Abstammungsrecht Wie lesbische Mütter benachteiligt werden
Das Abstammungsrecht lässt nicht zu, dass zwei Mütter ins Geburtenregister für ihr Kind eingetragen werden. Dabei geht es bei dem Gesetz gar nicht um die biologische Abstammung. Lesbische Paare fühlen sich diskriminiert.
Der dreijährige Liam sitzt mit seinen beiden Müttern am Küchentisch. Er rollt den Teig für die Pizza zum Mittag aus. Dehlia Lietzow hat Liam zur Welt gebracht. Damit aber auch Lydia Waldmann rechtlich Mutter sein kann, war das erste Jahr nach seiner Geburt von Behördengängen geprägt. Denn dem lesbischen Paar bleibt nur die Stiefkindadoption, mehr lässt das Gesetz in Deutschland nicht zu.
Die beiden Mütter fühlen sich diskriminiert. "Ich möchte für mein Kind sorgen, aber weil ich eine Frau bin, darf ich das nicht", sagt Lydia Waldmann.
Denn obwohl 2017 die Ehe für alle eingeführt wurde, wurden die nachrangigen Gesetze in Deutschland nicht angepasst. Darunter auch das Abstammungsrecht. Das sieht nicht vor, dass zwei Mütter ins Geburtenregister eingetragen werden. Dabei geht es bei der Regelung gar nicht um die biologische Abstammung des Kindes, sondern darum, ob Elternteile Verantwortung übernehmen.
"Das war für mich der Teil, an dem ich das ganze System einfach nicht mehr verstanden habe", sagt Dehlia Lietzow. "Ich hätte mit jedem Mann zum Standesamt gehen können und ihn als Ersatzvater eintragen können, da hätte niemand nachgefragt."
Stiefkindadoptionen sind für die Familien nervenzerrend
Das Paar hat sich deshalb für eine Stiefkindadoption entschieden. Einen behördlichen Akt, der Paaren wie ihnen viel abverlangt. Damit ihr eigener Sohn auch vor dem Recht ihr eigener Sohn sein darf, muss Lydia Waldmann Gehaltsnachweise vorlegen und in einem Lebensbericht tiefen Einblick in ihr Privatleben geben. "Das sind Dinge, die ich sonst meinen besten Freundinnen und Freunden erzählen würde, aber ich musste sie einer fremden Person erzählen."
In einem Hausbesuch musste sie dann einer Mitarbeiterin des Jugendamtes die Bindung zu ihrem eigenen Kind beweisen. 13 Monate hat dieser Prozess gedauert. 13 Monate, in denen Lydia Waldmann keinerlei Rechte für ihren Sohn hatte. Wäre Dehlia Lietzow in dieser Zeit etwas zugestoßen, dann wäre Liam im schlimmsten Fall vom Jugendamt in Obhut genommen worden.
Klagen vom Verfassungsgericht
Eine stichprobenartige Abfrage des NDR Niedersachsen bei größeren Städten hat ergeben: Seit der Einführung der Ehe für alle werden etwa die Hälfte aller Stiefkindadoptionen von lesbischen Paaren beantragt. Doch dabei ist das allenfalls eine Übergangslösung. Denn das Konstrukt ist dafür eigentlich gar nicht gedacht, weiß Rechtsanwältin Lucy Chebout. "Adoptivkinder haben andere Eltern und kriegen durch die Adoption neue Eltern zugeordnet. Das ist etwas fundamental anderes, als wenn das Kind von Geburt an mit beiden Eltern zusammenlebt, die es geplant haben, die es gezeugt haben, die die Schwangerschaft begleitet haben."
Chebout ist Teil der "Nodoption"-Initiative, die sich für eine gleichberechtigte Elternschaft von lesbischen Paaren einsetzt. Die Rechtsanwältin vertritt Familien, die vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, weil sie sich wegen des Abstammungsrechts diskriminiert fühlen. Sechs solcher Verfahren sind beim Bundesverfassungsgericht anhängig, zum Teil seit mehr als drei Jahren. Ein Verhandlungstermin - laut der Pressestelle des Gerichts ungewiss.
Familie Akkermann hat nicht adoptiert, sondern geklagt
Familie Akkermann aus Hildesheim bei Hannover ist eine dieser Familien. Sie hat nicht adoptiert, sondern geklagt. In den sozialen Medien dokumentieren sie ihren Weg mit dem Hashtag PaulahatzweiMamas.
Verena Akkermann ist überzeugt: "Paula ist kein Kind, das es zu adoptieren gibt, Paula hat zwei Mütter und die müssen auch ins Geburtenregister." Als ihre Frau Gesa Teichert-Akkermann Tochter Paula vor vier Jahren zur Welt bringt, sind die beiden Frauen schon viele Jahre ein Paar und verheiratet. Doch an der Situation hat das rechtlich nichts geändert. Der Platz für den zweiten Elternteil ist sowohl in Paulas Geburtsurkunde als auch im Geburtenregister leer.
"Wir kämpfen diesen Kampf für Paula und wir kämpfen ihn für alle anderen Regenbogenfamilien", sagt Verena Akkermann. Doch der Kampf ist auch risikobehaftet. Denn solange das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden hat, gilt Verena Akkermann rechtlich nicht als Mutter. Jeder Notfall, jeder Unfall bedeutet für sie deshalb Ungewissheit. Rechtsanwältin Chebout findet deutliche Worte: "Es ist ganz schlimm und betrüblich, dass es so lange dauert. In all dieser Zeit sind die Kinder und die Familien nicht abgesichert."
Verena Akkermann und Gesa Teichert-Akkermann empfinden das geltende Recht als diskriminierend - und klagen dagegen.
Bundesregierung plant Änderung des Abstammungsrechts
Die Bundesregierung plant eine Änderung des Abstammungsrechts. Die soll es möglich machen, dass beide Mütter ins Geburtenregister eingetragen werden können. Ein Gesetzentwurf soll noch vor der Sommerpause fertig gestellt werden. Ziel sei es, die Änderung noch in dieser Legislatur umzusetzen.
Gesa Teichert-Akkermann kritisiert, dass der Prozess so lange dauert und die Familien im Ungewissen gelassen werden. "Das ist ein eklatantes Versagen des Sozialstaats." Tochter Paula hat inzwischen zum Filzstift gegriffen und schreibt in großen grünen Buchstaben "Verena" in das leere Feld in ihrer Geburtsurkunde. Auch wenn dieser Kampf an den Nerven der Familie zerrt, sind die beiden Mütter sicher: Eines Tages wird neben Gesa Teichert-Akkermann auch rechtskräftig der Name von Verena Akkermann in den Dokumenten ihrer Tochter stehen.