Angriffe in Kliniken "Angst, dass es uns bald auch mal trifft"
Gewaltsame Angriffe auf Krankenhausmitarbeiter nehmen zu. Im Klinikum Leverkusen werden Beschäftige deshalb mit Schulungen auf gefährliche Situationen vorbereitet. Der Schulungsleiter ist Chefarzt und Kampfsportler.
"Ich warte schon seit 30 Minuten auf mein Rezept!", brüllt Chefarzt Marc Busche seiner Kollegin entgegen. Die Situation ist Teil eines Schulungsseminars am Klinikum Leverkusen. Busche spielt einen aufgebrachten Patienten, seine Kollegin eine Pflegekraft. Als die Kollegin ihn dazu auffordert, sich hinzusetzen, schlägt der "Patient" ihr ins Gesicht.
Die Situation wird in zwei Szenarien vorgespielt. In der ersten Variante ist die Kollegin ungeschützt und gerät durch den Schlag ins Taumeln. In der zweiten Variante schützt sie sich, indem sie ihren Arm eng an ihr Gesicht presst. Nachdem sie den Schlag so abgewehrt hat, stößt sie den Angreifer kräftig weg.
Chefarzt Marc Busche beim Selbstverteidigungstraining mit Klinikmitarbeitern.
Kampfsportler im Kittel
Um die beiden herum stehen mehrere Klinik-Mitarbeiter. Busche erklärt ihnen, worauf es ankommt: Abstand vom Angreifer, Arme vor den Körper und sicherer Stand. Marc Busche ist nicht nur Chefarzt für plastische Chirurgie, er macht auch seit mehr als 30 Jahren Kampfsport und leitet das Gewaltschutztraining am Klinikum.
Das Klima im Krankenhaus sei in den vergangenen Jahren definitiv rauer geworden, sagt er. Patienten oder deren Angehörige werden beispielsweise aggressiv, weil sie die Wartezeit in der Notaufnahme als zu lang empfinden.
Sicherheitsdienste an Kliniken seien zwar durchaus sinnvoll, so der Chefarzt, wenn ein Patient aber plötzlich ausraste, dauere es zu lange, bis sie vor Ort seien. Deshalb bietet das Klinikum Leverkusen seit etwa zwei Jahren das Gewaltschutztraining an. Zunächst wurde schwerpunktmäßig das Personal in der Notaufnahme geschult, nun werden die Kurse auf alle Mitarbeiter ausgeweitet.
NRW: Starker Anstieg der Gewalttaten
Nicht alle Gewaltvorfälle an Kliniken werden gemeldet und statistisch erfasst, allerdings ist aus der Polizeilichen Kriminalstatistik NRW ein deutlicher Anstieg abzulesen. Im Jahr 2019 gab es in nordrhein-westfälischen Krankenhäusern demnach 1218 Gewalttaten, im vergangenen Jahr waren es 1705 Fälle. Zu diesen Gewalttaten zählen neben Körperverletzung auch Raub- und Freiheitsdelikte.
Für besonderes Aufsehen hatte vor etwa zwei Wochen eine Prügel-Attacke in Essen gesorgt, bei der sechs Klinik-Mitarbeiter verletzt worden sind. Solche Nachrichten verfolgen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Leverkusen sehr aufmerksam, erzählt Alissa Gallo. Sie arbeitet am Empfang der Notaufnahme "direkt an der Front", wie sie sagt.
"Wir reden oft im Team darüber und haben Angst, dass es uns bald auch mal trifft." Verbale Gewalt in Form von Beleidigungen und Drohungen begegnen ihr in ihrem Arbeitsalltag häufiger, sagt die junge Frau. Sie sei im Dienst auch schon von einem Patienten bespuckt worden.
Auch Umgang mit Messerangriffen wird geübt
Im Gewaltschutztraining lernt sie unter anderem, wie sie sich bei Schlägen schützen und aus Würgegriffen befreien kann. Auch der Umgang mit Messern wird thematisiert. Einen Messerangreifer zu entwaffnen sei gefährlich und nahezu aussichtslos, sagt Schulungsleiter Busche. "Die erste Regel ist immer: Wenn ich kann, laufe ich weg." Sollte das nicht möglich sein, empfiehlt er, Hilfsgegenstände zu nutzen, beispielsweise einen Besenstil, einen Stuhl oder auch Kleidungsstücke.
Zu Vorführungszwecken nimmt er seinen Arztkittel und schlägt damit auf seine Kollegin ein, die mit einem Spielzeugmesser bewaffnet vor ihm steht. "Ich treffe den Kopf und die Augen und kann dann die angreifende Person damit so ablenken, dass ich weglaufen kann", ruft Busche, während er seinen Kittel schwingt. Alternativ empfiehlt er, mit Münzen oder anderen Gegenständen nach dem Messerangreifer zu werfen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden die Schulung an ihrer Klinik sinnvoll. Es sei aber auch traurig, dass sie überhaupt notwendig ist, sagen einige von ihnen. Denn eigentlich sei es doch ihr Beruf, anderen Menschen zu helfen.