Luftverschmutzung EU-Kommission verklagt Deutschland
Ermahnungen allein haben offenbar nicht ausgereicht - nun verklagt die EU-Kommission Deutschland wegen zu schlechter Luft vor dem EuGH. Zu oft wurden Grenzwerte überschritten und zu wenig gegen die Hauptverursacher unternommen.
Die EU-Kommission macht Ernst und verklagt Deutschland und fünf weitere EU-Staaten wegen schlechter Luft vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Länder hätten es versäumt, sich für die Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub oder Stickoxide einzusetzen, sagte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella in Brüssel. "Unser Ziel ist es, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen", so begründete er die Entscheidung.
Bei der Klage geht es um die Missachtung von EU-Grenzwerten für Stickoxide, die bereits seit 2010 verbindlich für alle EU-Staaten sind. Auch 2017 wurden sie jedoch in 66 deutschen Städten überschritten, in Großstädten wie München, Stuttgart oder Köln teilweise sogar deutlich. EU-weit, so rechnet die Kommission vor, gingen jedes Jahr rund 400.000 vorzeitige Todesfälle auf das Konto der schädlichen Abgase.
Verantwortlich gemacht werden vor allem Dieselautos, deren Zahl jahrelang stark zunahm. Nach dem Dieselskandal wurde deutlich, dass sie im Verkehr auch viel mehr Schadstoffe ausstoßen als in Tests.
Ministerin Schulze fordert Nachrüstungen
Bundesumweltministerin Svenja Schulze bedauerte in einer ersten Reaktion, dass Brüssel die bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung nicht für ausreichend halte. Sie verband dies jedoch mit einem klaren Aufruf an die Adresse der Autoindustrie in einer schriftlichen Stellungnahme: "Ich fordere schon lange technische Nachrüstungen für Diesel-Pkw. Wir brauchen sie jetzt so schnell wie möglich, und zwar auf Kosten der Automobilhersteller. Denn die haben das Problem verursacht. Wer sich weiter diesem Weg versperrt, riskiert nicht nur Fahrverbote und weitere Wertverluste bei den Dieselautos, sondern auch eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof."
Die sonstigen Reaktionen fielen gemischt aus.
Erstes Verfahren bereits 2015
Die Kommission hatte 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und andere Länder wegen Verstößen gegen EU-Recht eröffnet. Die Bundesregierung steuerte 2017 mit dem "Sofortprogramm für saubere Luft" nach. Beim Diesel-Gipfel im August 2017 versprach die Autoindustrie Softwareupdates für Dieselautos, die die Emissionen um 25 bis 30 Prozent drücken sollen. Dennoch gelang es nicht, kurzfristig die Grenzwerte einzuhalten.
In einem zweiten, Ende 2016 gestarteten Verfahren, warf die EU-Kommission der Bundesregierung im Abgasskandal massive Versäumnisse vor: Unter anderem, dass sie Volkswagen nicht für die Manipulation von Schadstoffwerten bei Dieselautos bestraft habe. Ein weiterer Vorwurf: Die Regierung habe nicht ausreichend überwacht, dass die Autohersteller die Vorschriften einhalten. Die Bundesregierung hatte sich schon bei Einleitung des Verfahrens gegen die Vorwürfe gewehrt.
Im aktuellen Verfahren startet die Kommission nun die nächste Stufe - nicht nur gegen Deutschland, sondern auch gegen Italien, Luxemburg und Großbritannien. Formal bezieht sich das auf die EU-Vorschriften für die Typgenehmigung von Fahrzeugen, die missachtet worden seien. Nach EU-Recht müssten die EU-Staaten "über wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionssysteme verfügen, um Autohersteller davon abzuhalten, gegen geltendes Recht zu verstoßen". Bei den vier Staaten sieht die Kommission das nicht gegeben.
Die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Deutschland und fünf weitere EU-Länder wegen schlechter Luftqualität ist die letzte Phase eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU. Diese Verfahren sind grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Die EU-Kommission, die als "Hüterin der EU-Verträge" EU-Recht durchsetzen soll, leitet jährlich Hunderte davon ein. Allerdings landen die wenigsten davon vor dem EuGH.
Diskussion über Fahrverbote befeuert
Unterliegt Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof, könnte die EU-Kommission in einem weiteren Verfahren hohe Zwangsgelder durchsetzen. Allerdings wächst mit den Verfahren schon jetzt der politische Druck, etwas gegen die zu hohen Schadstoffwerte in deutschen Städten und gegen die zu schmutzigen Diesel zu unternehmen. Verkehrsexperten sehen kurzfristig nur zwei Lösungsmöglichkeiten: die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen oder Fahrverbote. Das Bundesverwaltungsgericht hatte Fahrverbote in Städten im Februar grundsätzlich erlaubt, solange sie verhältnismäßig sind.