Zwischen Zensur und Neuauflage Wenn Kinderbücher aus der Zeit fallen
Winnetou, Jim Knopf und zuletzt eine Zombiefigur bei Onkel Dagobert: Immer wieder geben Kinderbücher Anlass zur Debatte, wenn sie rassistische, sexistische oder nicht zeitgemäße Inhalte enthalten. Wie geht man damit um?
Es war nur ein kurzer Ausschnitt einer E-Mail, den der in Louisville (Kentucky) lebende Dagobert-Duck-Zeichner Don Rosa vor wenigen Wochen auf einer sozialen Plattform veröffentlichte. Aber der sorgte sofort für lebhafte Diskussionen und Spekulationen im Internet. "Im Rahmen ihres kontinuierlichen Engagements für Vielfalt und Inklusion überprüft die Walt Disney Company derzeit den Katalog ihrer Geschichten", stand dort zu lesen.
Ergebnis: Disney sieht zwei der von Don Rosa 1994 und 1995 veröffentlichten Geschichten als nicht zeitgemäß an. In beiden tritt die Figur "Bombie the Zombie" auf, ein ursprünglich von Carl Barks 1949 erdachter Charakter, der ein rassistisches Klischee erfüllt - der Zombie wird als dunkelhäutiger Mann, mit dicken Lippen, krausen Haaren und Ohrringen dargestellt.
Zensur oder Neubewertung?
Im Internet machten Bücher mit den kritisierten Geschichten sofort rasante Preissprünge. Einige Fans befürchteten eine Zensur und versuchten, sich noch vollständige Sammelbände zu besorgen, bevor man beim Lizenzgeber den weiteren Nachdruck untersagt.
Ein Kurzschluss auf beiden Seiten, meint Comic-Experte Alexander Braun. Der Kunsthistoriker sagt: "Bombie the Zombie war bei Carl Barks antikapitalistisch gemeint, nicht rassistisch", denn die Figur sollte sich an Onkel Dagobert rächen, der afrikanische Ureinwohner vertreiben ließ, um ihre Rohstoffe auszubeuten.
Besser als die Geschichten nicht mehr zu drucken, wäre es nach Meinung des Kunsthistorikers, eine erweiterte Neuausgabe aufzulegen. "Man muss dergleichen kommentieren und kontextualisieren", so Braun. "Jede Geschichte könnte im Anhang einen Begleittext erhalten, der die Entstehungsgeschichte historisch einbindet und erläutert."
Eine alte Debatte
Die jetzt entflammte Debatte ist nicht neu. "Bombie the Zombie" stand schon vor Jahren in der Kritik und wurde umgezeichnet. Zudem tobte vor rund zehn Jahren in Deutschland die sogenannte Kinderbuchdebatte. Auslöser war die damalige Familienministerin Kristina Schröder, die in einem Interview erklärte, sie ersetze ihren Kindern beim Vorlesen von "Pippi Langstrumpf" den im Buch verwendeten Begriff lieber durch Südseekönig. Später war es die Auseinandersetzung um "Die Kleine Hexe", bei der sich der Stuttgarter Verlag Thienemann dazu entschied, ein Wort zu streichen.
Eine ähnliche Debatte entbrannte um Jim Knopf, weil der kleine Junge stereotyp dargestellt werde. Zuletzt entschied sich der Ravensburger Verlag dazu, zwei Kinderbücher zu einem neuen Winnetou-Film vom Markt zu nehmen, weil auch hier der Vorwurf laut geworden war, die Bücher enthielten rassistische Stereotype.
Eine Patentlösung gibt es nicht
"Das Bewusstsein in der Branche ist geschärft", sagt Thomas Koch, Sprecher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Empfehlungen an die Verlage gibt der Börsenverein nicht, das wäre ein Eingriff in deren Programmgestaltung. "Aber jeder Verlag guckt schon sehr genau, wie man mit möglicherweise problematischen Passagen umgeht", so Koch.
Ein Patentrezept hat auch Felix Giesa nicht. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Kinder- und Jugendbuchforschung in Frankfurt plädiert allerdings ebenfalls für historisch-kritische Begleittexte. "Im Nachwort der 2010 erschienenen Neuübersetzung von Mark Twains Huckleberry Finn wird zum Beispiel angemerkt, dass der Roman sicher keine zeitgemäße Lektüre für afroamerikanische Jugendliche sei. Er sei aber eben auch ein zentraler Text der amerikanischen Literaturgeschichte und in diesem Spannungsverhältnis müsse man den Text sehen und lesen", erklärt Giesa.
Überarbeitungen sind die Regel
Zudem sei die Überarbeitung von Literatur für Kinder historisch gesehen nichts Neues, sondern eher die Regel, meint der Wissenschaftler. "Eine Figur wie Heidi würden heutige Kinder, oder auch meine Generation, die mit unterschiedlichen Serien und Filmen aufgewachsen sind, in der Originalfassung von Johanna Spyri nicht wiedererkennen. Gleichzeitig wurden Kinderbücher aus der Zeit des Nationalsozialismus in gesellschaftlich angepasster Form noch lange in der Bundesrepublik verlegt", so Giesa. "Der literarische Gegenstand erweist sich einem solchen Umgang gegenüber als flexibel genug. Die Frage ist eben, ob er kulturell auch angemessen ist."
Kunsthistoriker und Comicexperte Braun ergänzt: "Wenn wir ehrlich sind, haben viele Geschichten, auch oder gerade im Comic, es verdient, in der Versenkung zu verschwinden. Schwierig ist es bei Kindern ihrer Zeit, die auch viele gute Aspekte beinhalten." Deshalb rät er davon ab, umstrittene Geschichten nicht mehr zu veröffentlichen. "Verbergen ist gleichbedeutend mit Schweigen. Aber wir müssen über diese Dinge reden."