Sachsen Hochburg des Rechtsextremismus

Stand: 28.08.2018 10:41 Uhr

Krawalle in Hoyerswerda, Heidenau und Chemnitz. Der "Trauermarsch" von Dresden. Rekordergebnisse für Rechtsradikale: Dass der Rechtsextremismus in Sachsen besonders stark ist, lässt sich seit Jahren erkennen.

Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder

Im September 1991 belagerten in Hoyerswerda teilweise bis zu 500 Menschen ein Wohnheim für ausländische Vertragsarbeiter sowie eine Flüchtlingsunterkunft. Die Polizei war überfordert, nach Angriffen mit Steinen und Brandflaschen wurden die Vertragsarbeiter schließlich unter dem Jubel von Gewalttätern und Schaulustigen aus der sächsischen Stadt gebracht.

Nach diesem durchschlagenden Erfolg griffen Rechtsextreme ein Flüchtlingsheim in Hoyerswerda an. Auch hier gab der Staat nach, die Flüchtlinge wurden in anderen Städten in Sicherheit gebracht.

Die Ereignisse von Hoyerswerda gelten als Auftakt von rechtsextremen organisierten Krawallen, bei denen mit Gewalt die eigenen Ziele durchgesetzt werden können.

Hochburg der NPD

Sachsen spielt für die rechte Bewegung seit Jahren eine zentrale Rolle: 2004 zog die neonazistische NPD hier mit 9,2 Prozent in den Landtag ein - und blieb bis 2014, als sie mit 4,9 Prozent nur sehr knapp scheiterte. Seitdem ist die NPD noch regional vertreten, die meisten Mandate hat sie in Sachsen. Auch die NPD-Parteizeitung wird hier erstellt, die NPD-Jugendorganisation hat ihren Sitz in Riesa.

Mittlerweile spielt die NPD kaum noch eine größere Rolle. Forscher analysierten aber, dass die AfD nun dort besonders stark ist, wo zuvor die NPD relativ gute Ergebnisse eingefahren hatte. Im Wahlkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge beispielsweise hatte die NPD bei der Bundestagswahl 2013 mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen geholt. 2017 erreichte die AfD dort mit 35,5 Prozent ihr bundesweit höchstes Wahlergebnis - und wurde in Sachsen insgesamt die stärkste Partei.

Rechtsextreme Gewalttaten

Bei der Zahl der rechten Gewalttaten liegt Sachsen seit Jahren bundesweit in der Spitzengruppe. 2017 gab es laut Verfassungsschutzbericht in dem Bundesland 95 Gewalttaten, 2016 sogar 145 und 2015 wurden 201 registriert. Beratungsstellen kommen oft zu höheren Zahlen. Die Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl dokumentieren beispielsweise für das Jahr 2017 bundesweit 1713 flüchtlingsfeindliche Straftaten. In Relation zur Einwohnerzahl führt demnach Brandenburg mit 85 Fällen je Million Einwohner, gefolgt von Sachsen (61 Fälle je Million Einwohner).

Krawalle in Sachsen sorgten immer wieder für Aufsehen: 2016 überfielen mehr als 250 rechte Schläger den Leipziger Stadtteil Connewitz, in Heidenau randalierten Rechtsradikale an mehreren Tagen, in Clausnitz gab es Ausschreitungen, als dort ein Bus mit Flüchtlingen ankam.

Organisationen und Demonstrationen

In Sachsen haben Rechtsradikale seit Jahren gezielt Strukturen aufgebaut. Die NPD wollte als Gegenstück zur "Frankfurter Schule" eine "Dresdner Schule" als Denkfabrik etablieren. Von Sachsen aus agiert der Verein "Ein Prozent" aus dem Umfeld der "Identitären". Verschiedene rechte Verlage haben hier ihren Sitz. Auch der Rechtsrock spielt eine wichtige Rolle, wichtige Labels kommen aus Sachsen. In Ostritz veranstalteten Neonazis am Geburtstag von Adolf Hitler ein Rechtsrock-Festival mit rund 1000 Besuchern, es kam zu Übergriffen auf Journalisten.

Auch bei den von Rechtsextremen genutzten Immobilien liegt Sachsen nach absoluten Zahlen an der Spitze.

Mittlerweile seit Jahren finden in Dresden die "Pegida"-Demonstrationen statt. In den 2000er-Jahren organisierten Rechtsextreme in der Landeshauptstadt jährlich einen "Trauermarsch", der sich zu einer der größten Demonstration von Neonazis in Europa entwickelte - mit bis zu 6500 Teilnehmern.

NSU-Hauptquartier

In Freital gründeten Neonazis eine Terrorzelle. Und in Sachsen hatte auch der NSU sein Hauptquartier: In Chemnitz und Zwickau lebten die Rechtsterroristen - unterstützt durch Neonazis aus der Region - mehrere Jahre und konnten so ihre Anschläge und Morde planen und durchführen.

Die "Skinheads Sächsische Schweiz" war eine "Kameradschaft", die eigene Propagandazeitungen herausgab und für zahlreiche Gewalttaten verantwortlich war. Die SSS wurde im Jahr 2001 verboten und schließlich als kriminelle Vereinigung eingestuft.

"Stabile rechte Milieus"

Viele Wissenschaftler meinen, der Rechtsextremismus habe sich seit Jahren in einigen Regionen längst etabliert. Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich betont dabei die Bedeutung von gewaltsamen Aktionen - und schreibt von einer "Generation Hoyerswerda". Es sei "eine bittere Wahrheit, dass die Fundamente für den heutigen Rassismus und Rechtsextremismus von der 'Generation Hoyerswerda' gelegt wurden", so Begrich. Seit Mitte der 1990er-Jahre hätten sich "in Ostdeutschland stabile und sich bis heute reproduzierende rechte Milieus" entwickelt:

Wer vor mehr als 20 Jahren vor den Asylbewerberheimen randalierte und Migranten angriff, teilt die kollektive biographische Erfahrung, seinen rassistischen Auffassungen mittels Gewalt nicht nur Gehör verschafft, sondern vielerorts auch zum Durchbruch verholfen zu haben. Skepsis und Ablehnung gegenüber den Regularien und Instituten der Demokratie haben in dieser Generation zugenommen.

Begrich warnt, all dies bleibe nicht ohne Folgen. Zwar seien die heute gut 40-Jährigen nicht mehr als Gewaltakteure aktiv. "Aber als Eltern geben sie Einstellungen und Haltungen an jene Generation weiter, die nun auf der Straße handelt."