Gutachten von Konfliktforschern "Kein Frieden in Sicht"
Konfliktforscher erwarten einen langen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Man müsse Waffen liefern, Verhandlungen mitdenken und hoffen, dass sich kleine Türen der Diplomatie öffnen - doch Frieden sei noch lange nicht in Sicht.
"Noch lange kein Frieden" - so bedrückend ist schon der Titel des knapp 150 Seiten starken Gutachtens. Renommierte Fachleute aus der Friedensforschung haben die Analyse zusammengestellt. Und zeichnen ein ernüchterndes Bild beim Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine: "Nach allem, was wir in der Forschung über zwischenstaatliche Kriege wissen und darüber, wie dieser Krieg verläuft, ist in naher Zukunft kein Frieden in Sicht."
So lautet die Analyse der Frankfurter Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff. Weil der Aggressor Russland nicht von seinen Zielen abrücke. Die Experten und Expertinnen, die das Gutachten jährlich gemeinsam erstellen, widersprechen ausdrücklich denen, die einen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine fordern.
Russland könnte weitere Länder bedrohen
Stattdessen warnen sie: "Ein Einstellen der militärischen Unterstützung der Ukraine zugunsten von sofortigen Friedensverhandlungen wie es bisweilen - und jüngst kam wieder einer - in offenen Briefen, Manifesten und teils auch Demonstrationen gefordert wird, wird nach unserem jetzigen Wissensstand keinen nachhaltigen Frieden bringen."
Denn dann - da sind sich die Forschungsinstitute einig - würde die Ukraine den Krieg verlieren, Russland würde die gesamte Ukraine kontrollieren - mit allen schon bekannten Methoden von Folter, sexueller Gewalt, Verschleppung bis hin zu Tötungen. Und noch mehr: Russland würde dann womöglich weitere europäische Länder bedrohen.
Friedensforscherin Nicole Deitelhoff: Ausloten, ob sich irgendwo kleine Türen öffnen.
Empfehlung: Waffenlieferungen fortsetzen
Die Empfehlung an die Bundesregierung lautet deshalb, die Waffenlieferungen an die Ukraine fortzusetzen. Doch dabei soll es nicht bleiben. Auch wenn Friedensverhandlungen derzeit keine realistische Option sind, sie müssten schon mitgedacht und geplant werden. Für den fernen Tag, wenn es so weit ist.
Friedensforscherin Deitelhoff macht konkrete Vorschläge, etwa Staaten und geeignete Persönlichkeiten in einer internationalen Kontaktgruppe zusammenzuführen und in Kooperation mit gleichgesinnten Regierungen mögliche Verhandlungsgegenstände zu skizzieren und Lösungsansätze zu diskutieren.
Mit dem Kreml in Kontakt bleiben
Wer könnte wie und mit wem eines Tages verhandeln? Das ist die Frage. Aber auch heute sollte die Bundesregierung mit den Verantwortlichen im Kreml auf gewisse Art in Kontakt bleiben, lautet ein Appell. Nach Einschätzung der Expertin finden solche Gespräche im Geheimen ohnehin weiter statt. Dabei gehe es nicht darum, Putin unnötig zu hofieren, so Deitelhoff: "Im Grunde geht es darum auszuloten, ob irgendwo Aufweichungen stattfinden, ob sich irgendwo kleine Türen öffnen."
Bis sich solche Türen für Verhandlungen richtig öffnen, wird es wohl noch lange dauern. Für die Hamburger Sicherheitsexpertin Ursula Schröder ist es deshalb entscheidend, dass die Politik den Menschen noch deutlicher macht,
dass wir es mit einem langen Krieg zu tun haben werden, dass die deutsche Bevölkerung sich darauf einstellen muss, dass hier Ressourcen aufgewendet werden müssen, die hoch sind, die sogar sehr hoch sein können, und dass diese Situation nicht bis zum Sommer nächsten Jahres vorbei sein kann.
Es ist eine bittere Schlussfolgerung der Friedensforschung - die wohl noch lange Zeit vor allem über Krieg sprechen muss.