Chemnitz-Berichterstattung Maaßen und die Medienkritik
Verfassungsschutzchef Maaßen hat die Kritik an der Chemnitz-Berichterstattung bekräftigt. Speziell stört er sich an einem Video aus dem Netz. Wann und wie wurde dieses Video erstmals gezeigt?
Die Diskussion um die Äußerungen des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, zur Berichterstattung über die rechtsextremen Ausschreitungen Ende August in Chemnitz gehen weiter.
Maaßen hatte sich am 7. September in der "Bild"-Zeitung zu Wort gemeldet. Über das Video, das einen Angriff auf ausländische Menschen nahe des Johannisplatzes in Chemnitz zeigt, sagte Maaßen, es lägen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch sei.
Weiter sagte der Verfassungsschutz-Präsident, dass seiner Bewertung nach gute Gründe dafür sprächen, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handele, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.
"Schnelle Veröffentlichung" kritisiert
Für diese Äußerungen wurde Maaßen heftig kritisiert. Eine Stellungnahme zu den Äußerungen lehnte Maaßen zunächst ab. Am 10. September erklärte Maaßen in einer Stellungnahme an das Bundesinnenministerium, er sei falsch verstanden worden. Zweifel seien angebracht, ob das Video "authentisch" eine Menschenjagd zeige. Dies habe er mit seiner Kritik gemeint.
Unter Berufung auf das Umfeld des Verfassungsschutzpräsidenten hieß es, Maaßen kritisiere "nur noch", dass die schnelle Veröffentlichung des Videos in großen Medien unseriös gewesen sei, weil angeblich niemand die Quelle und die Echtheit der Aufnahme zu dem Zeitpunkt hätte einschätzen können.
Kritik an der tagesschau im Innenausschuss
Am 12. September trat Maaßen dann vor den Innenausschuss, um seine Äußerungen zu erläutern. Dort sprach er ausführlich über Desinformation - beispielsweise aus Russland oder rund um den G20-Gipfel. Zur Begründung der Wortmeldung in der "Bild" verwies er auf die Berichterstattung der Hauptausgaben der tagesschau vom 27. August über die Vorfälle in Chemnitz. Er sprach von einem Bericht über "Hetzjagden", der mit einem Video bebildert worden sei.
Thematisiert wurde auch, warum Maaßen in der "Bild"-Zeitung von Mord gesprochen hatte - obwohl der Haftbefehl auf Totschlag ausgestellt worden war. Dies sei bewusst geschehen, damit Bürger nicht den Eindruck bekommen könnten, dass Tötungsdelikte heruntergespielt würden.
Briefwechsel mit der tagesschau
Am 20. September betonte der Chefredakteur von ARD-aktuell, Kai Gniffke, in einem Brief an Maaßen, dass die im Innenausschuss vorgetragene Kritik an der tagesschau nicht zutreffend sei. Dieser Brief ging an Maaßen selbst sowie an die Obleute der Fraktionen im Innenausschuss.
Mittlerweile ließ Maaßen dieses Schreiben vom Pressesprecher des Verfassungsschutzes beantworten. In diesem Schreiben vom 18. Oktober bezieht sich der Sprecher aber nicht mehr allein auf die Berichterstattung der tagesschau-Hauptausgabe am 27. August - so wie Maaßen es im Innenausschuss getan hatte, sondern nun auch auf die Beschriftung eines Videos in der Mediathek sowie auf Berichte von tagesschau und tagesthemen in den folgenden Tagen.
"100 vermummte Personen suchen Ausländer"
Allerdings hatte es zu diesem Zeitpunkt bereits weitere schwere Ausschreitungen in Chemnitz gegeben, die nun auch Teil der Berichterstattung wurden. Aus einem internen Lagefilm der Polizei ging laut "Frontal 21" hervor, dass es die Polizei Chemnitz am Abend des 27. Augusts mit einer intensiven Bedrohungslage zu tun hatte.
Darin hieß es beispielsweise: "100 vermummte Personen (rechts) suchen Ausländer." Für 21.47 Uhr vermeldet der Bericht: "20 bis 30 vermummte Personen mit Steinen bewaffnet in Richtung Brühl, Gaststätte 'Schalom'".
"Eindruck einer redaktionellen Bewertung"
In dem Brief an ARD-aktuell-Chefredakteur Gniffke betont der Sprecher des Verfassungsschutzes zudem, Maaßen bleibe bei seiner Behauptung, das von ihm kritisierte Video sei zwar technisch nicht manipuliert, aber "inhaltlich in manipulativer Art und Weise verbreitet worden", weil es von einer Antifa-Gruppe im Netz mit dem Titel "Menschenjagd" veröffentlicht worden war.
In der tagesschau vom 27. August sei zwar das Wort "Hetzjagd" im redaktionellen Teil nicht verwendet worden, räumt der Sprecher ein, allerdings werde "durch den Zusammenschnitt" des Beitrags "der Eindruck einer redaktionellen Bewertung des Geschehens erweckt".
Wie hat die tagesschau berichtet?
Das Video wurde erstmals am 27. August in der tagesschau um 14 Uhr in einem Beitrag gezeigt. In der Moderation dazu hieß es:
Bei der Demonstration kam es zu Rangeleien - und auf Videos im Netz ist zu sehen, wie Teilnehmer offenbar Migranten angreifen.
In dem Beitrag spricht die Reporterin dann über Bildern aus zwei Videos aus dem Netz, darunter das von Maaßen kritisierte:
Amateurvideos in den sozialen Medien zeigen Übergriffe auf Menschen mit dunkler Hautfarbe. Die Gewaltbereitschaft vieler Demonstranten hat die Bundesregierung heute scharf kritisiert.
Es folgt ein Originalton von Regierungssprecher Steffen Seibert, der unter anderem von Hetzjagden spricht. Darauf folgt noch der Innenminister von Sachsen, der vor Spekulationen und Gerüchten rund um das Tötungsdelikt warnt, da es bereits zahlreiche Fakes dazu gegeben hatte.
Titel nicht übernommen
In der tagesschau um 20 Uhr lautete die Moderation zu dem Beitrag:
Die Ausschreitungen nach dem Tod eines jungen Mannes in Chemnitz sind von Bundes- und sächsischer Landesregierung scharf verurteilt worden. Stimmungsmache und Hetze von rechts würden nicht geduldet, hieß es. Hunderte waren gestern nach Aufrufen von AfD und anderen Gruppierungen im Netz durch Chemnitz gezogen und hatten auch Ausländer angegriffen. Als Tatverdächtige nach dem tödlichen Streit in der Nacht zuvor wurden heute ein Syrer und ein Iraker in Untersuchungshaft genommen.
In dem Beitrag sind erneut die oben erwähnten Videos aus dem Netz zu sehen, der gesprochene Text dazu lautet:
Amateurvideos in den sozialen Netzwerken zeigen Übergriffe auf Menschen mit dunkler Hautfarbe. Die Gewaltbereitschaft etlicher Demonstranten hat die Bundesregierung heute scharf kritisiert.
Soziale Medien als wichtige Quelle
Maaßen sagte dem Protokoll zufolge im Innenausschuss zudem, man müsse verhindern, dass von "dubiosen" Stellen im Internet Videos bis in die Hauptausgabe der tagesschau kämen.
Soziale Medien sind mittlerweile eine wichtige Quelle für Videos geworden. Entscheidend ist dabei, ob die Bilder authentisch sind, also nicht von einem anderen Ereignis stammen und aus dem Kontext gerissen wurden. Dies lässt sich zumeist durch eine Verifikation der Quelle und Bilder prüfen.
Im Fall des kritisierten Videos gab es trotz der unbekannten Quelle keine Zweifel: Es stammte vom 26. August in Chemnitz - genau wie zahlreiche weitere Videos von diesem Tag, die im Netz kursierten. Eine ausführliche Analyse bestätigte dies noch einmal.
Belege, warum es sich dabei um eine "gezielte Falschinformation" handeln soll, die vom Tötungsdelikt in Chemnitz ablenken sollte, liegen weiterhin nicht vor. Vielmehr hat die tagesschau kontinuierlich weiter über die Ermittlungen berichtet.