Interview

Interview zum Streit um den FDP-Vorsitzenden "Westerwelle ist irreparabel beschädigt"

Stand: 20.12.2010 16:57 Uhr

Die FDP müht sich, die Debatte um ihren Vorsitzenden zu beenden, doch die Frage nach der Zukunft von Guido Westerwelle steht im Raum. Wie lange kann er sich noch angesichts miserabler Umfragewerte im Amt halten - und ist die Debatte angesichts zu erwartender Niederlage bei den kommenden Landtagswahlen nur vertagt? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Politikwissenschaftler Wichard Woyke.

tagesschau.de: Warum steht Guido Westerwelle so schlecht in den Meinungsumfragen da?

Wichard Woyke: Westerwelle ist immer schlecht in der Öffentlichkeit angekommen. Er gab immer in den Medien ein Bild ab, das zu Kampf einlud - als Vorsitzender der Jungen Liberalen, als FDP-Generalsekretär und als Parteivorsitzender.

tagesschau.de: Liegt das an den Medien oder an der Persönlichkeit Westerwelles?

Woyke: Das liegt nicht nur an den Medien, sondern auch an spezifischen Eigenheiten Westerwelles - an der Art, wie er auf Angriffe reagiert hat. In der Defensive hat er sich immer mehr in Attacken gesteigert - denken Sie an den stakkatohaften Ausruf 'Ihr kauft mir den Schneid nicht ab' auf dem Parteitag der nordrhein-westfälischen FDP in Siegen im März. Er hat hier wie in anderen Debatten auch immer übertrieben und nicht das richtige Maß gefunden.

Zur Person

Wichard Woyke ist Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. das politische System Deutschlands und die europäische Integration.

tagesschau.de: Andere Außenminister vor ihm haben von dem Amt profitiert und gut in den Meinungsumfragen abgeschnitten. Warum schafft Westerwelle das nicht?

Woyke: Dazu ist er zu kurz im Amt. Er hatte von Anfang an in der Regierung einen schweren Stand, weil die FDP nur ein einziges Wahlkampfthema gehabt hatte, die Senkung der Steuern nämlich, und damit in der Koalition nicht durchkam. Als etwas später dann doch Steuern gesenkt wurden, misslang das aber und wurde in der Öffentlichkeit auf die Senkung der Hotelsteuern reduziert - also auf eine reine Klientelpolitik. Außerdem stand Westerwelle kurz darauf in der Kritik, weil er seinen Lebenspartner und bestimmte Manager mit auf Reisen genommen hatte. Auch seine Angriffe auf Hartz-IV-Empfänger haben dazu geführt, dass er im Amt des Ministers nicht Fuß fassen konnte, sondern sich in den ersten Monaten fortwährend verteidigen musste.

Angst vor den Landtagswahlen

tagesschau.de: Nun ist Westerwelle zehn Jahre Parteivorsitzender, seine Eigenheiten sind hinlänglich bekannt - warum schwillt die Kritik an ihm jetzt so an?

Woyke: Die Partei schneidet seit einem halben Jahr in den Meinungsumfragen denkbar schlecht ab, und nun stehen sieben Landtagswahlen an. Viele Politiker in den Landesverbänden haben Angst, dass sie aus dem Parlament fliegen oder - wie in Hamburg - die Rückkehr nicht schaffen.

tagesschau.de: Würde ein Wechsel in der Parteispitze wieder Auftrieb verschaffen?

Woyke: Er wäre ein Hoffnungsschimmer, aber sicher ist auch das nicht. Ich bezweifle auch, dass Westerwelle bald geht. Man braucht ihn noch, um ihn nach Niederlagen bei den ersten Landtagswahlen zum Sündenbock zu machen.

tagesschau.de: Westerwelle ist also ein Vorsitzender auf Abruf?

Woyke: Westerwelle ist unwiderruflich beschädigt. Wenn ein Landesverband einen offenen Brief schreibt und ihn auffordert, zurückzutreten und wenn ein anderer Landesverband ihn nicht zu Wahlkampfveranstaltungen einladen will, weil er ein Klotz am Bein sei - dann lässt das keinen anderen Schluss zu.

Kein Nachfolger in Sicht

tagesschau.de: Ein Nachfolger drängt sich aber nicht auf.

Woyke: So ist es.

tagesschau.de: Genannt werden Bundeswirtschaftsminister Brüderle und Generalsekretär Lindner. Wofür stehen sie?

Woyke: Brüderle steht sicher für solide, handwerkliche Parteiarbeit, aber nicht für einen Aufbruch. Lindner steht für einen neuen Liberalismus und arbeitet an einem neuen Parteiprogramm...

tagesschau.de: ...das man aber nicht kennt.

Woyke: Deshalb dürfte es schwer sein, bei den Landtagswahlen im Frühjahr damit zu punkten.

tagesschau.de: Insofern ist Lindner ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, während Brüderle die alte FDP verkörpert.

Woyke: Das ist richtig - aber dazwischen gibt es niemanden. Es gibt keinen 50-Jährigen, der so überragend wäre, das er sich als Nachfolger aufdrängt. Westerwelle hat als Parteivorsitzender die FDP stark dominiert. Neben ihm kam kein anderer in irgendeinem Politikfeld zur Geltung, obwohl in der Partei wiederholt gefordert wurde, die Arbeit solle besser verteilt werden. Alles war auf Westerwelle zugeschnitten. Wenn dann der Erfolg ausbleibt, fällt das auf ihn allein zurück. In dieser Situation befindet sich Westerwelle derzeit.

Falsche Akzente gesetzt

tagesschau.de: Die Partei hat sich weitgehend auf das Thema Steuern verengt. Wie schnell kann sie sich wieder ein breiteres Profil zulegen und dabei glaubwürdig sein?

Woyke: Die FDP war immer mehr als eine reine Steuersenkungspartei - sie hat diesen Aspekt nur während des Wahlkampfs und danach stark betont. Die FDP war eine Partei der Freiheitsrechte und der Rechte des Einzelnen, und das hat Deutschland gutgetan. Die FDP war auch immer eine Partei, die im Bildungswesen starke Akzente gesetzt hat. Da die FDP keine Volkspartei ist, muss sie sich auf einzelne Bereiche konzentrieren und dort gute Arbeit leisten. Philipp Rösler versucht das als Gesundheitsminister, aber auf diesem Gebiet kann man in Deutschland keinen Blumentopf gewinnen. Deswegen müsste die Partei stärker auf die Bildungs- und Justizpolitik setzen.

tagesschau.de: In den neunziger Jahren hat die Partei ja auch eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen eingefahren. Kehrt die FDP jetzt wieder dorthin zurück?

Woyke: Der FDP ist zwar schon mehrmals das Sterbeglöckchen geläutet worden, der Normalzustand ist das aber nicht. Unter FDP-Chef Klaus Kinkel reihte sich tatsächlich eine Niederlage an die andere und die Partei war nur noch in wenigen Landesparlamenten vertreten. Angesichts der Ausdifferenzierung des Parteiensystems dürfte die Partei in der Regel nicht über eine Stärke von vier bis acht Prozent kommen, also knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Die 14,6 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl waren ein Ausreißer nach oben ebenso wie die 10,0 Prozent, die Jürgen Möllemann vor Jahren für die FDP in Nordrhein-Westfalen geholt hat.

tagesschau.de: War das ein Pyrrhussieg, weil er die Partei übermütig gemacht hat?

Woyke: Dieses Ergebnis war auch eine Chance für die Partei, aber Westerwelle ist damit zu großspurig umgegangen. Er hätte Demut zeigen und dem Wähler signalisieren müssen, welche Verantwortung die Partei damit übernommen hat. Statt dessen hat die FDP selbst dann noch Steuersenkungen gefordert, als 80 Prozent der Bevölkerung dagegen waren. Mit so einer Politik muss man scheitern.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de