Christian Kern
Hintergrund

Wahlkampf in Österreich Wer hat Schuld am SPÖ-Skandal?

Stand: 01.10.2017 20:23 Uhr

Es ist ein schwerwiegender Vorwurf: Die österreichische SPÖ soll Auftraggeber einer antisemitischen Kampagne gegen Herausforderer Kurz von der ÖVP sein. Die SPÖ stellt sich selbst als Opfer dar. Was spricht dafür, was dagegen?

Von Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Es klingt nach einer perfiden Strategie im österreichischen Wahlkampf: Gefälschte Facebook-Accounts sollen ein schlechtes Licht auf den charmanten und smarten Chef der konservativen Partei ÖVP und amtierenden Außenminister, Sebastian Kurz, werfen. Als Initiator der antisemitischen und fremdenfeindlichen Ausfälle sollen die Kreise um die rechtspopulistische FPÖ dastehen.

Von der Schlammschlacht zwischen den beiden Parteien im rechtsgerichteten Spektrum sollte dann die sozialdemokratische SPÖ profitieren. So zumindest die These, die sich aus Dokumenten herauslesen lässt, die der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" und dem Nachrichtenmagazin "Profil" vorliegen. Zwei Wochen vor der Parlamentswahl steht die SPÖ somit als möglicher Finanzier einer üblen Hasskampagne dar.

"Vertrauen missbraucht"

Der SPÖ-Chef und amtierende Bundeskanzler Christian Kern versuchte die Vorwürfe in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Sonntag zu entkräften: "Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass wir mit diesen Inhalten aus diversen Schmutzkübeln nichts zu tun haben wollen." Von Seiten der Partei habe es keine Unterstützung gegeben. Das habe ihm der SPÖ-Bundesgeschäftsführer versichert. Vielmehr sei das Vertrauen der Partei missbraucht worden.

Kern verwies auf den israelischen Politikberater Tal Silberstein, den die SPÖ als Wahlkampfberater angeheuert hatte. Auch ein Partei-Mitarbeiter sei involviert gewesen, gab Kern zu. Als Konsequenz aus dem Skandal war SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbüchler zuvor zurückgetreten.

Keine Zweifel an den Dokumenten

Aus den der "Presse" und "Profil" vorliegenden Dokumenten geht hervor, dass Silberstein mit einem kleinen Team die Schmutzkampagne konzipierte, und zwar neben der offiziellen Kampagne für die SPÖ. Konkret sollen auf Facebook die vorgebliche Fanseite "Wir für Sebastian Kurz" und die antisemitische und fremdenfeindliche Seite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" betrieben worden sein.

"Ich habe nicht die geringsten Zweifel, dass die Dokumente echt sind und die Aussagen im Artikel belegen", sagt Anna Talhammer, die Autorin des "Presse"-Artikels dem ARD-faktenfinder. Aus Gründen des Quellenschutzes könne sie die Dokumente aber nicht veröffentlichen.

In den ihr vorliegenden Unterlagen tauche mehrfach der Name Paul Pöchhacker auf. Er sei eines von drei Mitgliedern der Wahlkampagnenleitung, so Talhammer. Pöchhacker antwortete nicht auf Anfragen der "Presse", er ist seit längerem krankgeschrieben.

Was geschah nach dem 17. August?

Pöchhacker war Verbindungsmann zu Silberstein und übernahm nach dessen Ausscheiden dessen Aufgaben. Silberstein erhielt am 17. August von der SPÖ die Kündigung. Zuvor war er in Israel für einige Tage wegen des Vorwurfs der Geldwäsche festgenommen worden.

Kern erklärte nun bei der Pressekonferenz, nach dem 17. August sei kein Geld mehr an Silberstein geflossen. Alle Mitarbeiter aus Silbersteins Team seien aus der SPÖ abgezogen worden. Doch die Aktivitäten der Facebook-Seiten seien fortgeführt worden. Dabei habe es etwas Bemerkenswertes gegeben, und zwar sei der Ton der Kampagne massiv beschleunigt worden.

In der Kampagne war Sebastian Kurz unter anderem als Mitglied eines "dubiosen politischen Netzwerks" des "Milliardärs George Soros" dargestellt worden. Soros ist als Finanzspekulant und Mäzen bekannt und umstritten. Seine jüdische Herkunft wird dabei in Verschwörungstheorien thematisiert. Der Beitrag zu Soros war tatsächlich nach dem 17. August erschienen.

"Ich beziehe mich da insbesondere auf die antisemitische Propaganda, die hier betrieben worden ist, die ich persönlich zutiefst und aus vollster Überzeugung ablehne, auch deshalb, weil ich ein enges Verhältnis mit Herrn Soros habe", erklärte Kern. Doch auch schon davor habe es rassistische Töne auf den Seiten gegeben, erinnert sich Talhammer. Die Seiten wurden nach Veröffentlichung ihres Artikels offline gestellt.

Schwere Angriffe auch gegen Kern

Auf einen weiteren Umstand wies Kern hin: Auch gegen ihn sei eine Kampagne über die ebenso "brutale" Seite "Die Wahrheit über Christian Kern" gelaufen, die nun ebenfalls offline ist. Zwei Drittel des veröffentlichten Materials bestehe aus Bezichtigungen und Herabwürdigungen gegen seine Person. Auch sei Material aus der SPÖ-Kampagne an die Öffentlichkeit gespielt worden. Er sprach dabei von illoyalen Mitarbeitern und Querverbindungen zu anderen Parteien.

In den sozialen Medien wird spekuliert, dass die Angriffe auf Kern und die SPÖ Teil des perfiden Spiels sein könnten, in dem von Anfang an geplant gewesen sei, die Fake-Seiten zu Lasten der SPÖ auffliegen zu lassen. In diesem Zusammenhang wird auch darauf verwiesen, dass die Facebookseiten den "Presse"-Recherchen zufolge von Kampagnenspezialist Peter Puller befüllt wurden. Er ist in Österreich für zweifelhafte Wahlkampfmethoden bekannt und arbeitete für verschiedene Parteien und Aktionen von der ÖVP über die liberale Partei NEOS bis hin zur Initiative "Stop Extremism" gegen Terrorismus und Extremismus.

Auch investigative Journalisten in Österreich sind sich uneins darüber, was von den Enthüllungen zu halten ist. So schreibt der "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak in einem Kommentar, bei den SPÖ-Verschwörungstheorien handle es sich um eine "Täter-Opfer-Umkehrung". Florian Klenk, Chefredakteur des Wiener Magazins "Falter", twitterte hingegen: "Irgendwas stimmt da nicht mit diesen Facebook-Dreckwerfseiten gegen Kurz und Kern und dem Umstand wie das jetzt inszeniert öffentlich wird."

Ein schmutziger Wahlkampf

Der Wahlkampf wird jedenfalls von weiteren unlauteren Kampagnen begleitet: So beklagte Christian Kern, dass "diverse Dossiers" über Unternehmensbeteiligungen seiner Frau verschickt worden seien. Die Journalistin Anna Talhammer gibt Kern bei diesem Aspekt insofern recht, als dass dessen Frau in Sippenhaft genommen werde und eine Rufschädigung im Raum stehe, während das vorgelgte Material wenig Substanz habe. Deshalb habe bislang aber auch nur eine Boulevardzeitung Material daraus veröffentlicht. Kern gelobte nun Aufklärung über die Verbindungen zu Silberstein und seinem Team. Bei der SPÖ spüre man die Verzweiflung vor der kaum noch abzuwendenden Wahlkampfniederlage, meint Talhammer dazu.

Wer auch immer hinter der Kampagne mit den Facebookseiten steht, die Folgen sind ein vergifteter Wahlkampf und damit eine weitere Erschütterung des Vertrauens der Wählerinnen und Wähler in die Politik.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. Oktober 2017 um 20:00 Uhr.