Ministerin Aigner gegen Lockerungspläne der EU-Kommission Nulltoleranz für unsichere Gentechnik in Lebensmitteln
Agrarministerin Aigner will verhindern, dass die EU-Kommission die Regeln für Gentechnik in Lebensmitteln lockert. Bislang dürfen diese einen geringen Anteil an genmanipuliertem Material ohne Extra-Kennzeichnung enthalten - aber nur, falls es als sicher bewertet wurde. Das will die EU-Kommission ändern.
Gentechnisch verändertes Material, dass von der EU nicht als sicher bewertet wurde, soll auch künftig nicht mal in Spuren in Lebensmitteln zu finden sein. Darauf pocht Bundesagrarministerin Ilse Aigner - im Gegensatz zur EU-Kommission, die diese Regelung lockern möchte.
Bislang darf die Lebensmittelindustrie bei Lebensmitteln, die zufällige oder technisch unvermeidbare Beimischungen von genmanipuliertem Material bis zu einem Schwellenwert von 0,9 Prozent enthalten, auf eine Extra-Kennzeichnung verzichten - falls es sich um Spuren von in der Europäischen Union zugelassenen und als sicher bewerteten gentechnisch veränderten Organismen (GVO) handelt.
Ist das gentechnisch veränderte Material nicht zugelassen, darf es überhaupt nicht in Lebensmitteln vorkommen. Die EU-Kommission will diese Nulltoleranz künftig aufheben und einen gewissen Anteil genetisch veränderten Materials erlauben. Aus Sicht der CSU-Politikerin Aigner würde eine Lockerung "dem Ziel einer umfassenden Verbrauchertransparenz widersprechen", sagte Aigners Sprecher Holger Eichele.
Im "Honig-Urteil" wurde Nulltoleranz-Prinzip bekräftigt
Das Ministerium sehe sich in seiner Position vom Europäischen Gerichtshof bestätigt, der im sogenannten "Honig-Urteil" vom September 2011 das Prinzip der Nulltoleranz nochmals ausdrücklich bekräftigt habe. Danach gilt die Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel unabhängig vom Anteil des gentechnisch veränderten Materials in dem Produkt, also auch bei minimalen Spuren. Anders sieht das aus bei Futtermitteln, dort sind die Regeln für Spuren gentechnisch veränderter Pflanzen weniger streng. Das will die EU-Kommission, zum Unwillen Aigners, nun auch auf Lebensmittel übertragen.
Große Teile der Lebensmittelwirtschaft, vor allem die Importeure von Agrarrohstoffen, fordern, dass die Gentechnik-Regelungen für Futtermittel auf Lebensmittel übertragen werden. Die Warnungen der Importeure vor Versorgungsengpässen bei Importfutter- und -lebensmitteln wegen des Nulltoleranz-Prinzips haben sich nach Erkenntnissen von Aigners Ministerium bisher aber nicht bestätigt, hieß es.
FDP-Fraktion sieht derzeitigen Zustand als "untragbar"
Gegenwind bekommt das Verbraucherministerium aus der FDP: "Wachstum und Wohlstand erreichen wir nur, wenn wir modernen Technologien aufgeschlossen gegenüberstehen. Das betrifft auch die Gentechnik", sagte Wirtschaftsminister Philipp Rösler den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". "Es macht keinen Sinn, wenn wir uns von vornherein einer Technologie verschließen."
Die FDP-Bundestagsfraktion befürwortet ebenfalls den Weg der EU-Kommission, da dieser Rechtssicherheit für die Unternehmen bedeute, sagte die ernährungs- und landwirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, Christel Happach-Kasan, der Nachrichtenagentur AFP. Der derzeitige Zustand sei "untragbar": Es mache keinen Sinn, für Futter- und Lebensmittel unterschiedliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Durchsetzung der Nulltoleranz koste viel Geld, ohne dass dem ein Nutzen für die Verbraucher gegenüberstehe, sagte die FPD-Politikerin.
Kennzeichnungspflicht seit 2004
Seit 2004 gilt die europäische Regelung zur Gentechnikkennzeichnung. Danach müssen Lebensmittel gekennzeichnet werden, wenn sie gentechnisch veränderte Organismen enthalten, aus solchen bestehen oder hergestellt wurden oder Zutaten enthalten, die daraus hergestellt wurden. Ausnahmen bilden die genannte 0,9-Prozent-Schwelle, sowie mithilfe von GVOs erzeugte Lebensmittel wie Fleisch, Milch oder Eier von Tieren, die Futtermittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen erhalten haben.
Will der Verbraucher auf Nummer sicher gehen, mit keinerlei gentechnisch verändertem Material in Berührung zu kommen, kann er auf Produkte mit dem freiwilligen Label "gentechnikfrei" zurückgreifen - darin darf nur enthalten sein, was auch draufsteht.