Pfizer-Studie Wie schwer wiegen die Vorwürfe?
Trotz Vorwürfen gegen die Pfizer-Studie zum Corona-Impfstoff sehen Fachleute die Wirksamkeit des Mittels nicht infrage gestellt. Ein Fachmagazin hatte über Unregelmäßigkeiten bei einem Subunternehmen berichtet.
Falsch etikettierte Proben, nicht korrekt gelagerter Impfstoff, schleppende Reaktionen auf Nebenwirkungen: Die Vorwürfe einer Whistleblowerin zu einer Studie über den Biontech/Pfizer-Impfstoff sind lang. Dennoch meinen Fachleute, es gebe keinen Grund, an der Wirksamkeit des Impfstoffs zu zweifeln.
Worum geht es?
Die Vorwürfe richten sich gegen ein von Pfizer mit klinischen Studien zum Corona-Impfstoff beauftragtes Subunternehmen. Wie das Fachjournal "British Medial Journal" (BMJ) unter Berufung auf eine Ex-Mitarbeiterin des Unternehmens Ventavia berichtet, soll die Firma aus dem US-Bundesstaat Texas im Herbst 2020 bei Studien zum Vakzin von Biontech/Pfizer Daten gefälscht und bei der Nachverfolgung von Nebenwirkungen nachlässig gewesen sein.
Der BMJ-Bericht basiert größtenteils auf Aussagen der früheren Ventavia-Mitarbeiterin Brook Jackson, die allerdings lediglich zwei Wochen lang an den klinischen Studien des Unternehmens zum Corona-Impfstoff beteiligt war, bevor sie entlassen wurde. Kurz vor ihrer Entlassung hatte sie die zuständige US-Aufsichtsbehörde über ihre Vorwürfe informiert. Jackson arbeitet den Angaben zufolge bereits seit vielen Jahren auf dem Gebiet der Forschung.
Jackson wirft Ventavia unter anderem vor, das sogenannte Doppelblind-Verfahren nicht eingehalten zu haben. Bei diesem Verfahren wird sichergestellt, dass weder der Patient noch das medizinische Personal wissen, ob ein wirksames Medikament oder ein Placebo verabreicht wird. Dies soll eine möglichst objektive Bewertung der Studienergebnisse ermöglichen.
Laut Jackson verstieß Ventavia auch an weiteren Stellen gegen Vorschriften, etwa bei der korrekten Lagerung des Impfstoffs. Offenkundig sei das Unternehmen mit den Aufgaben überfordert gewesen.
Zwei weitere Mitarbeiterinnen des Subunternehmens, die anonym zitiert werden, bestätigten Teile der Vorwürfe im Zusammenhang mit den Untersuchungen für Pfizer. Die Arbeit sei so hektisch gewesen, wie sie es sonst nie erlebt habe, sagte eine der anonymen Quellen.
Wie groß ist der Anteil der Probanden?
Bei der klinischen Testung des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer spielte das Subunternehmen Ventavia eine kleine Rolle. Das texanische Unternehmen untersuchte die Wirkung des Impfstoffs an 1000 Testpersonen. Weltweit nahmen 44.000 Probanden an klinischen Studien mit dem Vakzin teil.
Was sagen Fachleute?
Trotz der Vorwürfe sehen Fachleute die Wirksamkeit des Mittels nicht infrage gestellt. Die Angaben über Unregelmäßigkeiten und Fehler reiche nicht aus, "um an der Qualität der klinischen Studie von Biontech/Pfizer zu zweifeln", sagte Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Universität Tübingen.
"Das, was die Whistleblowerin aufgedeckt hat, ist ohne Frage unschön", so Kremsner weiter. Es reiche aber nicht, um die Impfdaten deswegen generell infrage zu stellen. Falls Fehler gemacht worden seien, könne der große Erfolgs- und Zeitdruck in der Pandemie eine Rolle gespielt haben. "Die Gefahr, dass ein Subunternehmen dann womöglich nicht den Qualitätsstandards des großen klinischen Sponsors entspricht, kann in solch einem Fall steigen."
Ähnlich äußert sich Oliver Cornely, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Klinische Studien Köln: Die geschilderten Fehler schränkten "die Aussagekraft der Zulassungsstudie des Impfstoffs nicht ein. Die Untersuchungszentren des Subunternehmens hätten nur 2,3 Prozent der 44.000 Teilnehmer der Studie betreut. Nicht zuletzt zeige sich in den Krankenhäusern jeden Tag, wie gut die Impfstoffe funktionierten: "Wir nehmen kaum geimpfte Personen wegen Covid-19 stationär auf, erkennen also die Wirksamkeit jeden Tag", so Cornely weiter.
Jonas Schmidt-Chanasit kommentierte auf Twitter, so ein Vorfall "untergräbt natürlich das Vertrauen in die Validität der Pfizer-Daten". Deswegen seien unabhängige Studien so wichtig.
Wie ist die öffentliche Reaktion?
In den USA gibt es bislang nur wenig mediale Aufmerksamkeit für die Vorwürfe der ehemaligen Mitarbeiterin. Der Forscher Miguel Hernán warf dem BMJ-Magazin eine unverantwortliche Berichterstattung vor, die den Impfstoff weit schlechter aussehen lasse, als er sei. Die Probleme bei dem Subunternehmen beträfen nur einen sehr kleinen Teil der Studie. Andere Kommentatoren entgegneten, es sei dennoch wichtig, die Probleme zu thematisieren, warnten aber gleichzeitig vor reißerischer Berichterstattung.
In Deutschland berichten verschiedene Medien über den Bericht in dem Fachmagazin. Der russische Staatssender RT Deutsch veröffentlichte einen Kommentar, in dem von den Vorwürfen gegen das Subunternehmen ein Bogen gespannt wird zu Verdachtsmeldungen über Nebenwirkungen. Auch die russische Medienkampagne für den Sputnik-V-Impfstoff griff den BMJ-Bericht auf. Auf dem Twitter-Profil zur Sputnik-V-Kampagne ist von einer Breaking News und einem "Bombenbericht" die Rede.
Wie werden Subunternehmen überprüft?
Oliver Cornely, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Klinische Studien Köln, sagte: Es brauche dringend eine behördliche Inspektion aller Zentren des Subunternehmens. In Deutschland würden "sehr viele Inspektionen von Studienzentren durchgeführt und dadurch eine hohe Qualität gesichert. "Bei uns sind Inspektionen die Regel und nicht die Ausnahme", sagte Cornely.
Peter Kremsner von der Eberhard Karls Universität Tübingen erklärte: "Bei klinischen Studien gibt es zwei wichtige Einheiten: die Studienleitung und den klinischen Sponsor. Letzterer ist hier Pfizer. Der klinische Sponsor ist unter anderem für die Qualitätssicherung der Daten verantwortlich. Kleinere Pharmafirmen, aber zunehmend auch größere, lagern bestimmte Aufgabenbereiche mittlerweile häufig an Subunternehmen aus, die für sie zum Beispiel bestimmte Aufgaben übernehmen. So hat es auch Pfizer gemacht, obwohl das Unternehmen definitiv in der Lage gewesen wäre, alle Aufgaben eines klinischen Sponsors selbst zu übernehmen."
Gibt es Konsequenzen?
Dem BMJ sagte Jackson, sie habe die US-Arzneimittelbehörde FDA über die Verstöße informiert. Die FDA wollte den Vorgang auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP nicht kommentieren. Die Behörde erklärte jedoch, sie habe "volles Vertrauen" in die Daten, die zur Zulassung des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer geführt hätten. Weder Pfizer noch Ventavia reagierten zunächst auf Anfragen von Medien.
BioNTech will den Berichten aus den USA über Unregelmäßigkeiten bei einer Studie zu dem gemeinsam mit dem Partner Pfizer hergestellten Corona-Impfstoff nachgehen. "Die sorgfältige Umsetzung und Datenerhebung in klinischen Studien hat für Biontech höchste Priorität", sagte eine Sprecherin des Mainzer Unternehmens der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Wir nehmen Aussagen, wie die im Artikel gemachten, ernst und prüfen sie umgehend nach der Kenntnisnahme."