Interview zur Demo für Datenschutz Wen treibt die Sorge ums Private auf die Straße?
117 Organisationen haben dazu aufgerufen, heute in Berlin gegen die "ausufernde Überwachung" zu protestieren. Ob das "Nischenthema" Datenschutz plötzlich Massen mobilisiert und was er von Datenschutz-Vorschlägen aus der Politik hält, erklärt Bürgerrechtler Lüders tagesschau.de.
Von der Vorratsdatenspeicherung über die Weitergabe von Passagierdaten an die USA bis zum Adressdatenhandel: 117 Organisationen unterstützen heute eine Demonstration gegen die "ausufernde Überwachung durch Wirtschaft und Staat" in Berlin. Im September 2007 folgten 15.000 Menschen einem ähnlichen Aufruf - diesmal sollen es mehr werden. In anderen Ländern sind parallele Aktionen geplant. Ob das "Nischenthema" Datenschutz plötzlich Massen mobilisiert und was er von Datenschutz-Vorschläge aus der Politik hält, erläutert Sven Lüders. Er ist Bundesgeschäftsführer der Humanistischen Union.
tagesschau.de: Wie andere Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützer fordern Sie dazu auf, sich unter dem Motto "Freiheit statt Angst" zu versammeln. Was soll das ausdrücken?
Sven Lüders: Gemeint ist damit eine ganz grundsätzliche Kritik an der Sicherheitspolitik in Deutschland. Ständig ist von neuen Gefahren des Terrorismus oder der Kriminalität die Rede, die angeblich neue Überwachungsmaßnahmen nötig machen. Wir meinen, dass diese Darstellung der Gefahren nicht realistisch ist und dass, was von der Politik als Gegenmittel empfohlen wird, in vielen Fällen nachgewiesenermaßen nicht hilft. Für viele der Sicherheitsgesetze sind Grundrechte eingeschränkt worden. Nehmen wir das in Artikel 10 des Grundgesetzes festgeschriebene Fernmeldegeheimnis. In der Praxis haben wir jährlich über 50.000 Telefonüberwachungen und darüber die Auswertung von Verbindungsdaten, also wer wann mit wem telefoniert hat. Wir können nicht mehr sagen, dass wir am Telefon "unbeobachtet" sind.
tagesschau.de: Die Liste der Gesetze, die ihnen nicht gefallen, ist lang. Was würden Sie als erstes ändern, wenn Sie könnten?
Lüders: Wenn wir pragmatisch an die Diskussion um Überwachung und Sicherheit herangehen würden, dann wäre die erste Forderung ein Moratorium für neue Sicherheitsgesetze und eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung der bisherigen Maßnahmen. Wir haben eine Vielzahl von Gesetzen erlebt, wo kaum empirische Belege über die Auswirkungen über den Auswirkungen vorlagen. Das müsste jetzt überprüft werden.
tagesschau.de: Vor drei Jahren prognostizierte die Datenschutz-Aktivistin Rena Tangens, deren Verein zu den Demo-Organisatoren gehört, dass aus dem Nischenthema Datenschutz etwas werde, dass die breite Masse interessiert - weil die Menschen nicht durchsichtig werden wollten. Findet angesichts der Telekom-Datenskandale oder der Diskussion über die Online-Durchsuchung jetzt ein solcher Bewusstseinswandels tatsächlich statt?
Lüders: Wir stellen auf jeden Fall einen Wandel fest. Als Bürgerrechtsorganisation, die das Thema Datenschutz seit den Siebzigerjahren begleitet, sind wird damit oft auf wenig Resonanz gestoßen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Wir erleben eine neue Generation, die mit ihren Computerdaten sorgsamer umgeht, die merkt, dass es ganz neue Anforderungen an den Datenschutz gibt. Wenn es um Themen wie Adresshandel oder die Einführung der einheitlichen Steuernnummern geht, erleben wir beispielsweise großen Zuspruch auch von technisch weniger versierten Bürgern - Arbeitern, Angestellten oder Hausfrauen. Sie machen sich Gedanken darüber, was mit ihren Daten passiert.
Die Bürgerrechtsorganisation wurde 1961 in München gegründet. Nach eigenen Angaben engagiert sie sich "für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" und wendet sich dabei "gegen jede unverhältnismäßige Einschränkung dieses Rechts durch Staat, Wirtschaft oder Kirchen."
tagesschau.de: Nach den Skandalen bei der Telekom fordern neuerdings auch solche Politiker mehr Datenschutz, für die dies bisher kaum ein Thema war. Wie schätzen Sie dies ein?
Lüders: Wir sind als überparteiliche Bürgerrechtsorganisation recht skeptisch, was die politischen Vorschläge betrifft. Die Idee, Datenschutz- oder Kommunikationsrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, ist nicht neu. Die hat unter anderem auch Bundesinnenminister Schäuble schon geäußert. Man muss sich aber klar darüber sein, dass jeder dieser Initiativen auch eine Entscheidung darüber treffen würde, mit welchen Einschränkungen solche Rechte verbunden wären. Und wie solche Eingriffsrechte bei Herrn Schäuble aussehen würden, wissen wir aus anderen aus vielen Gesetzen in anderen Zusammenhängen zur Genüge. Von daher sind unsere Erwartungen nicht besonders hoch.
tagesschau.de: Teile von FDP, Grünen und die Linkspartei stehen auch auf der Liste der Demo-Unterstützer. Sind das aus Ihrer Sicht die Guten?
Lüders: In vielen Datenschutzfragen fühlen wir uns natürlich den Oppositionsparteien näher. Aber natürlich wissen wir auch, dass es in der Politik immer einfacher ist, aus der Opposition zu agieren. Ich erinnere nur daran, dass viele Anti-Terror-Gesetze und die einheitliche Steuernummer unter Rot-Grün verabschiedet wurden.
Die Fragen stellte Fiete Stegers, tagesschau.de