Notfall Kinderklinik In schlechtem Zustand
Fehlende Betten, fehlendes Personal, zu wenig Geld: Die Kindermedizin ist in schlechtem Zustand. Eine Umfrage zeigt, dass das auch zu einer Gefährdung der jungen Patienten führt.
Florian Hoffmann ist Oberarzt auf der interdisziplinären Kinderintensivstation des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der Uniklinik München. Im Winter war auch diese Klinik überfüllt. Nun, im Sommer, sei es zwar viel entspannter, "aber es ist trotzdem so eng in den Kliniken, dass wir die Kinder nicht immer da unterkriegen, wo wir sie haben wollen", erzählt Hoffmann.
Die Betten in der Kindermedizin sind seit den 1990er-Jahren immer weiter abgebaut worden. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Die Kindermedizin ist aus Sicht vieler Kliniken meist ein Minusgeschäft. Denn die Versorgung von Kindern ist zeit- und personalintensiv. Zum Mangel an Betten kommt ein Mangel an Pflegefachkräften. Die ohnehin fordernde Arbeit verteilt sich so auf immer weniger Schultern.
Große Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen
Der NDR hat gemeinsam mit dem Hartmannbund, einem Berufsverband von Ärztinnen und Ärzten, eine bundesweite Umfrage gestartet. 630 Mediziner sowie Pflegefachkräfte in Kinderkliniken nahmen teil. 34 Prozent aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer geben an, mehrmals pro Woche über ihre persönliche Belastungsgrenze hinauszugehen. Weitere 41 Prozent tun dies mehrmals im Monat.
Zudem sagen fast zwei Drittel der Teilnehmenden der nicht repräsentativen Umfrage, dass sich ihre persönlichen Arbeitsbedingungen in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert haben. Vergleichbare Befragungen, die sich ausschließlich mit der Pädiatrie befassen, gibt es bislang kaum.
Zu wenig Zeit für eine gute Versorgung
Dies hat auch Folgen für die Patienten: Rund 40 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geben an, dass es aufgrund der hohen Arbeitsbelastung schon einmal zu einer Patientengefährdung in ihrer Kinderklinik gekommen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Umfrageteilnehmer in einer kleinen, mittelgroßen oder einer Universitätsklinik arbeiten.
Viele Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachkräfte schreiben, dass es an Personal fehle - nicht nur im pflegerischen, sondern auch im ärztlichen Bereich. Kinder könnten nicht zeitgerecht und nicht gründlich genug behandelt werden. Auch aufgrund von Übermüdung komme es immer wieder zu einer Fehl- oder Überdosierung von Medikamenten.
Viele verlassen die Kindermedizin
Wie ernst die Lage ist, zeigt auch eine Diskussion, die das ARD-Politikmagazin Panorama mit sechs Leiterinnen und Leitern der größten Kinderkliniken (Hannover, Göttingen, Berlin, Essen, Leipzig und München) geführt hat. Sie stellen fest, dass ihre Mitarbeitenden ausbrennen. Nicht nur Pflegekräfte, auch Ärztinnen und Ärzte verlassen demnach zunehmend die Kindermedizin. Die Lage spitzt sich seit zehn Jahren zu, erklärt Gesine Hansen von der Medizinischen Hochschule Hannover. "Im Gesundheitssystem stehen die Kinder tatsächlich eher in den letzten Rängen."
Die Gruppe ist sich einig: Es brauche eine grundlegende Strukturreform, die die Bedürfnisse von Kindern in den Mittelpunkt rückt und honoriert. "Wenn das nicht gelingt, dann wird es dazu führen, dass aufgrund des wachsenden ökonomischen Drucks immer mehr Kliniken vom Netz gehen, aber unstrukturiert." Marcus Mall von der Charité Berlin befürchtet weiter, dass es dann auch eine treffen könnte, die man eigentlich braucht.
Hoffnung Krankenhausreform?
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bestätigt gegenüber Panorama, dass die Kindermedizin chronisch unterfinanziert ist. Im Rahmen der Krankenhausreform soll die Kindermedizin zukünftig Sonderzuschläge erhalten. Wie hoch diese sein werden, ist jedoch noch unklar. Auf Nachfrage kritisiert der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hingegen, die Krankenhausreform dürfe nicht zu Lasten der Beitragszahlenden gehen, die bereits jetzt den Löwenanteil der Krankenhausfinanzierung stemmten.
Florian Hoffmann, der sich in der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) auch politisch engagiert, sagt, dass Pflegekräfte besser bezahlt und Kinderkliniken untereinander besser vernetzt werden müssten. Das würde kurzfristig die Strukturen verbessern. Denn mit Blick auf den nächsten Winter bekomme er schon jetzt ein bisschen Bauchweh.