Antisemitismus in der Schule Wie umgehen mit Hass und Hetze gegen Juden?
Seit dem Terrorangriff der Hamas gegen Israel haben Lehrerinnen und Lehrer häufiger mit Antisemitismus in der Schule zu tun. Hochschulen reagieren mit neuen Studienangeboten, um junge Pädagogen zu stärken.
Immer wieder ist auf dem Schulhof oder bei der Fahrt im Schulbus "Du Jude" als Schimpfwort zu hören. Auch an Realschulen oder Gymnasien bemerken Lehrerinnen und Lehrer vor allem bei jüngeren Schülern unter 16 Jahren, dass sie antisemitische Formulierungen bewusst übernehmen oder sie fahrlässig nachplappern.
In Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Hessen, in denen die Anzeige von antisemitischen Handlungen in Schulen Pflicht ist, ist die Zahl der gemeldeten Vorfälle zwar nur leicht gestiegen. Doch die Dunkelziffer ist nach Ansicht von Michael Blume hoch.
Blume ist Antisemitismus-Beauftragter der baden-württembergischen Landesregierung. Seiner Erfahrung nach wird oft nicht erfasst, wenn Rap-Texte mit antisemitischem Inhalt auf Schulhöfen weiterverbreitet werden.
"Lehrer haben gutes schriftliches Material, um über Antisemitismus im Unterricht professionell aufklären zu können", sagt Blume. Doch fehlten an den Schulen häufig digitale Medien, mit denen Jugendliche mittels Videos oder Erklär-Podcast besser informiert werden könnten.
Michael Blume ist der Antisemitismusbeauftragte für Baden-Württemberg.
Antisemitische Bildsprache in Rap-Videos
Katrin Streif, Geschichtslehrerin am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Stuttgart, berichtet von einem Rap-Song, der in einer ihrer Klassen intensiv diskutiert wurde. Sie hat mit ihren Schülern den Song "Apocalypse" des Rappers "Kollegah" analysiert. Im Video zum Song sitzt eine Figur vor einem Bildschirm und kontrolliert das Weltgeschehen. An einem Finger trägt sie einen Ring mit einem Davidstern.
Vielen Schülern war aus Sicht der Lehrerin nicht aufgefallen, dass in dem Video auf subtile Weise antisemitische Narrative transportiert werden. In nur einer Unterrichtsstunde haben in diesem Fall Schülerinnen und Schüler viel über antisemitische Bildsprache gelernt. Aber es sind meist nur die jüngeren Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Klassen intensivere Einblicke in Internet-Foren bieten können und auch populäre Influencer-Auftritte hinterfragen.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, spricht von einem "Defizit in den Schulen, weil diesem Thema im schulischen Umfeld nicht die Bedeutung gegeben wird, die man ihm geben müsste". Seiner Erfahrung nach sind Fachlehrer für Naturwissenschaften oft überfordert, wenn in ihren Unterrichtsstunden plötzlich antisemitische Parolen auf Schulbänken auftauchen oder in der Klasse Judenhass und verunglimpfende Vorurteile gegenüber jüdischen Menschen in Deutschland die Runde machen.
Offenkundig werde bislang bei der Lehrerausbildung zu wenig Wert darauf gelegt, Pädagogen auf eventuell auftretenden Antisemitismus im Schulunterricht vorzubereiten, sagt Schuster.
Unis stärken Lehrer im Umgang mit Antisemitismus
An der Universität Würzburg wird als Reaktion auf diese Entwicklung an Schulen ein eigener Studiengang "Antisemitismus" angeboten. Und an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Ludwigsburg können Studierende über mehrere Jahre in einem neuen Studienprofil Fachwissen für den Umgang mit antisemitischen Meinungen und Haltungen unter Schülern aufbauen.
Tobias Arand, einer der Professoren, die dieses Studienprofil entwickelt haben, will seinen Studierenden mit dieser freiwillig zu wählenden Zusatz-Ausbildung vor allem Wissen über die Entstehung von Antisemitismus oder wichtige Details zum jüdischen Alltagsleben vermitteln.
"Bei Umfragen unter Studierenden an unserer PH stellen wir immer wieder fest, dass sie zu wenig wissen über ganz alltägliche Vorurteile gegenüber Juden", sagt Arand. "Zum Beispiel, dass zu Beginn der NS-Zeit in Deutschland viele jüdischen Einwohner eben nicht reich und geschäftstüchtig waren, sondern eher bescheiden leben mussten."
Tobias Arand stellt fest, dass viele Lehrer zu wenig über Antisemitismus wissen.
Zu wenig Wissen über jüdisches Leben in Deutschland
Arand hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen an der PH Ludwigsburg auch untersucht, warum die Formulierung "Du Jude" wieder zunehmend unter Schülerinnen und Schülern als Schimpfwort verwendet wird. Seiner Einschätzung nach werden manche Jugendliche auch im Elternhaus mit rechtsextremem Gedankengut konfrontiert.
Andere übernehmen Vorurteile gegenüber Juden, die ihre Eltern aus dem Nahen Osten mit nach Deutschland gebracht haben. Allerdings sagt Arand auch, dass der muslimische Antisemitismus im Moment zwar in der deutschen Öffentlichkeit stark diskutiert werde, die wirkliche Gefahr aber seiner Einschätzung nach vom rechtsextremen Antisemitismus ausgehe. Dieser sei quantitativ stärker verbreitet als der muslimische in Deutschland, so Arand.
Weitere Informationen zu dem Thema gibt es im SWR-Podcast "Die Schule brennt" in der ARD-Audiothek.