Europawahl 2024
Europäische Finanzen Die 150-Milliarden-Euro-Frage
Alle sieben Jahre legen die EU-Staaten fest, wieviel Geld Brüssel wofür ausgeben darf - und wer das bezahlt. Der Brexit wird die EU-Finanzen verändern. Die künftigen Etats bergen Zündstoff.
"Wer zahlt, schafft an." Ein Grundsatz, der auch auf europäischer Ebene gilt. Der Haushalt der EU - pro Jahr rund 150 Milliarden Euro - wird zwar von der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union gemeinsam ausgehandelt und verwaltet.
Das Geld, das letztlich nach Brüssel fließt, stammt aber fast vollständig aus den nationalen Etats und wird im sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen langfristig verplant. Eigene Steuern oder Abgaben darf die EU nicht erheben. Und sie darf, anders als die Mitgliedsstaaten, auch keine Schulden machen. Der zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger betont, die EU selbst sei schuldenfrei.
Alle müssen zustimmen
Wieviel Geld der EU zur Verfügung steht und auf welchen Politikfeldern es schwerpunktmäßig ausgegeben wird, legen die Finanzminister und Regierungschefs alle sieben Jahre in äußerst komplizierten und langwierigen Verhandlungen fest. Kompliziert und langwierig vor allem deshalb, weil am Ende Einstimmigkeit gefordert ist, also alle Verhandlungspartner zustimmen müssen. Dafür müssen die verschiedenen nationalen Interessen unter einen Hut gebracht werden.
Maßgebliche Bezugsgröße ist der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, den die EU-Staaten am Ende in den gemeinsamen Finanztopf einzahlen müssen. Aktuell beträgt die Quote ein Prozent des BIP. Trotz der eindrucksvollen Gesamtsumme sei das eine recht überschaubare Belastung für ein einzelnes EU-Mitglied, findet Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: "Der europäische Haushalt kostet den europäischen Steuerzahler pro Tag eine Tasse Kaffee."
Bauern profitieren am meisten
Investiert werden die Haushaltsmittel in die unterschiedlichsten Projekte und Maßnahmen. Nach Möglichkeit sind das solche, die der Gemeinschaft als Ganzes nützen - Stichwort europäischer "Mehrwert". Dazu gehören zum Beispiel der Ausbau der Infrastruktur, also Straßen, Schienen, Energie- und Kommunikationsnetze, der Schutz der Umwelt oder die Sicherung der Außengrenzen. Neuerdings ist auch die gemeinsame Verteidigung eingeplant.
Aber auch zahlreiche Förderprogramme im Bereich Bildung und Wissenschaft werden von Brüssel mitfinanziert, allen voran das beliebte Studenten-Hilfswerk Erasmus+, das seit über drei Jahrzehnten den Austausch junger Menschen in Europa ermöglicht. Den Löwenanteil des Budgets, mehr als 40 Prozent, machen noch immer die Hilfen für strukturschwache Regionen und die Landwirtschaft aus. Gut 60 Milliarden Euro kommen so in jedem Jahr Europas Bauern sowie dem ländlichen Raum zugute.
Brexit könnte eine Lücke in den Finanzrahmen reißen
Ein Umstand, der schon seit längerem für Kritik sorgt und an dem sich demnächst etwas ändern könnte. Denn durch den Brexit, so Finanzkommissar Oettinger, verändere sich viel. "Und auch neue Aufgaben wie die Migration, Terrorismus oder die Verteidigung sind eine Änderung unserer europäischen Agenda."
Der geplante, zuletzt jedoch verschobene Austritt des EU-Mitglieds Großbritannien könnte eine gehörige Lücke in den künftigen Haushalt reißen. Schätzungen sprechen von bis zu 13 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Fehlbetrag, der sich nicht so einfach durch Kürzen oder Umschichten decken lässt. Schatzmeister Oettinger geht davon aus, dass die verbleibenden 27 EU-Staaten für rund die Hälfte der Summe einspringen müssen. Insgesamt möchte der Schwabe den Budgetrahmen für die nächste Finanzperiode gerne moderat ausweiten, wie er sagt. Und zwar um rund ein Fünftel auf bis zu 1,18 Prozent des BIP.
Deutschlands Zahlungen werden steigen
Für Zündstoff in den anstehenden Verhandlungen ist also gesorgt. Vor allem in Deutschland dürfte der neue Finanzrahmen lebhaft diskutiert werden. Denn auf das Land kommt eine zusätzliche Last von geschätzten drei bis vier Milliarden Euro jährlich zu - der Gesamtanteil Deutschlands an der Finanzierung des EU-Budgets dürfte dann auf 25 Prozent steigen. Ingeborg Gräßle, Vorsitzende des mächtigen Haushaltskontrollausschusses, hat die Entwicklung im Blick, warnt jedoch dringend vor einer Neuauflage der uralten Nettozahler-Diskussion.
Zwei Drittel unserer Exporte gehen in den Binnenmarkt. Damit verdienen wir richtig handfestes Geld. Und von diesem geben wir einen Prozent an die Europäische Union. Ich würde sagen, das ist für uns ein riesiges Geschäft.