Flutkatastrophe im Ahrtal Dreyer in der Kritik
Auch nach dem Rücktritt von Innenminister Lewentz geht die Aufarbeitung der Flutkatastrophe im Ahrtal weiter. Nun gerät die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Dreyer in den Fokus der Kritik.
Schon unmittelbar nach dem Rücktritt von Innenminister Roger Lewentz (SPD) wird deutlich, dass die Kritik am Krisenmanagement der Landesregierung nun nicht verstummen wird. Er gebe Frau Dreyer eine Mitschuld, sagt Oppositionsführer Christian Baldauf (CDU) vor Fernsehkameras. Als Regierungschefin habe sie auch die Verantwortung für ihr komplettes Kabinett.
Die Opposition nimmt nun verstärkt die Rolle der Ministerpräsidentin in den Blick. Eine Angriffsfläche bietet die Kommunikation zwischen Malu Dreyer (SPD) und ihrem damaligen Innenminister in der Flutnacht. Deren Kurznachrichten sind seit Monaten bekannt, waren auch schon Thema im Untersuchungsausschuss des Landtags.
"Lieber Roger, ich bin erreichbar"
Die Ministerpräsidentin wünschte Roger Lewentz um 21:44 Uhr einen "Schönen Abend!" und schrieb dann erst am kommenden Morgen wieder, um 5:33 Uhr: "Lieber Roger, ich bin erreichbar". In der Zeit zwischen diesen Nachrichten hatte sich im Ahrtal eine Katastrophe abgespielt. Die Opposition macht der Ministerpräsidentin daher schwere Vorwürfe. "Sie hat nach der Kommunikation mit dem Innenminister um 21:44 Uhr keinen Versuch mehr unternommen, sich über den weiteren Verlauf des Hochwassers zu erkundigen - obwohl sie wusste, dass die Lage bedrohlich war", kritisiert Michael Frisch, Obmann der AfD im Untersuchungsausschuss.
Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, wirft Dreyer vor: "Dass sie dann noch offenkundig bis 5:33 Uhr nicht mehr erreichbar war, ist angesichts der Tatsache, dass Roger Lewentz sie um 0:58 Uhr über die eskalierende Lage informierte, nicht nachvollziehbar."
Hätte Dreyer früher eingreifen müssen?
Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun spricht angesichts der Vorwürfe der Opposition von keiner einfachen Situation für die Ministerpräsidentin. Dass die Regierungschefin selbst die Geschicke in die Hand hätte nehmen müssen, ist für Jun aber keine zwingende Notwendigkeit. "Üblicherweise ist es so, dass die Fachressorts sich erstmal um die Sache zu kümmern haben. Die Regierungschefin kommt erst ins Spiel, wenn die jeweiligen Fachressorts erklären, sie werden nicht Herr der Lage."
Die Textnachrichten vom Abend der Flutkatastrophe legen nahe, dass die rheinland-pfälzische Regierungschefin davon ausgehen musste, dass sich die zuständigen Minister für Katastrophenschutz und Hochwasserprognosen nicht untereinander austauschten. Denn auf die Frage von Dreyer an Lewentz, ob Umweltministerin Anne Spiegel informiert sei, antwortete Lewentz: "Das weiß ich gar nicht... Wenn wir genaueres wissen, informieren wir sie morgen über unsere Erkenntnisse."
Das wäre aus Sicht der Opposition der Zeitpunkt gewesen, zu dem die Regierungschefin hätte eingreifen müssen. "Hier hätte die Ministerpräsidentin reagieren und auf einen Austausch zur Informationslage oder eine Lagebesprechung drängen müssen", kritisiert CDU-Fraktionsvorsitzender Christian Baldauf.
Ausmaß erst am Folgetag erkennbar?
Nachdem die Kommunikation zwischen Dreyer und Lewentz nun erneut für Kritik sorgt, verweist Dreyers Regierungssprecherin gegenüber dem SWR darauf, dass die Ministerpräsidentin vergangenen April im Untersuchungsausschuss ausführlich dazu Stellung genommen habe. Im Ausschuss hatte Dreyer auch ausgesagt, dass sie am Tag der Flutkatastrophe am Rande des Landtagsplenums mitbekommen hätte, dass sich die Staatssekretäre aus dem Innen- und dem Umweltministerium über das Hochwasser austauschten.
Michael Frisch von der AfD kritisiert: "Außer der genannten Beobachtung im Plenum am frühen Abend hatte Frau Dreyer keinerlei Hinweise darauf, dass es einen Austausch zwischen den zuständigen Ministerien gab."
Am Tag des Rücktritts von Innenminister Lewentz war Dreyer von einer Journalistin gefragt worden, ob sie angesichts der Videos und des Einsatzberichts der Helikopter-Mannschaft dabei bleibe, dass man die Katastrophe erst am 15. Juli 2021, dem Folgetag, in vollem Ausmaß erkennen konnte?
Dreyer antwortete, sie habe immer ausgeführt, dass die Landesregierung, dass sie persönlich nur die Fakten beurteilen konnte, über die sie auch verfügt hätten. "Es ist - glaube ich - unbestritten, egal wer gehört wird, dass wir mit einer Naturkatastrophe und Flutkatastrophe eines Ausmaßes zu tun hatten, die wir so noch nie erlebt haben und sich auch kein Mensch vorstellen konnte, dass das in Deutschland passieren könnte."
Die Opposition hat weitere Fragen
Diese Antwort ist insofern bemerkenswert, als dass im U-Ausschuss mehrere Zeugen berichteten, welche dramatischen Schilderungen sie dem Lagezentrum des Innenministeriums durchgegeben hatten. Die Besatzung eines Polizeihubschraubers, die übers Ahrtal geflogen war, hatte gegen 23:20 Uhr das Lagezentrum in Mainz telefonisch informiert, die Botschaft klar: "Ihr müsst alles, was Polizei ist, ins Ahrtal bringen, es ist ernst."
Eine am Flutabend diensthabende Polizistin aus dem Polizeipräsidium Koblenz versicherte im Ausschuss, das Lagezentrum mehrfach über die katastrophale Lage informiert zu haben, zum ersten Mal gegen 22:25 Uhr. Spätestens nach dem Anruf dieser Polizistin hätte im Lagezentrum des Innenministeriums klar sein müssen, dass sich an der Ahr eine Katastrophe unbekannten Ausmaßes abspiele. Das steht für Stephan Wefelscheid von den Freien Wähler fest. "Hätte Malu Dreyer rechtzeitig den Krisenstab der Landesregierung aktiviert, wären diese Informationen auch nicht ungehört im Lagezentrum verblieben."
Die CDU kritisiert, dass Dreyer mehrfach gesagt habe, dass es keine Hinweise auf die außergewöhnliche Situation am 14. Juli gegeben habe. "Das ist schlichtweg falsch", betont Baldauf. Die Opposition schließt nicht aus, die Ministerpräsidentin ein weiteres Mal in den U-Ausschuss zu laden. Es ist wahrscheinlich, dass sich Dreyer dort noch einmal den kritischen Fragen der Opposition wird stellen müssen.