Bundestagswahlkampf Viel Schweigen beim Thema Integration
Eingewanderte und ihre direkten Nachkommen stellen einen großen Teil der Wähler - doch Themen rund um Migration spielen nur eine kleine Rolle im Wahlkampf. Wie stehen die Bundestags-Kandidaten dazu?
Die Türkische Gemeinde hat sich von den Kandidaten und Kandidatinnen für den Bundestag Antworten erhofft auf Fragen zur Einwanderungsgesellschaft. Wollen die Parteien etwas gegen Rassismus und Benachteiligung tun? Wollen sie Hürden für Einbürgerungen abbauen? Eine Quote im Öffentlichen Dienst für Eingewanderte und ihre direkten Nachkommen einführen? Mehrsprachigkeit im Bildungssystem? Weit weniger als die Hälfte der Angeschriebenen hat geantwortet.
Desinteresse bei der Union?
Schlusslicht ist die Union. Da haben sich gerade mal 21 Kandidierende die Mühe gemacht. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Atila Karabörklü, ist enttäuscht: "Wir nehmen den Kanzlerkandidaten Armin Laschet als sehr interessiert und kompetent wahr, wenn es um die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft geht und waren einigermaßen erschüttert vom Desinteresse seiner Partei." Sogar bei der AfD haben mehr geantwortet: nämlich 24. Besonders oft meldeten sich Kandidatinnen und Kandidaten von Grünen, Linkspartei, FDP und SPD zurück.
Mehrheit für Erleichterungen beim Thema Einbürgerung
Die Hürden, die deutsche Staatsangehörigkeit und damit auch das Wahlrecht zu erlangen, sind laut Türkischer Gemeinde zu hoch. Der Co-Vorsitzende Gökay Sofuoglu appelliert: "Wir müssen aufhören, den Menschen Steine in den Weg zu legen, wenn sie seit Jahren schon hier leben, arbeiten, Teil der Gesellschaft sind und zum Gemeinwohl beitragen." Immerhin hat Sofuoglu zumindest laut Befragung eine Mehrheit der Kandidierenden auf seiner Seite. 98 Prozent der Grünen, 95 Prozent der Linken, 93 Prozent bei der SPD und 86 Prozent bei der FDP wollen bürokratische Hürden beim Thema Einbürgerung abbauen. Die wenigen Antworten der Union: unentschieden. Die AfD-Kandidierenden sind mit 90 Prozent dagegen.
Ganz anders ist das Bild bei einer Quote für Menschen mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst. Verschiedene Migrationsorganisationen fordern sie schon lange. Aber wirklich nur die Linken-Kandidierenden sind mehrheitlich dafür - und zwar mit 83 Prozent. Die befragten Kandidaten der anderen Parteien lehnen mehrheitlich ab (SPD: 49 Prozent dagegen, Grüne: 57 Prozent, Union: 86 Prozent, FDP: 91 Prozent, AfD: 96 Prozent).
Eigenes Ministerium für Einwanderung und Integration?
Sofuoglu erklärt es sich mit einem Abwehrreflex: "Das Stichwort Quote löse Gegenreaktionen aus, als würde eine Quote das Leistungsprinzip aushebeln." Dabei gehe es ihm um einen Nachteilsausgleich, wie er sagt: Schließlich würden Menschen mit Migrationshintergrund benachteiligt: bei der Jobsuche, selbst bei Empfehlungen für höhere Schulen - selbst, wenn sie gleich gute Noten haben.
Gegenwärtig liegt die Zuständigkeit für viele Themen rund um Einwanderung und Integration beim Bundesinnenministerium. Der Fokus dort liege auf Innerer Sicherheit, beklagt Sofuoglu. Die Folge sei ein "Mangel an Innovation, Ambition und Durchsetzungskraft". Deshalb bringen Migrationsverbände immer wieder ein Ministerium für Einwanderung und Integration ins Gespräch. Laut der aktuellen Befragung sind allerdings nur grüne (96 Prozent) und linke Kandidaten (90 Prozent) mehrheitlich dafür.
Extrem geringe Wahlbeteiligung
Nach Angaben von Sozialwissenschaftlern liegt die Wahlbeteiligung unter Menschen mit Migrationshintergrund etwa 20 Prozentpunkte niedriger als bei Menschen ohne Migrationshintergrund. Diese Quote ließe sich erhöhen, wenn Parteien ein besseres personelles und programmatisches Angebot machen, in dem die Themen der Einwanderungsgesellschaft mehr vorkommen, argumentiert Deniz Yildirim von der Initiative "Citizens For Europe": "Außerdem müsste die Politik Wahlrecht und Staatsbürgerschaft entkoppeln, so dass mehr Eingewanderte und ihre Nachkommen wählen dürfen."
Die Initiative fordert, den Betroffenen ihr eigenes Machtpotenzial bewusst zu machen, damit sie sehen, dass ihre Stimme zählt und sie diese nutzen. Alle Antworten der Kandidierenden auf die einzelnen Fragen hat die Türkische Gemeinde auf ihrer Homepage veröffentlicht. Darauf wiederum können die Menschen mit Migrationshintergrund ihre eigene Antwort geben - per Stimmzettel.