Menschen stehen am Gedenkort zum Anschlag in Magdeburg vor einem Meer aus Blumen, Kerzen und Plüschtieren
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Anschlag in Magdeburg Wie Sätze des Täters aus dem Kontext gerissen werden

Stand: 27.12.2024 15:23 Uhr

Der Täter von Magdeburg war im Netz sehr aktiv. Nach dem Anschlag wurden vor allem in rechtsextremen Kreisen einige seiner Beiträge mit Blick auf sein mögliches Motiv verbreitet. Doch mehrere davon sind irreführend.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Islamist, Hamas-Sympathisant, Linker: Über Taleb A. und seine möglichen Beweggründe für den Anschlag in Magdeburg wird im Netz wild spekuliert. Denn vor allem auf der Plattform X hat er sehr viel gepostet, mehr als 100.000 Beiträge seit März 2016. Kein Wunder also, dass sein Profil dort schnell in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, nachdem er den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt mit insgesamt fünf Toten und mehr als 200 Verletzten begangen hatte.

Während es von offiziellen Stellen noch keine eindeutige Antwort auf das Motiv des Täters gibt, werden in den sozialen Netzwerken schon viele Behauptungen aufgestellt. Als vermeintliche Beweise werden dafür Screenshots von Postings von Taleb A. verbreitet. Doch unter diesen befinden sich auch einige, die ohne Kontext ein völlig anderes Bild ergeben.

Postings sprechen nicht für Hamas-Unterstützung

Vor allem in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen wird versucht, dem Täter ein Motiv zuzuschreiben, dass den anfänglichen Erkenntnissen, dass Taleb A. offenbar Sympathien für rechte Politiker und Parteien hatte, widerspricht.

Als vermeintliche Belege für ein islamistisches Motiv dienen unter anderem Posts von Taleb A. selbst. So wurde der Screenshot von einem seiner Beiträge weit verbreitet, in dem er anscheinend die islamistische Terrororganisation Hamas unterstützt. In dem Posting heißt es: "Wir werden die Hamas nach Gaza zurückbringen und wenn du magst, können wir die Hamas zu dir nach Hause bringen, damit du einen Geschmack davon bekommen kannst."

Dieser Post wurde auch von reichweitenstarken englischsprachigen Nutzern verbreitet, unter anderem mit der Behauptung, dass Taleb A. ein islamistischer Terrorist sei, der die Hamas und den Islamischen Dschihad unterstütze. Allerdings ergibt sich ein anderes Bild, wenn der Kontext des Postings mit berücksichtigt wird.

Denn der Post von Taleb A. ist eine Antwort auf einen inzwischen gelöschten Beitrag, der sich wiederum auf einen Beitrag des offiziellen israelischen Accounts auf X bezieht. Dabei geht es um israelische Soldaten, die die Pride-Flagge in Regenbogenfarben in der Hand halten. Dazu heißt es unter anderem: "Die erste Pride-Flagge, die jemals in Gaza gehisst wurde."

Zahlreiche Beiträge pro Israel

Es gibt Indizien dafür, dass Taleb A. mit seiner Antwort nicht seine Unterstützung für die Hamas ausdrücken wollte, sondern auf sarkastische Art und Weise dem User mit dem inzwischen gelöschten Post geantwortet hat, der mutmaßlich pro-palästinensisch war. In dem Zusammenhang wäre der Post eher so zu lesen, dass Taleb A. dem Nutzer damit sagen wollte, dass dieser schon merken würde, wie schlimm die Hamas wirklich ist, wenn er selbst an einem Ort leben würde, wo die Hamas herrscht.

Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man sich weitere Beiträge von Taleb A. in Bezug auf die Hamas und Israel anschaut. So schreibt er als Antwort auf einen anderen pro-palästinensischen Post: "Die Herrschaft der Hamas über den Gazastreifen bedeutet, dass Sie die erste Person sind, die für Ihre Schriften hingerichtet wird. Und das zusätzlich zu den Frauen, Schwulen und Atheisten, die mich aus Gaza kontaktieren und mich bitten, ihnen zu helfen, Asyl zu bekommen. Im Gegensatz zu null Menschen aus Israel, die erwägen, Asyl zu beantragen."

In zahlreichen weiteren Beiträgen drückt Taleb A. seine Unterstützung für Israel aus. Die Behauptung auf Grundlage des eingangs erwähnten Postings, er sei Unterstützer der Hamas und daher ein Islamist, erweist sich in dem Zusammenhang zumindest als unwahrscheinlich.

Posting über Wahhabismus aus Kontext gerissen

Ein weiterer Screenshot von einem Beitrag von Taleb A. auf X soll ebenfalls beweisen, dass dieser in Wahrheit Islamist sei. In diesem Posting aus dem Jahr 2016 schreibt er: "Ich war Schiit, aber ich habe festgestellt, dass der Wahhabismus der ursprüngliche Islam ist." Der Wahhabismus ist eine streng konservative Ausrichtung des sunnitischen Islam, die meisten Wahhabiten leben in Saudi-Arabien, wo auch Taleb A. herkommt.

Doch auch bei diesem Posting fehlt der Kontext. Denn insgesamt handelt es sich bei dem Beitrag mehr als 30 Postings, die sich darauf beziehen, dass ihn viele saudische Ex-Muslime fragen würden, ob sie ihren Austritt aus dem Islam auf Twitter verkünden müssten, um in einem westlichen Land Asyl zu erhalten und warum er dies für eine "dumme Frage" hält.

Kritik am "ursprünglichen" Islam

In dieser Abhandlung schreibt er, dass er keinen Unterschied sehe zwischen dem Wahhabismus und dem, was der islamische Prophet Mohammed begründen wollte. Zudem schreibt er, dass aus seiner Sicht alle anderen Formen des Islam weit vom "wahren" Islam entfernt seien. Das deutet darauf hin, dass er mit dem Wahhabismus als "ursprünglichen" Islam nicht zwangsweise meint, dass er diesen unterstützt, sondern dass er diese Auslegung näher an dem sieht, was Mohammed seiner Ansicht nach für eine Vorstellung vom Islam hatte.

In einem zeitlich danach folgenden Post schreibt er unter anderem: "Wir hassen ihren Islam, weil er der ursprüngliche Islam ist." Und dieser ursprüngliche Islam zeichne ein Bild von Mohammed "mit hässlichem Mund und schnarchender Stimme".

In diesem Zusammenhang ist es zumindest unwahrscheinlich, dass Taleb A. ausdrücken wollte, dass er selbst Anhänger des Wahhabismus ist. Vielmehr lassen sich die Tweets so interpretieren, dass er den Wahhabismus als ursprünglichste Form des Islam ansieht, ihn aber für den Inhalt kritisiert. Das deckt sich wiederum mit weiteren Beiträgen und auch Interviews von ihm, in denen er den Islam scharf angreift.

Linker Anhänger von rechtsextremen Verschwörungen?

Eine weitere Behauptung, die aufgrund eines Interviewausschnitts von Taleb A. verbreitet wird, ist, dass er ein Linker gewesen sei. Als vermeintlicher Beweis dient ein Interview von Taleb A. mit der US-amerikanischen RAIR Foundation, in denen er mehrfach sagt, dass er sich als einen Linken sieht. Was fehlt, sind dabei jedoch die Sätze, die er im Anschluss sagt. So behauptet er mehrmals, dass die Linken aus seiner Sicht die schlimmsten Verbrecher auf dem Planeten seien.

Zudem deutet er mehrfach an, dass er mit den heutigen Linken nicht viel anfangen kann und sagt, dass rechtspopulistische bis rechtsextreme Verschwörungsideologen wie Alex Jones oder Tommy Robinson die Wahrheit sagen würden.

In mehreren Posts auf X schimpft Taleb A. ebenfalls über die Linken, schreibt unter anderem, dass sie versuchen würden, Europa zu islamisieren: "Die Politik der offenen Grenzen ist ein krimineller linker Plan." Zudem teilte er einen Tweet von AfD-Chefin Alice Weidel mit den Worten, dass die Linken verrückt seien und lobte hingegen die AfD.

"Versuch der Umdeutung"

Auch in dem Fall ist es somit irreführend, anhand einer Aussage von Taleb A. zu behaupten, dass er ein Linker sei und der Anschlag somit kein rechtes Motiv gehabt haben könnte.

Einige Experten sehen darin eine Strategie: "Man sieht an vielen Stellen sehr klar, dass es einen Versuch der Umdeutung gibt", sagte Karolin Schwarz, Expertin für Rechtsextremismus und Desinformation im Netz, dem #Faktenfuchs vom BR. So wurde von rechtsextremen Kreisen die Behauptung verbreitet, dass es sich in Wahrheit um einen islamistischen Anschlag gehandelt habe, auch wenn die Ermittler etwas anderes behaupten.

In dem Zusammenhang wurde unter anderem die Falschbehauptung verbreitet, der Täter habe Allahu Akbar gerufen, wie ein Faktencheck der Deutschen Welle zeigt. Auch direkt nach dem Anschlag hatten rechtsextreme Akteure zahlreiche Falschbehauptungen aufgestellt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 23. Dezember 2024 um 20:00 Uhr.