Interview zu energetischer Gebäudesanierung "Hohe Einsparung beim Heizen möglich"
Gut gedämmte Gebäude sparen Heizkosten und senken den CO2-Ausstoß. Mieterbund und Hausbesitzer sind aber mit den derzeitigen Sanierungsregeln unzufrieden und legten nun einen Reformvorschlag vor. Im tagesschau.de-Interview erläutert WDR-Energieexperte Jürgen Döschner, was die energetische Gebäudesanierung bringt und warum deren Finanzierung so umstritten ist.
tagesschau.de: Wie erkennt man, ob das eigene Haus sanierungsbedürftig ist?
Jürgen Döschner: Vieles kann auch ein Laie schon auf den ersten Blick feststellen. Das Baujahr des Gebäudes gibt einen ersten Anhaltspunkt. Einfach verglaste, vielleicht sogar undichte Fenster lassen sich ebenfalls schnell orten. Und natürlich lohnt der Blick auf die Heizkosten: Liegt der Heizölverbrauch - ohne Warmwasserbereitung - über 12-13 Liter pro Jahr und Quadratmeter (bzw. über 130-140 Kilowattstunden Gas), dann ist das ein Indiz für einen zu hohen Heizenergiebedarf. Eine genaue Analyse sollte allerdings von einem Fachmann, also einem Energieberater erstellt werden. Allerdings ist es nicht ganz einfach, einen unabhängigen Berater zu finden. Nicht selten arbeiten Energieberater gleichzeitig als Projektierer oder Vermittler für Firmen, haben also selbst ein wirtschaftliches Interesse an einer möglichst aufwändigen Sanierung. Mieterbund und Hauseigentümer fordern deshalb unter anderem "eine flächendeckende, neutrale Energieberatung".
Jürgen Döschner arbeitet seit 1984 für den Westdeutschen Rundfunk und ist dort in der Wirtschaftsredaktion Energieexperte.
"Größte Schwachpunkte sind Dach und Fenster"
tagesschau.de: Wo sollte man mit der energetischen Sanierung beginnen und was sind erfahrungsgemäß die Schwachstellen?
Döschner: Auch das sollte von Fall zu Fall ein Fachmann analysieren, denn da spielen neben dem Alter des Gebäudes auch die Bauart, Lage und andere Dinge eine Rolle. Grob lässt sich sagen, dass die größten energetischen Schwachpunkte das Dach und die Fenster sind. Anders ausgedrückt: Es macht wenig Sinn, die Außenwände aufwändig zu dämmen, aber das alte Dach und die alten, einfach verglasten Fenster zu belassen. Auch Boden/Fundament und die oberste Geschossdecke sind zu berücksichtigen. Und schließlich auch die möglicherweise nicht isolierten Heizungsrohre sowie schließlich die Heizungsanlage selbst.
tagesschau.de: Lohnt sich eine energetische Sanierung - nicht nur für die Umwelt, sondern auch für den Hausbesitzer - in jedem Fall?
Döschner: Über diese Frage tobt seit Jahren ein heftiger Streit. Fakt ist: Je älter das Gebäude und je gründlicher die energetische Sanierung, desto teurer wird das Vorhaben. Die wirtschaftlich sinnvollste und wohl auch am häufigsten gewählte Variante ist die Kombination von energetischer und allgemeiner Sanierung. Sprich: Wenn die Fenster zum Beispiel ohnehin marode sind, dann sollte man natürlich gleich zu dreifach-verglasten Fenstern greifen. Dasselbe gilt für die Fassadenrenovierung. Allgemein kann man davon ausgehen, dass die Kosten für eine konventionelle Heizung (Öl oder Gas) in den kommenden Jahren weiter steigen werden.
tagesschau.de: Das größte Problem sind aber wohl die sanierungsbedürftigen Mietwohnungen. Wer trägt hier die Kosten - Mieter oder Vermieter?
Döschner: Hier gibt es in der Tat den größten Handlungsbedarf. Vereinfacht gesagt war die Argumentationslinie der beiden Seiten bislang folgende: Die Vermieter fragen, warum sie viel Geld ausgeben sollen, um die Heizkostenrechnung ihrer Mieter zu senken. Die Mieter auf der anderen Seite sehen nicht ein, warum sie sich an einer wertsteigernden Investition des Hauseigentümers beteiligen sollen. Nach bisheriger Rechtslage dürfen Vermieter pro Jahr elf Prozent der Kosten für eine energetische Sanierung auf die Mieter umlegen. Oft steigen die Mieten aber nach einer Sanierung viel stärker, meist deshalb, weil gleichzeitig allgemeine Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen werden. Dass Mieterbund und Hauseigentümer sich nun gemeinsam in dieser Frage an einen Tisch gesetzt haben, ist deshalb schon ein großer Schritt. Ihre Forderung an die Politik lautet: Energetische Modernisierung muss sich für Mieter und Vermieter rechnen. Sie schlagen vor, dass durch staatliche Zuschüsse, zinsgünstige Darlehen und Steuererleichterungen die Kosten für energetische Sanierungen bei Mietwohnungen zu je einem Drittel auf Vermieter, Mieter und Staat verteilt werden.
tagesschau.de: Welche finanziellen Hilfen gibt es bereits für Hausbesitzer?
Döschner: So vielfältig, wie die verschiedenen Möglichkeiten zur energetischen Sanierung eines Hauses, so vielfältig sind auch die staatlichen Förderinstrumente - vom zinsgünstigen KfW-Darlehen bis hin zu direkten Zuschüssen zu den Sanierungskosten. Angesichts der Vielfalt der verschiedenen Fördermöglichkeiten und Voraussetzungen empfiehlt es sich, in der Regel, einen unabhängigen Energieberater hinzuzuziehen, der übrigens ebenfalls bezuschusst wird. Ein Großteil der Hilfen besteht allerdings in zinsgünstigen Darlehen, was bei den aktuell ohnehin niedrigen Bauzinsen kein besonderer Anreiz ist.
"Keine generelle Pflicht für Hausbesitzer"
tagesschau.de: Besteht derzeit eine Pflicht zur Wärmedämmung?
Döschner: Eine generelle Pflicht für Hausbesitzer - ob vermietet oder selbst genutzt - gibt es bislang nicht. Allerdings müssen bei Altbauten grundsätzlich das Dach beziehungsweise die oberste Geschossdecke gedämmt werden. Einfamilienhaus-Besitzer, die bereits vor dem 1. Februar 2002 in ihrem Haus gewohnt haben, sind von dieser Pflicht befreit. Ein Energieberater oder Architekt sollte im Zweifel hinzugezogen werden. Seit 2009 besteht die generelle Pflicht zur Isolierung von Heizungsrohren und zur Erneuerung von Heizkesseln, die vor 1978 installiert wurden. Nicht unwichtig: Wer sich zur Dämmung der Außenwände entschließt, ist an die Standards der Energieeinsparverordnung (EnEV) gebunden.
tagesschau.de: Es gibt immer wieder Berichte über Nachteile oder gar Gefahren der Wärmedämmung - Stichwort Schimmel und Brandgefahr. Wie ernst sind diese Warnungen zu nehmen?
Döschner: Der Streit über den ökonomischen und ökologischen Nutzen der Gebäudesanierung flammt immer wieder auf und nimmt bisweilen die Form eines Glaubenskrieges an. Tatsache ist, dass im Gebäudesektor enorme Potenziale stecken, Energie und damit CO2 einzusparen. Tatsache ist aber auch, dass jedes Haus, jede Maßnahme für sich geprüft und im Falle einer Umsetzung fachgerecht ausgeführt werden muss. Die Gefahr der Schimmelbildung zum Beispiel lässt sich durch die Vermeidung von Kältebrücken und durch korrektes Lüften ausschalten. Was die Brandgefahr angeht: Es gibt viele Dämmstoffe, die überhaupt nicht brennbar sind - zum Beispiel Mineral- oder Steinwolle. Bei brennbaren Materialien wie Polystyrol oder Holzweichfasern sollten die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen wie etwa sogenannte "Brandriegel" bei Mehrfamilienhäusern eingehalten werden.
tagesschau.de: Wenn hierzulande über die Energiewende gestritten wird, dann geht es in der Regel um Strom und Strompreise. Welchen Stellenwert haben andere Posten wie das Heizen in unserem Energie-Budget - und in der politischen Diskussion?
Döschner: Die Fixierung der politischen und medialen Debatte auf den Strom(preis) ist aus meiner Sicht völlig ungerechtfertigt. So gibt ein Drei-Personen-Musterhaushalt im Monat etwa 84 Euro für Strom aus, aber 125 Euro fürs Heizen und 148 Euro für Sprit/Mobilität. Mit anderen Worten: Mehr als drei Viertel unserer regelmäßigen Energieausgaben haben mit Strom nichts zu tun. Entsprechend groß ist auch der klimaschädliche Einfluss unserer Heizungen. Hinzu kommt, dass wir bei der Heizenergie durch die hohe Zahl von relativ alten und schlecht isolierten Gebäuden hier das höchste Effizienzpotenzial haben.