Ärztlicher Bereitschaftsdienst Wenn die 116117 nicht erreichbar ist
Die 116117 als Nummer für den ärztlichen Bereitschaftsdienst verspricht medizinische Hilfe - rund um die Uhr. Nun häufen sich Beschwerden über schlechte Erreichbarkeit. Woran liegt das?
Dass sie nachts oft aufstehen müssen, daran haben sich Serdal Sahin und seine Schwester Pinar längst gewöhnt. Sie pflegen zu Hause in Stuttgart ihren 82-jährigen Vater, der an Alzheimer erkrankt ist. Pflegegrad fünf, betreuungsintensiv. Die Pflege, das Aufstehen, wenn zum Beispiel nachts ein Katheter getauscht werden muss, das kennen sie. Neu ist allerdings für das Geschwisterpaar, dass sie nachts manchmal ohne Hilfe dastehen.
"Das hat mich überrascht", sagt Serdal Sahin. "Ich habe beim ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der 116117 angerufen und musste 40 Minuten warten, bis da mal jemand abgehoben hat." Seine Schwester fügt hinzu: "Die Alternative wäre gewesen, die 112, also die Notrufnummer, anzurufen und denen zu sagen: 'Sorry, ich kann nicht anders, ich erreiche keinen beim Bereitschaftsdienst.'"
"Die Nummer mit den Elfen", so wirbt der Patientenservice für sich, der unter der 116117 erreichbar sein soll. Er verspricht "medizinische Hilfe in der Nacht, am Wochenende und an Feiertagen". Haus- und Fachärzte im Bereitschaftsdienst sollen unter dieser Nummer vermittelt werden, so heißt es auf der Homepage. Vorausgesetzt, die Vermittler sind erreichbar.
Callcenter statt Rettungsleitstelle
Doch oft sind sie nicht erreichbar - diese Erfahrung hat man beispielsweise in der Rettungsleitstelle Emmendingen, im Südwesten Baden-Württembergs, gemacht. Bis vor zwei Jahren haben sie hier noch die Anrufe der 116117 angenommen - jetzt landeten diese Anrufe bei einem Callcenter, erzählt Leiter Roland Schmucker.
Seither häuften sich Fälle wie dieser: "Eine Frau brauchte für ihren Vater palliativ Schmerzmittel, kam aber bei der 116117 nicht durch und wählte deswegen die Notrufnummer 112. Ich konnte ihr nicht helfen und bat sie, es weiter beim Patientenservice zu versuchen." Nach einer Stunde habe sich die Frau wieder gemeldet, sie war beim Callcenter nicht durchgekommen. Die Rettungsleitstelle schickte einen Krankenwagen, obwohl der Mann kein akuter Notfall war, und brachte ihn ins Krankenhaus.
Anrufe haben sich 2021 vervierfacht
Ein Grund für die schlechte Erreichbarkeit des Patientenservice mag sein, dass sich die Anrufe im Jahr 2021 bundesweit mehr als vervierfacht haben, auf insgesamt 77 Millionen, wie auf der Homepage zu lesen ist. Mehr als 80 Prozent dieser Anrufe seien Anfragen zu Corona gewesen. Denn die 116117 hilft nicht nur bei medizinischem Beratungsbedarf, sondern vermittelt auch Impftermine.
Für den Konstanzer Allgemeinmediziner Markus Fix ist das ein Unding. Er spricht vom "Missbrauch einer Notfallnummer": "Ich kann doch eine so wichtige Nummer nicht mit Dingen wie Terminvereinbarungen überlasten und damit riskieren, dass wirkliche Notfälle nicht mehr durchkommen."
Seit mehr als 20 Jahren ist der Arzt im Notfalldienst unterwegs. Seit der Umstellung auf die Callcenter hat er deutlich weniger zu tun. Vermutlich, weil die Patienten telefonisch bei der 116117 scheiterten und dann in der Not die 112 anriefen, glaubt er. Dann komme der Rettungswagen - beispielsweise für einen Magen-Darm-Infekt. "Und andererseits können Patienten, die keinen Arzt erreichen, natürlich auch schwere Schäden davontragen", so Fix. Er hält die Umstellung denn auch für unverantwortlich.
"Ich habe das Personal nicht dafür"
Bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Stuttgart heißt es, Neuerungen wie etwa die Umstellung auf ein Callcenter liefen anfangs nie störungsfrei. Das Hauptproblem sei allerdings, Personal für den Telefondienst zu finden: "Ein System zur Verfügung zu stellen, das genauso erreichbar ist wie der Rettungsdienst, innerhalb von Minuten, ist nicht bezahlbar. Und ich habe das Personal nicht dafür", so Johannes Fechner von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Trotzdem habe die KV keine Wahl. Der gesetzliche Auftrag sei, rund um die Uhr erreichbar zu sein. Deshalb die Callcenter.
In Mannheim und Bruchsal arbeiten dort immerhin schon mehr als 100 Beschäftigte für das Land Baden-Württemberg. Unterstützung bekommen sie derzeit noch aus Sachsen. Für den Konstanzer Allgemeinmediziner Fix ein weiteres Problem: "In Sachsen kennt man sich im Konstanzer Raum nicht aus. Ich kenne etliche Fälle, in denen Patienten deshalb in falsche Kliniken geschickt wurden."
Bei der Rettungsleitstelle Emmendingen hingegen hat man Verständnis für die Callcenter-Mitarbeiter: "Die tun uns auch leid", so Leiter Schmucker. Viele seien völlig überfordert mit der Situation. "Jeder Anrufer, den sie am Telefon haben, wird erstmal seine Sorgen und seine Wut ordentlich abladen." Im Moment gebe es deshalb eigentlich nur Verlierer - die Callcenter, die Leitstellen, die Ärzte. Und natürlich die Patienten.