Missstände bei Kinderkuren DAK bittet "Verschickungskinder" um Entschuldigung
Abschottung, Demütigung und sexualisierte Gewalt - darüber berichten ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Kinderkuren in der Nachkriegszeit. Die Krankenkasse DAK hat sie nun um Verzeihung gebeten.
Die Krankenkasse DAK-Gesundheit hat sogenannte Verschickungskinder um Entschuldigung gebeten. Sie stellte eine Studie vor, die Misshandlungen in Kinderkuren zwischen den 1950er- und 1990er-Jahren offenlegt.
Der Untersuchung zufolge hat es häufiger Fälle von körperlicher Gewalt und Demütigung gegeben sowie vereinzelt von sexuellen Übergriffen. Zudem hätten viele Kinder während der mehrwöchigen Aufenthalte in Heimen und Kliniken unter Einsamkeit, Heimweh und strengen Erziehungsmethoden gelitten.
DAK zeigt sich betroffen
DAK-Vorstandschef Andreas Storm sagte, es gehe um eine "dunkle Seite" in der Geschichte der Krankenkasse. Er versicherte, "die dokumentierten Missstände in Kinderkurheimen sind mit den Werten der DAK in keiner Weise vereinbar". Es sei ihm ein tiefes Bedürfnis, alle "von Herzen um Entschuldigung zu bitten", die in den Kuren Leid erfahren hätten.
Die DAK hatte die Studie bei dem Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl in Auftrag gegeben. Sie sei damit die erste Krankenkasse, die die Geschichte der "Verschickungskinder" umfassend aufgearbeitet habe, hieß es.
Schmuhl zufolge hatten in den Kliniken und Heimen strukturelle Faktoren, pädagogische Vorstellungen und das Kinderkurkonzept so ineinandergegriffen, dass sie einen "Nährboden für die Entstehung einer Subkultur der Gewalt" schufen.
Die Erfahrungen, die ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Befragungen schilderten, seien mit denen vergleichbar, die aus anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder der Psychiatrie aus dieser Zeit bekannt seien, so Schmuhl. "Es handelte sich definitiv nicht um Einzelfälle."
"Ein breites Spektrum von Gewaltformen"
Grundlage der Studie seien vor allem ausführliche Befragungen gewesen. Schmuhl zufolge ergibt sich daraus "ein breites Spektrum von Gewaltformen". Es habe beispielsweise eine rigorose Abschottung von der Außenwelt gegeben. Die Kinder seien ständiger Kontrolle und rigiden Tagesstrukturen ausgesetzt gewesen. Außerdem seien ihnen persönliche Gegenstände weggenommen und Drohungen ausgesprochen worden. Auch verbale Herabsetzungen habe es gegeben.
Zudem hätten die ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer von demütigenden Strafen und Gewalt von Ohrfeigen über das Einsperren in einen Schrank bis hin zu sexuellen Übergriffen berichtet.
Bundesweit gab es etwa zehn Millionen Kinder und Jugendliche, die von den 1950er-Jahren an für mehrere Wochen zur Kur geschickt wurden, darunter bis zu 450.000 bei der DAK versicherte. Die Kasse hatte eigene Heime auf Sylt, im Schwarzwald und in Bad Sassendorf in Nordrhein-Westfalen.
Seit 1993 gibt es keine reinen Kindererholungskuren mehr. An der Organisation der Kinderkuren waren den Angaben zufolge neben Kommunen, Jugendämtern und Krankenkassen auch Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und Caritas beteiligt.