Abstimmung über EU-Reformvertrag im Bundesrat Rot-Rotes Armdrücken in Berlin
Klein beigeben ist nicht: Die Linkspartei-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, SPD, erheben die Abstimmung im Bundesrat über den EU-Reformvertrag zum koalitionsinternen Kräftemessen. Die Berliner Linke lehnt den Vertrag ab, Wowereit aber will verhindern, dass ausgerechnet die Hauptstadt als einziges Bundesland dem europäischen Regelwerk die Zustimmung verweigert und geht auf Konfrontationskurs.
Von Anja Mößner, tagesschau.de
Der Bundesrat wird am Freitag den EU-Reformvertrag billigen - egal wie das Land Berlin abstimmt. Dennoch wird in der rot-roten-Koalition heftig gefochten, denn diese Auseinandersetzung hat für beide Seiten symbolische Bedeutung.
Berlins Regierendem Bürgermeister Wowereit werden in der SPD schon lange bundespolitische Ambitionen nachgesagt. Sein Umgang mit der Linkspartei wird stets skeptisch beäugt und so versucht er, die drohende Niederlage gegen den Koalitionspartner abzuwenden. In den vergangenen Wochen hat Wowereit seine Senatskollegen von der Linkspartei ausdauernd bearbeitet, um sie umzustimmen, doch bislang ohne Erfolg.
"Führungsentscheidung" durch Wowereit?
Wie wird sich Berlin also in der Länderkammer verhalten? Senatssprecher Richard Meng wagt keine Prognose. Das sei eine "Führungsentscheidung des Regierenden Bürgermeisters", umschreibt Meng bemüht das Ungemach, das da lauert: Wowereit könnte im Bundesrat dem Vertrag zustimmen und damit den Koalitionsvertrag brechen. Dieser besagt, dass sich das Land Berlin der Stimme enthält, wenn die rot-rote Koalition geteilter Meinung ist.
Berliner Linkspartei unter besonderer Beobachtung
Die Berliner Linkspartei zeigt sich unnachgiebig, denn auch sie steht unter besonderer Beobachtung ihrer Genossen. Teile der Bundespartei sorgen sich um ihre Glaubwürdigkeit angesichts der Regierungsbeteiligung im Berliner Senat und den damit verbundenen Kompromissen und realpolitischen Entscheidungen. Die Beschlusslage der Bundespartei in Sachen EU-Reformvertrag ist eindeutig: Er wird als neoliberal, unsozial und militaristisch abgelehnt. Danach sollen sich die Berliner Linken richten, so die unmissverständliche Ansage.
Vor Parteitag Standhaftigkeit beweisen
Die Berliner Linkspartei hat noch einen weiteren Grund, sich klar gegen den EU-Reformvertrag zu stellen: Sie hat bereits schlechte Erfahrungen damit gemacht, dem Drängen Wowereits nachzugegeben - und zwar ausgerechnet beim Thema Europa: 2005 bei der Entscheidung über den EU-Verfassungsvertrag, der später an den Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte. Die Berliner Linke knickte gegenüber der SPD ein, statt zu opponieren und wurde prompt vom Rest ihrer Partei böse gescholten.
Einen Tag vor dem Bundesparteitag der Linkspartei in Cottbus wollen sich die Berliner nicht noch einmal zum Prügelknaben machen, heißt es aus Linkspartei-Kreisen im Abgeordnetenhaus. Die Berliner wollen mit einem Erfolg in Sachen Standhaftigkeit beim Parteitag auftreten.
Opposition setzt Wowereit unter Druck
An Wert gewinnt die Standhaftigkeit überdies in dem Maße, wie die Oppositionsparteien im Berliner Landesparlament den Regierenden Bürgermeister unter Druck setzen. Im Abgeordnetenhaus erklärte der CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, es sei "schlechterdings nicht vorstellbar, dass das Land Berlin sich der Stimme enthält". Seine grüne Amtskollegin Franziska Eichstädt-Bohlig schlug in die gleiche Kerbe: Die "Stadt des Eisernen Vorhangs" müsse ein deutliches Ja zu Europa erklären. Und FDP-Fraktionsvorsitzender Martin Lindner setzte Wowereit mit der Frage zu, wie er künftig bei europäischen Kollegen auftreten wolle, wenn herauskomme, "dass sich Berlin aus reiner Feigheit" vor der Linkspartei "weggeduckt hat."
Wowereit lässt noch offen, wie er sich entscheiden wird. Auf ein Einlenken des Koalitionspartners kann er nicht setzen. Der Regierende Bürgermeister gerät somit in Zugzwang: Sollte die Linkspartei ihre Meinung nicht ändern, kann er sich also mit einer Enthaltung im Bundesrat an den Koalitionsvertrag halten oder er kann doch mit Ja stimmen und die rot-rote Koalition aufs Spiel setzen.
Nur eindeutige Länder-Voten gültig
Diese Situation erinnert an die Bundesrats-Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz 2002, die tumultartig endete, weil sich die Koalitionäre aus Brandenburg nicht einigen konnten. Diesmal wäre es an Harald Wolf, dem ersten Mann der Linkspartei im Berliner Senat, im Bundesrat die Hand zu heben und zu erklären, dass nun Berlin geteilter Meinung ist.
2002 hatte ausgerechnet Klaus Wowereit als damaliger Bundesratspräsident die Stimme aus Brandenburg im Sinne des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, SPD, gezählt. Das Bundesverfassungsgericht befand allerdings später: Widersprüchliche Aussagen von Mitgliedern einer Landesregierung führen eindeutig dazu, dass die Stimmen des Bundeslandes nicht gezählt werden.
Druckmittel hat Wowereit nicht
Das symbolische Kräftemessen wird am Ende wohl die Linkspartei gewinnen, denn Wowereit hat kein Druckmittel, um seinen Willen durchzusetzen. Vorzeitig die Waffen strecken und kampflos klein beigeben will er offensichtlich aber auch nicht, obwohl die Niederlage unausweichlich scheint.