Bundestagswahl SPD wird stärkste Kraft, Union knapp dahinter
Die SPD ist bei der Bundestagswahl laut vorläufigem Ergebnis stärkste Kraft geworden. Die Union stürzte dagegen nach 16 Jahren Regierungszeit auf ein historisches Tief. Die Grünen liefen mit dem besten Ergebnis ihrer Geschichte auf Platz drei ein.
Nach einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Union hat die SPD die Bundestagswahl knapp für sich entschieden. Nach Auszählung aller Wahlbezirke lösen die Sozialdemokraten um Kanzlerkandidat Olaf Scholz CDU/ CSU als stärkste politische Kraft im Bund ab. Das vorläufige Endergebnis gab der Bundeswahlleiter am frühen Morgen bekannt. Demnach erreicht die SPD 25,7 Prozent der Stimmen und verbessert sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 deutlich. Damals holte sie mit 20,5 Prozent ihr bislang schlechtestes Ergebnis.
Die seit 2005 regierende Union muss einen historischen Absturz verkraften. CDU und CSU kommen gemeinsam auf 24,1 Prozent. Damit unterbietet die Union nochmal ihren Minusrekord von 2017 deutlich - damals war sie erneut mit Amtsinhaberin Angela Merkel angetreten und auf 32,9 Prozent gekommen.
Trotz des schwachen Abschneidens will die Union regieren. Er werde alles daran setzen, "eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden", sagte Kanzlerkandidat Laschet. Die Option aufs Kanzleramt wahrt die Union auch als Zweitplatzierte, da nicht automatisch die stärkste Partei den Kanzler oder die Kanzlerin stellt.
Grüne legen stark zu, FDP dahinter
Die Grünen steigen zur drittstärksten politischen Kraft in Deutschland auf. Mit 14,8 Prozent verfehlen sie zwar ihr Wahlziel einer grün geführten Regierung. Gemessen an ihren hohen Erwartungen zu Beginn des Jahres würden sie daher wohl zu den Wahlverlierern gehören. Gemessen am Wahlergebnis von 2017 zählen sie hingegen zu den großen Gewinnern - damals waren sie mit 8,9 Prozent als kleinste Fraktion in den Bundestag eingezogen.
Beflügelt von den hohen Umfragewerten zu Jahresbeginn und dem hohen Stellenwert für ihr Kernthema Klimaschutz gingen die Grünen erstmals mit einer Kanzlerkandidatin ins Rennen. Doch handwerkliche und auch persönliche Fehler von Annalena Baerbock kosteten Glaubwürdigkeit. Inhaltlich versuchten die Grünen, sich breiter aufzustellen, um sich für weitere Wählerschichten zu öffnen. Schwerpunktthema blieb aber der Umwelt- und Klimaschutz, hier erreichen sie laut Infratest dimap auch die höchsten Kompetenzwerte. Die Grünen haben nun beste Aussichten, künftig mitregieren zu können - mehrere Konstellationen sind möglich.
Die FDP kann nur leicht zulegen und bleibt damit hinter ihren Erwartungen zurück. Die Partei mit Spitzenkandidat Christian Lindner kommt auf 11,5 Prozent - nach 10,7 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl. Im Wahlkampf setzte die FDP auf ihre Kernkompetenz rund um die Wirtschafts- und Steuerpolitik. Deutlich wandte sie sich gegen Steuererhöhungen, beim Klimaschutz warb sie für Innovationen statt Verbote. Bei der Regierungsbildung dürfte die FDP eine gewichtige Rolle spielen, nach den abgebrochenen Sondierungen mit Union und Grünen 2017 möchte die Partei diesmal unbedingt mitregieren. Am liebsten mit der Union.
AfD verschlechtert sich, Linkspartei muss lange zittern
Die AfD verliert Prozentpunkte, kann aber ihr zweistelliges Ergebnis von 2017 halten. In Thüringen und Sachsen wird sie stärkste Partei. Mit 10,3 Prozent verliert sie jedoch ihre Position als drittstärkste politische Kraft im Bundestag. Vor vier Jahren hatte sie noch 12,6 Prozent der Stimmen geholt. Angetreten war sie diesmal mit den Spitzenduo Alice Weidel und Tino Chrupalla. Ein zentrales Wahlkampfthema hatte die AfD nicht, sie positionierte sich als Gegnerin der staatlichen Corona-Maßnahmen, blieb bei ihrem Anti-Migrationskurs und bezweifelte den menschengemachten Klimawandel. Alle Parteien haben eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen, sie wird also in der Oppositionsrolle bleiben.
Die Linkspartei peilte ursprünglich ein zweistelliges Wahlergebnis an, musste nun aber lange um den Einzug ins Parlament bangen. Sie rutschte auf mit 4,9 Prozent unter die Fünfprozenthürde. Allerdings konnte sie drei ihrer zuletzt fünf Direktmandate verteidigen und damit laut Grundmandatsklausel entsprechend ihres Zweitstimmenergebnisses ins Parlament einziehen. 2017 hatte die Partei noch 9,2 Prozent der Stimmen geholt.
Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich damit erheblich. Die SPD erhält nun 206 Sitze. 2017 waren es 153. CDU/CSU kommen auf 196 Sitze (2017: 246). Die Grünen erhalten 118 Sitze - eine starke Verbesserung im Vergleich zu 2017, da waren es 67. Die FDP 92 (80), AfD 83 (94), die Linke 39 (69).
Auch eine Minderheitenpartei kann für den Bundestag planen: Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) aus Schleswig-Holstein ist von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und kann vermutlich einen Abgeordneten nach Berlin schicken. Als fraktionsloser Abgeordneter könnte der Flensburger Stefan Seidler - ein Vertreter der dänischen Minderheit - ins Parlament einziehen.
Wer künftig regiert? Unklar
Welches Parteienbündnis Deutschland künftig regiert und unter wessen Kanzlerschaft, ist bis auf Weiteres unklar. Erwartet werden komplizierte und vermutlich langwierige Sondierungen und Koalitionsgespräche. So viele Bündnisse wie nie sind möglich. Am wahrscheinlichsten sind wohl eine SPD-geführte Regierung mit Grünen und FDP oder eine Unions-geführte Regierung mit Grünen und FDP. Als Zweierbündnis käme eine erneute Große Koalition infrage, was jedoch aus mehreren Gründen als unwahrscheinlich gilt. Weitere denkbare Optionen: SPD und Union wahlweise mit FDP oder Grünen als drittem Partner.
Auf jeden Fall ist diese Bundestagswahl eine Zäsur. Die Ära Merkel endet nach 16 Jahren - etwas Neues beginnt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik bewarb sich kein Amtsinhaber oder Amtsinhaberin um weitere vier Jahre im Kanzleramt. Drei Parteien konnten sich mit ihren Spitzenleuten berechtigte Hoffnungen auf die künftige Regierungsführung machen. Die Corona-Pandemie dominierte zwar thematisch nicht den Wahlkampf, wirkte sich aber natürlich auf ihn aus.
Insgesamt waren 60,4 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag bei 76,6 Prozent, 2017 betrug sie 76,2 Prozent.