Debatte um Sicherheit Videoüberwachung - was ist erlaubt?
Der gescheiterte Bombenanschlag auf dem Bonner Hauptbahnhof und das Fehlen von Videoaufzeichnungen auf dem Gleis haben die Debatte über die Kameraüberwachung an Gefahrenschwerpunkten neu entfacht. tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen rund um zur Videoüberwachung.
Von Frank Bräutigam, SWR, ARD-Rechtsexperte
Was sind die rechtlichen Grundlagen?
Im Bereich der Videoüberwachung muss man danach unterscheiden, wer überwacht, und an welchem Ort.
Für die Überwachung von öffentlichen Plätzen (Marktplätze, Straßen) durch die Polizeibehörden gibt es in den Bundesländern spezielle Regeln im Polizeigesetz.
Die Überwachung öffentlich zugänglicher Räume durch Privatbesitzer (Banken, Geschäftsräume, Parkhäuser) ist grundsätzlich in § 6b Bundesdatenschutzgesetz geregelt. In den Ländern gibt es dazu bisweilen Spezialregelungen.
Für die Überwachung der Bahnhöfe der Deutschen Bahn ist die Bundespolizei (früher "Bundesgrenzschutz") zuständig und gem. § 27 Bundespolizeigesetz befugt, die Bahnhöfe inklusive Bahnsteige per Video zu überwachen. Dies ist ein gesetzlich geregelter Spezialfall.
Was ist auf Bahnhöfen an Videoüberwachung erlaubt?
Die Bundespolizei darf die Videoüberwachung auf Bahnhöfen anordnen und durchführen. Sie muss öffentlich darauf hinweisen. Das Gesetz erlaubt ausdrücklich, Bilder auf Bahnhöfen aufzuzeichnen. Die Bilder dürfen bis zu 30 Tage gespeichert werden; wenn sich aus ihnen Hinweise auf eine Straftat ergeben, auch länger. Die gesetzliche Speicherfrist war nach den versuchten "Kofferbomberanschlägen" in Köln 2006 bewusst auf 30 Tage ausgeweitet worden.
Was ist das praktische Problem einer flächendeckenden Aufzeichnung auf Bahnhöfen?
In der Praxis hat die Bundespolizei keine eigenen Kameras aufgestellt - was sie dürfte -, sondern nutzt aus praktischen Gründen die Videotechnik der Deutschen Bahn, welche auch ein Interesse an der Überwachung ihrer Bahnhöfe hat. Die Bundespolizei hat mit der Bahn einen Nutzungsvertrag über die Technik geschlossen. Bislang wird nur an bestimmten Bahnhöfen flächendeckend aufgezeichnet. Die Bundespolizei kann die Bahn aber nicht verpflichten, auf eigene Kosten mehr Kameras zu installieren und Bilder aufzuzeichnen. Wenn hier die Kapazitäten erhöht werden sollen, ist das also eine finanzielle Frage, wie sich der Bund zum Beispiel an höheren Kosten der Bahn beteiligt.
Muss man für eine flächendeckende Überwachung mit Aufzeichnung also die Gesetze verschärfen?
Nein, die aktuelle Gesetzeslage gibt das her. Wenn eine stärkere Videoüberwachung und Aufzeichnung auf Bahnhöfen gewollt ist, stellen sich eher Fragen nach Kapazität und Kosten. Das ist in der jetzigen Lage Verhandlungssache zwischen Bund und Bahn. Eine Gesetzesänderung wäre aber in einem Fall denkbar: Der Bund könnte theoretisch die Bahn gesetzlich verpflichten, auf ihre Kosten flächendeckend Kameras aufzustellen und die Bilder aufzuzeichnen. Ob man diese Möglichkeit in Betracht zieht, ist dann eine politische Frage.
Was sind die Voraussetzungen für eine Überwachung öffentlicher Plätze durch die Polizei?
Es muss sich um einen Ort handeln, an dem in der Vergangenheit Straftaten begangen wurden und dies auch für die Zukunft wahrscheinlich ist, also einen "Kriminalitätsschwerpunkt". Auf die Überwachung muss hingewiesen werden. Die zulässigen Speicherfristen der Bilder variieren, je nach Bundesland sind es bis zu 30 Tage. Grundsätzlich müssen die Behörden auch immer die Verhältnismäßigkeit und das Recht auf Privatsphäre der abgebildeten Menschen beachten und in ihre Abwägungen mit einbeziehen. Wenn das nicht ausreichend passiert, können die Gerichte eine Überwachung kippen.
Gibt es da praktische Beispiele?
Ja. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat zum Beispiel im Januar 2012 die polizeiliche Videoüberwachung auf der Reeperbahn in Hamburg für zulässig erklärt. Dort sind zwölf Videokameras installiert, die um 360 Grad geschwenkt und variabel geneigt werden können. Außerdem gibt es eine Zoomfunktion. Das Bundesverwaltungsgericht erlaubte die Überwachung des Straßenraums an einem "Brennpunkt der Straßenkriminalität". Allerdings war schon in den Instanzen zu diesem Fall entschieden worden, dass die Kameras nicht die Wohnräume und den Eingangsbereich von Privathäusern erfassen dürfen - ein typisches Beispiel für die Abwägung von öffentlicher Sicherheit und Privatsphäre.
Wäre es sinnvoll und möglich, die gesetzlichen Möglichkeiten auszuweiten?
Der erste Schritt wäre sicher, die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten auszunutzen. Das ist dann auch bei der Überwachung öffentlicher Plätze durch die Polizei eine Frage des Geldes. Im Bereich des Möglichen wäre, die Speicherfristen moderat auszuweiten.
Senkt man aber die inhaltlichen Hürden für eine Überwachung, müsste man beachten, dass das Bundesverfassungsgericht den Datenschutz immer wieder sehr hoch bewertet hat. Speicherungen ohne konkreten Anlass darf es nicht geben, auch soll der Staat keine Bewegungsprofile der Bürger erstellen können - das haben die Richter immer wieder betont. Mit diesen Argumenten hat Karlsruhe 2008 zum Beispiel die anlasslose Erfassung von Kfz-Kennzeichen auf bestimmten Autobahnen für unzulässig erklärt.
Dürfen Privatunternehmen öffentlich zugängliche Orte überwachen?
Ja, unter bestimmten Voraussetzungen. Ein Beispiel dafür wären die im Bonner Fall verwendeten Aufnahmen aus einer Fast-Food-Kette. Das Gesetz fordert ein berechtigtes Interesse des Privatunternehmens, also zum Beispiel den Schutz vor Straftaten. In einem Kaufhaus kann das zum Beispiel der Schutz vor Diebstahl sein.
Auf die Videoüberwachung muss das Unternehmen hinweisen, der Schutz der Privatsphäre muss gewahrt sein. Eine Überwachung von Toiletten oder Umkleideräumen ist daher nicht zulässig. Eine genaue gesetzliche Frist für die Dauer der Speicherung gibt es nicht. Die Daten müssen gelöscht werden, wenn sie "zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich" sind, heißt es im Gesetz. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn in einem Kaufhaus nach einer bestimmten Frist keine Diebstähle festgestellt wurden.