativ will der Verein an WM-Spieltagen kritische Lesungen zum Thema Katar anbieten.
Das Gemeinschaftserlebnis fehlt
Auch Kneipen in anderen Städten boykottieren die WM in Katar, so auch das "Mit Schmackes" in Dortmund. Zu den Inhabern gehört auch Ex-Nationalspieler und Weltmeister Kevin Großkreutz. Seine Kneipe werde keine WM-Spiele zeigen, auch wenn dies Umsatzeinbußen zur Folge habe. Stattdessen will die Gaststätte einen Teil der alljährlichen Weihnachts-Gutscheinaktion an die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spenden.
Die Stimmung ist bislang wenig weltmeisterlich. Nicht nur wegen der Menschenrechtslage in dem arabischen Land, sondern auch, weil ein wichtiger sozialer Aspekt fehlt, wie Henk Erik Meier von der Universität Münster erklärt. Er ist Professor für Sozialwissenschaften des Sports und Experte für Zuschauerforschung. "Was uns bei dieser WM fehlen wird, ist dieses Gemeinschaftserlebnis, dass man sich als Teil eines großen Ganzen sieht." Das sei im Sommer bei gutem Wetter leichter möglich. Jetzt im Winter fehlt es laut Meier an einer Mobilisierung der Fans. Denkbar sei jedoch, dass "die Menschen die WM zu Hause verfolgen, mit Freunden". Meier ist sicher: Je erfolgreicher die deutsche Mannschaft spiele, desto mehr Menschen sähen sich auch die Spiele an - trotz fehlender WM-Stimmung und Boykottaufrufen.
Gründe für den Boykott der Weltmeisterschaft gibt es aus Sicht der Fans viele. Sie kritisieren unter anderem die unwürdigen Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter sowie Korruption bei der WM-Vergabe. Die Freiburger präsentierten im Stadion auf großen, weißen Bannern Slogans wie "Imagepush durch Sportmissbrauch", "Vormundschaft der Frauen" oder "Keine Presse- und Meinungsfreiheit". Auf Empörung sind auch die offen schwulenfeindlichen Äußerungen des WM-Botschafters Khalid Salman gestoßen.
Kein Public Viewing in großen Städten
Auch in Kneipen, die die Fußball-WM zeigen wollen, ist das Bewusstsein für die Probleme in Katar präsent. Einen Boykott findet man hier aber nicht sinnvoll. Über der Zapfanlage im "Der Kaiser" in Freiburg hängt ein großes Schild: "Fußball ist unser Leben" - und das ist hier unübersehbar. Max Welte arbeitet in der Kneipe, die sich selbst Freiburgs Fußballtempel nennt. Er meint: "Grundsätzlich sind wir zehn Jahre zu spät, um das Thema jetzt so ins Schaufenster zu drücken." Wenn Deutschland spielt, werde man die WM übertragen, denn: "Die deutsche Mannschaft, die Spieler, die wir unterstützen, können nichts dafür."
Großes Public Viewing wird es aber in Freiburg bei dieser WM nicht geben. Und auch in anderen Städten wie München nicht: Im Olympiastadion und am Flughafen werden diesmal keine Großbildleinwände aufgebaut. Das liegt jedoch vor allem an der Kälte im Winter.
Keine einfache Entscheidung
Für die Fans im Freiburger "Swamp" oder "Der Kaiser" ist die Entscheidung, sich die Spiele anzusehen oder nicht, nicht einfach. "Dass die WM jetzt ausgerechnet in Katar sein muss, ist nicht gut. Aber ich werde es auf jeden Fall schauen", sagt zum Beispiel Rocco Bergemann. Dana Heisterberg hingegen will verzichten, auch weil bei ihr bislang keine WM-Begeisterung aufgekommen sei. "Ich schaue schon gerne Sport, weiß aber auch, dass es richtig wäre, die WM nicht zu gucken." Lasse Gombert hätte sich die Entscheidung gerne abnehmen lassen: "Am liebsten wäre es mir, wenn ganz viele Nationalmannschaften gemeinsam gesagt hätten: 'Wir machen das Ganze nicht'."
"Es herrscht ein großer öffentlicher Druck, sich von der WM in Katar zu distanzieren", sagt Meier von der Universität Münster. Viele Menschen seien auch empört über die Zustände in Katar. Trotzdem glaubt er, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich die WM ansehen wird. "Was mich stört, ist, dass sich dieser starke moralische Druck jetzt auf die Fußballfans konzentriert. Wenn so etwas passiert wie in Katar, dann ist der Endverbraucher das letzte Glied einer Gruppe, in der ganz viele Akteure und Institutionen versagt haben. Diese hätten tätig werden können und müssen."
In Freiburgs Fußballtempel "Der Kaiser" werden die WM-Spiele gezeigt. Max Welte hofft, dass Deutschland Weltmeister wird. Und dass so viele Leute wie möglich vor Ort in Katar eine klare kritische Haltung zum Ausdruck bringen. "Das ist das Einzige, was wir machen können."