Parteien bei Facebook Viel Werbung, wenig Transparenz
Alle Parteien nutzen Facebook, um für sich zu werben. Dabei beachte man den Datenschutz genau, heißt es. Doch eine Umfrage für den ARD-faktenfinder zeigt: Über Details wird lieber nicht gesprochen.
"Es geht um Gerechtigkeit oder Rassismus" - so warb die Linkspartei vor der Bundestagswahl. "Mit der AfD zieht Hass und Hetze in den Bundestag", warnten die Grünen. "Jetzt teilen! 12 Jahre sind genug", verbreitete die AfD. Das sind Sätze aus Werbeanzeigen, wie sie im September auf Facebook ausgespielt wurden, um Wähler zu mobilisieren.
Doch nicht jeder Facebook-Nutzer bekam diese Anzeigen zu sehen. So bevorzugten die genannten Parteien Personen im wahlfähigen Alter, die in Deutschland wohnen und die sich mit ihrem Facebook-Profil entsprechend der jeweiligen Partei politisch orientiert hatten. Die enorme Datensammlung der sozialen Netzwerke wie Facebook macht nicht nur das möglich. Die Optionen sind vielfach komplexer. Gesonderte rechtliche Regelungen fehlen hingegen. Wie eine Anfrage des ARD-faktenfinders ergab, bezweifeln Experten die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten für das politische Microtargeting.
Details zu Facebook-Werbung?
Unklar ist zudem, wer alles Wahlwerbung bei Facebook schaltet: Neben den Anzeigen der Parteien gab es zur Wahl Werbung von Landesverbänden, Politikern und scheinbar unabhängigen Gruppen. Es ist noch nicht einmal klar, wie viele Anzeigen die Parteien zur Bundestagswahl allein bei Facebook schalteten - ebenso wenig, wie viel Geld sie dabei ausgaben. Der ARD-faktenfinder wandte sich mit einem Fragenkatalog an alle im neuen Bundestag vertretenen Parteien. Konkrete Zahlen legte keine der Parteien offen.
"Microtargeting" ist ein Begriff aus dem Marketing. Er bezeichnet die gezielte Ansprache bestimmter Zielgruppen durch Werbeformen wie Briefe, Telefonanrufe oder über soziale Medien. In den USA ist Microtargeting etwa per Brief wegen deutlich weniger strengen Datenschutzbestimmungen schon länger üblich.
Über Plattformen wie Facebook ist es mittlerweile auch in Deutschland möglich, sehr spezifische Zielgruppen mit Werbung anzusprechen. Durch die verfügbaren Daten ist das in sozialen Netzwerken wie Facebook besonders gut möglich. Werbung kann hier per Werbeanzeigen-Manager nach Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Standort, Verhalten und zusätzlichen Interessen gefiltert werden. Für das "Microtargeting" können mehrere dieser Merkmale beliebig kombiniert werden.
CDU: Keine Inhalte für einzelne Zielgruppen
Die CDU-Zentrale lehnte eine Angabe zu den konkret bei Facebook getätigten Ausgaben im Wahlkampf ab. Die Partei verwies auf Ausgaben von etwa 20 Millionen Euro für den Wahlkampf generell. Online-Werbung bei Facebook sei entlang regionaler Gebiete (Postleitzahlen-Ebene) geschaltet worden. Alle Werbeschaltungen im Namen der CDU seien zusätzlich als öffentliche Postings ausgespielt worden. Inhalte, die ausschließlich für einzelne Zielgruppen sichtbar gewesen wären, gab es demnach nicht.
Screenshots zielgerichteter Wahlwerbung. Quelle: Facebook/ProPublica
CSU: Passgenaue Ansprache für unterschiedliche Anliegen
Auch die CSU lehnte es ab, die Ausgaben für Facebook-Wahlwerbung im vergangenen Wahlkampf offenzulegen. Die Partei verwies stattdessen auf die geänderten Anforderungen des Wahlkampfs im digitalen Zeitalter. Der moderne demokratische Diskurs könne keine monothematische Massenbeschallung sein: Die Menschen erwarteten zu Recht, dass sich die Politik um ihre Anliegen kümmert. Unterschiedliche Anliegen erforderten zwangsläufig auch eine passgenaue Ansprache, teilte die CSU mit. Im Rahmen der hohen deutschen Datenschutzstandards seien alle Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache genutzt worden, um die Menschen mit den für sie relevanten Themen anzusprechen:
Microtargeting im Allgemeinen und Facebook-Ads im Speziellen bieten dazu neue Möglichkeiten, die wir intensiv genutzt haben.
Die CSU betonte dabei die Bedeutung des Datenschutzes. Den gläsernen Wähler lehne man ab. Der Schutz der Daten der Parteimitglieder, Wähler und Bürger habe "höchste Priorität".
Dark-Ad der CSU mit russischer Botschaft
Im Wahljahr sind nur wenige Fälle bekannt geworden, bei denen Parteien oder Spitzenpolitiker mit "Dark-Ads" experimentierten. Einer davon kommt aus Bayern: Dort tauchten im Frühjahr bei russischsprachigen Facebooknutzern Posts auf, in denen sich unter anderem Horst Seehofer mit einer russischen Botschaft an sie wandte. Auch wenn die CSU die gleiche Botschaft auch auf Deutsch über die eigene Seite postete, die russische Botschaft bekamen nur Menschen zu Gesicht, die sich für die russische Webseite RT interessieren.
Auch der Berliner CDU-Politiker Jens Spahn experimentierte mit gezielten Botschaften. Er wandte sich mit der Frage "Sichere Außengrenzen für ein sicheres Europa. Seht ihr das genauso?" ausschließlich an Sympathisanten der AfD.
Als "Dark-Ads" werden Werbeanzeigen bezeichnet, die ausschließlich einer anvisierten Zielgruppe auf Facebook gezeigt werden. Im klassischen Marketing kann das sinnvoll sein, wenn etwa durch ein Gewinnspiel neue Facebook-Fans gewonnen werden sollen. Dieses Gewinnspiel auch Menschen zu zeigen, die bereits Fan einer Marke sind, würde die Effektivität der Werbung beeinträchtigen.
Für politische Anzeigen ist diese Werbeform hochumstritten, weil sie vor allem für negative Wahlwerbung geeignet ist. Die Firma Cambridge Analytica behauptete nach der US-Wahl 2016, sie hätte für Donald Trump die Wahl entschieden, indem sie potenziellen Clinton-Wählern "Dark-Ads" zeigte, die die Demokratin gezielt bei den jeweiligen Gruppen diskreditierte. So sollten die Wähler frustriert und dazu gebracht werden, am Wahltag zu Hause zu bleiben.
SPD diskutierte bei Workshop "gute Politikwerbung"
Das Facebook-Budget der SPD im vergangenen Wahlkampf wird nicht öffentlich kommuniziert. Die Partei teilte aber mit, dass Facebook bezüglich des Budgets "einer der, wenn nicht der wichtigste Kanal für Onlinewerbung war". Bei Facebook arbeitet die Partei demnach generell mit festen Ansprechpartnern zusammen. Für den Wahlkampf habe man sich mit zwei Facebook-Mitarbeitern mehrfach getroffen, um sich über die Umsetzung von Zielen und Ideen beraten zu lassen. Teil der Beratung war die Teilnahme an einem Workshop mit dem "Creative Shop" von Facebook, wie SPD-Sprecher Tobias Nehren mitteilte: Dabei seien "Best-Practises" vorgestellt worden und gemeinsam sei über Ansätze und Ideen guter Politikwerbung diskutiert worden.
Die Partei habe Werbung auf bestimmte Interessengruppen und Segmente ausspielen lassen, die Facebook zur Verfügung stellte, so Nehren. Unterschieden wurde demnach nach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Interessen und Regionen:
Dabei wissen und wussten wir nie, an wen konkret die Werbung ausgespielt wurde. Microtargeting auf individueller Ebene wurde von uns weder durchgeführt noch angestrebt.
AfD verweigert die Auskunft
Die AfD selbst teilte auf die Fragen des ARD-faktenfinders lediglich mit: "Über parteiinterne Verwendung von Geldern erteilen wir keine Auskunft." Dabei wären Fakten zum Facebook-Wahlkampf der AfD besonders interessant: Laut dem US-Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg ließ die Partei dafür Mitarbeiter der US-Agentur Harris Media einfliegen.
Die US-Berater nutzten demnach für die AfD eine weitere Werbe-Innovation von Facebook: Die sogenannten "lookalike audiences" - übersetzt "Doppelgänger-Publikum": Facebook findet dabei durch Datenabgleich seiner Nutzer statistische Zwillinge für eine bereits bestehende Zielgruppe. Im Fall der AfD suchte das Unternehmen dem Bericht zufolge statistische Zwillinge für die 300.000 Nutzer, welche die AfD-Facebookseite bereits geliked hatten. Errechnet wurden 310.000 Nutzer, die den bisherigen AfD-Fans aufgrund ihres Profils am ähnlichsten schienen, heißt es - mit ähnlichen Interessen und einem ähnlichen Kommentarverhalten. Auch konkrete Nachfragen zur genannten Kooperation im Wahlkampf wollte die AfD nicht beantworten.
FDP nutzte aggregierte und anonymisierte Daten
Die FDP bezifferte das Budget für den Online-Wahlkampf auf zuletzt etwa 500.000 Euro - im Vergleich zum Gesamtetat für den Wahlkampf in Höhe von etwa fünf Millionen Euro. Wahlwerbung bei Facebook erfolgte den Angaben zufolge "auf der Basis aggregierter und anonymisierter Daten". Personenbezogenes Microtargeting verwendete die Partei demnach nicht.
Linke unterscheidet nach "Wohnort, Interessen, Alter"
Auch von der Linkspartei wurden die Wahlkampfkosten für Facebook nicht separat benannt. Für den Online-Wahlkampf seien 450.000 Euro ausgegeben worden - davon ein "kleinerer Teil" für Werbung in den sozialen Medien und damit auch bei Facebook. Eine regelmäßige Unterstützung seitens des Unternehmens Facebook habe es nicht gegeben, sondern lediglich drei Treffen mit Facebook-Mitarbeitern: "Dabei ging es um Sicherheitsaspekte, um Posting-Formate und Zielgruppen sowie um Arbeitsabläufe."
Screenshots zielgerichteter Wahlwerbung. Quelle: Facebook/ProPublica
Facebook-Wahlwerbung der Linkspartei wurde demnach nach "einfachen zielgruppenspezifischen Möglichkeiten" unterschieden: nach "u.a. Wohnort, Interessen und Alter". Welche Merkmale sich unter dem Aspekt "Interessen" verbergen, wollte die Partei aus strategischen Interessen nicht mitteilen. Die Partei betonte die Bedeutung des Datenschutzes:
Wir lehnen alle Methoden ab, die darauf beruhen Daten aus verschiedenen Quellen zusammen zu führen, um individuelle Wählerprofile zu erstellen. Microtargeting haben wir deshalb nicht eingesetzt.
Grüne werben zugeschnitten auf Zielgruppen
Bündnis 90/Die Grünen setzten eigenen Angaben zufolge etwa eine Million Euro im Online-Wahlkampf ein, unter anderem für Facebook-Werbung. Bei der Konzeption habe sich die Partei mit Facebook-Mitarbeitern ausgetauscht. Eine darüber hinausgehende gemeinsame Arbeit mit dem Unternehmen gab es laut Partei nicht. Anzeigen für Facebook seien über den Standard-Werbemanager beauftragt worden und auf bestimmte Zielgruppen - aber nicht für Einzelpersonen - zugeschnitten gewesen. Die Zielgruppen seien nach verschiedenen Kriterien zugeschnitten worden, "wie Alter, Geschlecht, Interessens- und Berufsgruppen und auch Wohnort". Die Größe der Gruppen reichte den Angaben zufolge "von wenigen Tausend bis zu mehreren Millionen".