FC Bayern München Die Retro-Revolution
Nach einer denkwürdigen Saison wird der FC Bayern wieder mal Deutscher Meister - und ist trotzdem in der Krise. Angeführt von Uli Hoeneß soll die alte Garde den Verein nun in die Zukunft führen.
Am Ende war dann doch alles wie immer. Wochenlang hatten die Fans von Borussia Dortmund darauf hingefiebert, dass ihre Mannschaft den FC Bayern endlich vom Thron stoßen würde - der Unterstützung aus fast ganz Fußballdeutschland konnten sie sich gewiss sein. Schließlich hatten die Übermächtigen aus München lange nicht mehr so schlagbar gewirkt.
Doch daraus wurde bekanntlich nichts. Der Deutsche Meister heißt wieder einmal FC Bayern. Wieder einmal stemmten Thomas Müller, Manuel Neuer und Co. die Trophäe in die Luft, wieder einmal versammelten sich tags darauf einige Tausend Fans am Münchner Marienplatz. Trotz des dramatischen Finishs in der Bundesliga war die Stimmung aber ähnlich mau wie schon in vergangenen Jahren.
Wenn ständiges Gewinnen satt macht
Die Meisterfeier auf dem Rathausbalkon ist zu einem gewohnten Ritual geworden. Vorbei die Zeiten, als Fans massenweise in die Münchner Innenstadt pilgerten, um noch irgendwie einen Zentimeter Raum auf dem überfüllten, euphorisierten Marienplatz zu ergattern. Vorbei die Zeiten, als wichtige Siege so heftig auf der Leopoldstraße gefeiert wurden, dass mehrmals pro Saison der Verkehr für Stunden lahm lag.
Auch deshalb hörte man vor dem letzten Spieltag selbst von eingefleischten Bayernfans immer wieder, dass ein Jahr ohne Titel gar nicht so schlecht täte. Das ständige Gewinnen hat satt gemacht, abgestumpft. Ohne ein zwischenzeitliches Tief wecken die ewigen Hochs nicht mehr die ganz großen Gefühle. So verwundert es auch nicht, dass in den Biergärten und Kneipen der Stadt derzeit nicht der große sportliche Erfolg - die elfte Meisterschale in Serie - das Hauptthema ist, sondern dass, was schiefgelaufen ist - und was nun kommt.
Revolution als Rückschritt
Denn der FC Bayern ist zerrütteter als nach einer großen Niederlage. Die Selbstdemontage, die mit der unrühmlichen Entlassung von Coach Julian Nagelsmann begonnen hatte, fand ihren vorläufigen Höhepunkt unmittelbar nach dem Schlusspfiff in Köln. Der Doppel-Rauswurf von Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic machte die Runde - und den Freudentaumel der Spieler auf dem Rasen schnell zur Nebensache.
Anders als in vergangenen Bayern-Krisen wird es diesmal keinen Schritt nach vorne geben, keine Innovationen. Die nächste Revolution ist eher ein Schritt zurück. Jahrelang hatten die Klubgranden Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge ihren Abschied vom FC Bayern vorbereitet. Die beiden Männer, die den FC Bayern groß machten, hatten sich vor ihrem Rückzug Kahn und Salihamidzic als Nachlassverwalter auserkoren. Die ehemalige Vereinslegenden sollten den Verein in ein neues Zeitalter führen und die nächste Ära prägen.
Hoeneß bangt um sein Lebenswerk
Dieser Plan ist nur anderthalb Jahre nach Rummenigges Abschied gescheitert. Kahns größter Fehler war, die Abnabelung von den alten Granden zu sehr zu forcieren. Immer wieder hatte Hoeneß moniert, dass Kahn kaum seinen Rat suche, dass er sich isoliere. Ein Vorwurf, den er in seinem ersten Interview nach Kahns Entmachtung wiederholte: "Die große Enttäuschung liegt darin, dass ich gedacht habe, er könnte das Amt qua seiner Persönlichkeit allein ausfüllen, doch er hat sich stattdessen mit seinen Beratern umgeben", sagte Hoeneß dem Magazin "Kicker".
Schon Ende April konnte man erahnen, dass Hoeneß die Situation beim FC Bayern, seinem Lebenswerk, nicht weiter aus der Ferne verfolgen wird. Der Verein war gerade aus der Champions League ausgeschieden und hatte gegen Mainz erneut die Tabellenführung in der Liga verloren, da machte Hoeneß seine öffentlichkeitswirksame Aufwartung am Trainingsgelände der Münchner. Es war das Vorspiel eines größeren Knalls. Ein Donnergrollen in der Ferne, das das große Gewitter ankündigen sollte, das sich nach dem Abpfiff des letzten Bundesligaspiels über dem FC Bayern entladen sollte.
Rückkehr der alten Crew
Nun ist Hoeneß mit seinen 71 Jahren also wieder der starke Mann beim FC Bayern. Als Trümmermann für den Wiederaufbau, für die Generalsanierung. Mehr Ruhe soll in den Verein einkehren. Zudem muss der Kader umgebaut werden. Die Verpflichtung eines Mittelstürmers, den die Münchner in dieser Saison so schmerzlich vermisst haben, dürfte dabei nur eine der vielen Baustellen sein. Nach dem Schrecken einer fast titellosen Saison, will Hoeneß diese Aufgabe zusammen mit seinen alten Vertrauten angehen: Mit Präsident Herbert Hainer (68), dem Kahn-Nachfolger Jan-Christian Dreesen (55) und mit Karl-Heinz Rummenigge (67). Es ist die alte Crew, mit der der FC Bayern 2013 und 2020 das Triple feiern konnte, den größten Erfolg der Vereinsgeschichte.
Doch der Verein hat sich gewandelt. Ob die alte Konstellation in neuer Rollenverteilung also wieder so erfolgreich agieren kann, ist ungewiss. In den vergangenen Jahren hat sich der Verein immer weiter fortentwickelt - vom familiären Fußballklub hin zum Wirtschaftsunternehmen.
Mehr Zahlen als Emotionen
Kahn-Nachfolger Dreesen ist ein Mann aus der Wirtschaft. Ein aktiver Fußballer war er nie, schon gar keine Vereinslegende. Und auch Präsident Hainer ist ein eher nüchterner Zahlenmensch. Emotionale Anführer wie Hoeneß und Rummenigge sind sie nicht.
Wie passend daher auch die Worte, mit denen Hainer den neuen "CEO" Dreesen vorstellte: "Er ist seit zehn Jahren im Unternehmen", sagte Hainer und vermied dabei das Wort Verein. Und auch im Anschluss verwendete er Worte wie "Belegschaft", "Stabilität" und "Sicherheit". Nach großen Emotionen, die viele Bayernfans vermissen, hört sich das nicht an.
Gegenwärtig besteht der Aufsichtsrat aus acht Mitgliedern, darunter auch Ehrenpräsident Uli Hoeneß. Die Vereinsführung dürfte sich auch mit der Planung der kommenden Saison befassen. Ein Nachfolger für Sportvorstand Salihamidzic wird mittelfristig noch gesucht. Außerdem steht die Sommer-Transferperiode bevor.