Attal kündigt Rücktritt an Linksbündnis gewinnt Parlamentswahl in Frankreich
Die vereinigte Linke hat überraschend die Parlamentswahl in Frankreich gewonnen. Der rechtsradikale RN landet voraussichtlich nur auf Platz drei hinter dem Regierungslager. Premier Attal kündigte seinen Rücktritt an.
In Frankreich ist ein Rechtsruck ausgeblieben. Das links-grüne Bündnis liegt bei der Parlamentswahl nach ersten Prognosen überraschend vorn. Die Neue Volksfront kommt danach auf 172 bis 215 von 577 Sitzen. Die rechtsradikale Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, die auf eine absolute Mehrheit gehofft hatte, würde demnach mit 115 bis 155 Sitzen auf dem dritten Platz hinter das Regierungslager mit 150 bis 180 Sitzen landen. Keiner der drei Blöcke käme laut den ersten Hochrechnungen auf eine absolute Mehrheit.
Premierminister Gabriel Attal vom Mitte-Lager kündigte für Montag seinen Rücktritt an. "Gemäß der republikanischen Tradition und meinen Prinzipien entsprechend reiche ich morgen meinen Rücktritt beim Präsidenten ein", sagte er in Paris.
Es steht Präsident Emmanuel Macron offen, den Rücktritt anzunehmen oder nicht. Gleichzeitig könnte Macron sein derzeitiges Kabinett als geschäftsführende Regierung vorläufig im Amt belassen. Zunächst rief der Präsident in einer ersten Reaktion zur Zurückhaltung bei der Interpretation der Wahlergebnisse auf. "Die Frage ist, wer regieren und wer eine Mehrheit bilden kann", hieß es aus dem Elysée-Palast. Gemäß der republikanischen Tradition werde Macron die Struktur der neuen Nationalversammlung abwarten, bevor er Entscheidungen treffe, hieß es weiter. Der Präsident sei der Garant der staatlichen Institutionen und werde darauf achten, "dass der Wählerwille respektiert werde".
Linke reklamiert Wahlsieg für sich
Der Vorsitzende der französischen Linken, Jean-Luc Mélenchon, beschrieb das Ergebnis als eine große Erleichterung für die Mehrheit der Menschen im Land. Er forderte Premierminister Gabriel Attal zum Rücktritt auf. Mélenchon ist der prominenteste Vertreter der Linken, die sich vor der Wahl zu einem Bündnis zusammengefunden hatten. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte Mélenchon. "Wir haben gewonnen", skandierten Unterstützer des Linksbündnisses. Mélenchon schloss Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit Macrons Lager aus.
Sozialisten-Chef Olivier Faure sprach sich ausdrücklich gegen eine Koalition mit dem Regierungslager aus. "Die Neue Volksfront muss diese neue Seite unserer Geschichte in die Hand nehmen", sagte Faure. Das Bündnis habe eine "immense Verantwortung". Faure betonte, dass die Rentenreform, die das Rentenalter auf 64 Jahre angehoben hatte, abgeschafft werden solle. "Es ist an der Zeit, die Superreichen und die Supergewinne zu besteuern", erklärte er.
RN überraschend deutlich auf die Plätze verwiesen
In einer ersten Reaktion bezichtigte der Chef des Rassemblement National, Jordan Bardella, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Frankreich "in die Arme der Linksradikalen gestoßen" zu haben. "Nachdem er freiwillig unsere Institutionen gelähmt hat, treibt Macron das Land in die Unsicherheit und Instabilität", so Bardella. "Das Bündnis der Schande und die Wahlabsprachen, die Macron mit linksradikalen Gruppen getroffen hat, berauben die Franzosen heute Abend einer Politik des Aufschwungs, die sie mit großer Mehrheit befürwortet hatten." Er kündigte an, seine Partei werde ihre Arbeit weiter verstärken.
Aus der ersten Wahlrunde vor einer Woche waren die Rechtsextremen noch als stärkste Kraft hervorgegangen. Heute schien es vielen Französinnen und Franzosen darum zu gehen, eine absolute Mehrheit des RN in der Nationalversammlung zu verhindern. Im Vorfeld hatten in mehr als 200 Wahlkreisen die Bewerber der Regierungspartei sowie des Linksbündnisses ihre Kandidatur zurückgezogen, um den jeweils anderen Kandidaten keine Stimmen wegzunehmen und so einen Durchmarsch des RN zu verhindern. Teils gaben sie auch eine Wahlempfehlung gegen den RN ab. Diese Strategie ging nun offenbar auf.
Früh hatte sich eine historisch hohe Wahlbeteiligung abgezeichnet: Schon am Mittag lag sie so hoch wie zuletzt bei der Parlamentswahl 1981, die damals auf die Wahl des Sozialisten François Mitterrand zum Präsidenten folgte. Drei Stunden vor Schließung der Wahllokale hatten dann bereits rund 60 Prozent aller Berechtigten ihre Stimme abgegeben. Zum Vergleich: Bei der letzten Parlamentswahl hatte die Wahlbeteiligung zum selben Zeitpunkt bei gerade einmal 38 Prozent gelegen.
Politischer Stillstand befürchtet
Das Regieren wird für Präsident Emmanuel Macron, der bis 2027 gewählt ist, deutlich schwieriger werden. Frankreich droht nun die politische Lähmung, denn künftig gibt es in der Assemblée Nationale drei politische Blöcke: Rechtsextreme und Konservative, das Mitte-Lager der Regierung und das Linksbündnis. Neuwahlen sind binnen eines Jahres ausgeschlossen.
Mit dem Ergebnis ergeben sich verschiedene Zukunftsszenarien. Die Linken könnten versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen - entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Großen Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte.
Ministerpräsident Attal hatte sich im Vorfeld der Wahl dafür ausgesprochen, Ad-hoc-Allianzen von Parteien der Mitte, der Linken und aus dem Kreis konservativer Abgeordneter zu bilden, um über einzelne Gesetzesvorhaben abzustimmen. Eine Koalitionsregierung wäre indes ein Novum. Solche Allianzen hat es in Frankreich wegen der starken politischen Polarisierung in der jüngeren politischen Geschichte des Landes bislang noch nicht gegeben.
Unklar ist noch, ob Macron anschließend politisch gezwungen wäre, einen Premier aus den Reihen der Linken zu ernennen. Bei einem Regierungschef aus dem linken Lager müsste Macron Macht teilen. Was dies für Deutschland und Europa hieße, ist unklar. Das Linksbündnis vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen. Klar scheint aber, dass Macron selbst in einer Koalition mit den Linken nicht ungehindert seinen Kurs fortfahren könnte, sondern gezwungen wäre, etliche Kompromisse einzugehen.
Warnungen vor dem Erstarken der Rechten
Macron hatte die Neuwahl überraschend nach dem Triumph des RN bei der Europawahl am 9. Juni ausgerufen. Hätten die Rechtsradikalen die absolute Mehrheit geholt, wäre Macron wohl politisch gezwungen gewesen, deren Parteichef Jordan Bardella zum Regierungschef zu ernennen. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen.
Landes- und europaweit war vor einem Erstarken der Rechtsextremen in Frankreich gewarnt worden. Für Aufsehen sorgte unter anderem ein Appell des Kapitäns der französischen Fußball-Nationalmannschaft, Kylian Mbappé. Am Rande der Europameisterschaft in Deutschland hatte Mbappé seine Landsleute explizit dazu aufgerufen, dem RN die Stimme zu verweigern. "Es ist eine brenzlige Situation. Wir dürfen nicht erlauben, dass unser Land in die Hände dieser Leute fällt", hatte der 25-Jährige gesagt. "Ich hoffe, dass sich am Ergebnis noch etwas ändert und dass die Leute die richtigen Parteien wählen."
Angst vor Ausschreitungen
Der kurze, nur dreiwöchigen Wahlkampf wurde von Gewalt überschattet. Laut Innenminister Gerald Darmanin kam es zu mehr als 50 tätlichen Angriffen auf Kandidaten und Wahlkämpfer. Einige Luxusboutiquen entlang des Pariser Prachtboulevards Champs-Elysees hatten vor dem Wahlabend aus Furcht vor Ausschreitungen ihre Schaufenster vorsorglich verbarrikadiert. Die Sicherheitskräfte haben sich auf etwaige Unruhen vorbereitet: 30.000 Polizisten wurden mobilisiert, 5.000 Beamte sollen laut Darmanin alleine in Paris und den Vororten der Hauptstadt zum Einsatz kommen.