Mitgliedschaften bei Parteien Von Ein- und Austrittswellen
Wenn Merz nicht CDU-Chef werde, drohe eine Austrittswelle - so warnten dessen Anhänger. Doch die Prognose hat sich mittlerweile als haltlos herausgestellt. CSU und Grüne melden indes Zuwächse; doch wie nachhaltig diese sind, ist unklar.
Zwei Mal hat Friedrich Merz versucht, CDU-Chef zu werden. Zwei Mal ist er damit gescheitert - zuletzt Mitte Januar gegen den aktuellen Vorsitzenden Armin Laschet. Kurz darauf hatte der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion, Christian von Stetten, vor einer "Austrittswelle" gewarnt, sollte der unterlegene Friedrich Merz nicht an "vorderer Stelle eingebunden" werden.
Auf Facebook gab es zudem Behauptungen, dass es nach der Wahl von Armin Laschet zum CDU-Chef zu zahlreichen Austritten gekommen sei. Die Behauptung hatte das Recherchenetzwerk "Correctiv" widerlegt.
Keine Austrittswelle
Trotz der erneuten Niederlage von Merz wendeten sich die CDU-Mitglieder nicht in großen Mengen von der Partei ab - das zeigt eine Umfrage des ARD-faktenfinder unter den Landesverbänden. Man habe keine Auffälligkeiten bei den Ein- und Austritten im Januar und Februar feststellen können, teilte die CDU-Landesgeschäftsstelle in Nordrhein-Westfalen mit. Ähnlich äußerten sich auch die Landesverbände in Schleswig-Holstein, Hamburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. "Von einem Sondereffekt im Zusammenhang mit dem Bundesparteitag kann nicht die Rede sein", teilte eine Sprecherin des CDU-Landesverbandes Baden-Württemberg mit.
Konkrete Zahlen liefert der als Pro-Merz geltende Landesverband Sachsen-Anhalt. Dort traten zwischen dem 16. Januar und dem 15. Februar 38 Mitglieder aus der Partei aus. Zeitgleich begrüßte der Verband 42 neue Mitglieder. Auffälligkeiten seien derzeit nicht bekannt, teilte der Landesverband mit. Ähnlich sieht es in Rheinland-Pfalz aus: 22 neuen Parteimitgliedern stehen 18 Parteiaustritten gegenüber. Auch in Brandenburg und Hessen liegen die Zahlen der Ein- und Austritte nah beieinander. Im Saarland haben nach Angaben des Landesverbandes sieben Mitglieder die CDU aus politischen Gründen verlassen, 18 neue Mitglieder kamen hinzu.
Kampagne für Online-Mitgliedschaften
Die CSU produziert derweil Schlagzeilen mit einem Mitgliederzuwachs. Generalsekretär Markus Blume berichtete von einer Eintrittswelle, wie er sie in den vergangenen zehn Jahren nicht gesehen habe: Die Partei habe weit über 3000 neue Mitglieder innerhalb von einer Woche verzeichnet. Das sei "ein wirklich sehr starkes Zeichen" und zeige auch, welche Bindekraft die CSU deutschlandweit für die Union habe.
Allerdings handelt es sich dabei nicht um reguläre Mitgliedschaften, sondern um sogenannte Online-Mitgliedschaften. Ein Parteisprecher betonte zudem, die Meldungen über die Eintrittswelle bei der CSU hätten am Wochenende zudem Hacker auf den Plan gerufen, die Tausende weitere Fake-Anträge generiert hätten. Diese Fake-Anmeldungen seien wieder aussortiert worden. "Unterm Strich bleibt: Wir freuen uns über mehr als 3000 echte neue Online-Mitglieder innerhalb einer Woche", erklärte der Sprecher.
"Sinnvolles Instrument"
Die CSU bietet seit September 2020 Online-Mitgliedschaften an, bei der man keinem Ortsverband angehören muss. Online-Mitglieder haben damit zwar kein innerparteiliches Stimmrecht, können aber digital mitarbeiten.
Der Parteienforscher Oskar Niedermayer sieht solche Angebote grundsätzlich positiv: Sie seien ein sinnvolles Instrument, um vor allem jüngere Menschen besser zu erreichen und der Überalterung von Parteien zu entgegnen. So sei es für viele jüngere Menschen wenig attraktiv, an Treffen von alteingesessenen Ortsverbänden teilzunehmen, sondern sie wollten sich digital und themenbezogen engagieren.
Forscher Niedermayer hält Online-Mitgliedschaften für ein sinnvolles Instrument.
FDP mit digitalem Landesverband
Neben der CSU bietet beispielsweise die SPD solche Mitgliedschaften an: "Unterstützerinnen und Unterstützer der Sozialdemokratie" können in Arbeitsgemeinschaften und Themenforen mitarbeiten. Die FDP hat bereits seit mehr als 20 Jahren einen "virtuellen Landesverband" - für Bürger, die sich aus dem Ausland engagieren wollen oder viel unterwegs sind - und sich deswegen nicht über Ortsverbände einbringen können.
Im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder betonte Niedermayer, um eine vollwertige Mitgliedschaft auch digital und nicht nur über einen Ortsverband zu ermöglichen, müsste das Parteiengesetz geändert werden, was bereits seit Jahren diskutiert wird.
Grüne vermelden Boom
Die Grünen meldeten zuletzt ebenfalls Mitgliederzuwächse. Nach der Nominierung von Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin verzeichnete die Partei innerhalb von fünf Tagen 2159 Beitrittsanträge. "Die Eintrittswelle in den letzten Tagen ist ein absoluter Rekord in der Parteigeschichte", sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner der Deutschen Presse-Agentur.
Solche Wellen sind in Wahlkampfzeiten nicht ungewöhnlich: Die SPD verzeichnete nach der Nominierung von Martin Schulz 2017 einen echten Boom; auch 2018 vermeldete die Partei zunächst einen starken Zuwachs, als die Basis über die Koalition mit CDU/CSU abstimmen sollte. Doch kurze Zeit ebbte die Welle wieder ab, Tausende verabschiedeten sich wieder.
Parteienforscher Niedermayer erklärt, solche Wellen flachten schnell wieder ab. Oft hätten neue Mitglieder hohe Erwartungen, die schnell enttäuscht würden - so wie nach der Nominierung von Schulz beispielsweise. Dies seien zumeist kurzfristige Mobilisierungsmomente.
Kontinuierlicher Rückgang
Dies zeigt auch die langfristige Entwicklung: Hatte die SPD Anfang der 1990er-Jahre noch mehr als 900.000 Mitglieder, sind es mittlerweile nur noch knapp über 400.000. Die Zahl der CDU-Mitgliedschaften ging in diesem Zeitraum von rund 790.000 auf knapp 400.000 zurück, die der CSU von 186.000 auf 137.000.
Die FDP verlor von knapp 170.000 Mitgliedschaften im Jahr 1990 mehr als 100.000; die Linkspartei schrumpfte von 280.000 auf 60.000 - kann diese Zahl aber seit einigen Jahren zumindest halten.
Grüne und AfD gewachsen
Die Grünen konnten in dieser Zeit die Zahl der Mitgliedschaften hingegen mehr als verdoppeln; sie legten von 41.000 im Jahr 1990 auf nun knapp 110.000 zu. Die AfD hatte 2013 im ersten Jahr ihrer Gründung etwa 17.500 Mitglieder, die Zahl verdoppelte sich bis 2019; für 2020 ist ein Rückgang auf etwa 32.000 verzeichnet worden.
Insgesamt sind seit zehn Jahren insgesamt gut 1,2 Millionen Menschen in den größeren Parteien organisiert, 1990 waren es noch doppelt so viele. Auch kurzfristige Ein- und Austrittswellen haben diesen Wert nicht nachhaltig verändert - trotz kurzfristiger Ausschläge insbesondere in Wahlkampfzeiten.