Wenig Hoffnung auf Wiedervereinigung in Zypern "Die stärksten Mauern sind nicht die sichtbaren"
20 Jahre sind seit dem Mauerfall in Deutschland vergangen, seit Langem wird auch im geteilten Zypern über eine Wiedervereinigung verhandelt. Seit 1974 steht der Nordteil der Insel unter türkischer Kontrolle. Durch die Hauptstadt Nikosia verläuft eine Mauer. Und die Bestrebungen in Richtung Wiedervereinigung kommen nicht recht voran.
Von Ulrich Pick, ARD-Hörfunkstudio Istanbul
Nikosia im türkischen Nordtteil: Wenige Meter vom Übergang Lokmaci entfernt hat Ahmet Sinanoglu seinen Lederwarenladen. Der 51-jährige Zyprer freut sich, dass die Grenze auf der geteilten Mittelmeerinsel durchlässiger geworden ist. Die Annäherung der vergangenen Jahre, sagt er, habe seinen Umsatz steigen lassen: "Zwischen den beiden Volksgruppen gibt es keinen Streit. Es sind die Politiker, die streiten", sagt er. Und er berichtet: "Es ist schon über ein Jahr her, dass dieser Grenzübergang geöffnet worden ist, und schon mehr als drei Jahre ist der Übergang Ledra-Straße geöffnet. Nie hat man gesehen oder gehört, dass sich die Leute geprügelt hätten oder so."
Grenzposten in der Stadt: Nikosia ist noch immer geteilt.
"Lieber zwei getrennte Staaten"
Zugehört hat Ekrem Özcan, der den Nachbarladen führt. Der grauhaarige Mann blickt skeptisch. Auch wenn die beiden sogenannten Volksgruppenführer, Dimitris Christophias und Mehmet Ali Talat, bereits seit rund 14 Monaten über eine Wiedervereinigung verhandelten, sagt er, halte sich der Optimismus auf Zypern in Grenzen.
Zu tief säßen die Enttäuschungen der vergangenen Jahre. Denn die Inselgriechen würden den Türken immer wieder zeigen, dass diese nur die Minderheit seien und letztlich die Meinung der Mehrheit akzeptieren müssten. Und während Sinanoglu zustimmend nickt, ergänzt Ekrem Özcan: "Ich bin dafür, in zwei getrennten Staaten zu leben. So etwas ziehe ich vor. Ich erinnere mich sehr wohl an die Zeit vor 1974 und glaube daher nicht an ein Miteinander mit den griechischen Zyprern. Lieber zwei getrennte Staaten."
"Meine Hoffnungen sind eher gering"
Ist dieser Pessimismus eine typisch türkische Haltung oder gilt er für die gesamte Insel? Um das herauszufinden, fahre ich über die innerstädtische Grenze südwärts in den griechischen Teil Nikosias. Es dauert lange, bis sich jemand bereit erklärt, ins Mikrofon zu sprechen. Die Leute sind neugierig, was der Reporter wissen möchte, doch zum Thema Wiedervereinigung will sich niemand öffentlich äußern.
Dann aber überwindet sich ein junger Mann, der seinen Namen mit Jorgos angibt: "In den vergangenen 30 Jahren habe ich keine großen Hoffnungen gehabt, obgleich ich Flüchtling bin", sagt er. "Ich komme aus Kyrenia im Norden. Somit habe ich eigentlich einen Grund mehr, eine Lösung zu finden. Aber: Meine Hoffnungen, dass eine Einigung gefunden wird, sind eher gering."
"Die Gespräche führen nirgendwo hin"
Die Äußerung scheint die Zurückhaltung gebrochen zu haben. So nähert sich ein älterer Herr mit Glatze und Sonnenbrille, der bislang an der Theke eines Kiosks stand. Väterlich legt er Jorgos seine rechte Hand auf die Schulter und nickt mit dem Kopf, als wolle er ihn bestätigen. Dann teilt er seine eigene Meinung mit: "Wir dürfen keine großen Hoffnungen hegen, wenn einige sagen: bis Dezember oder 2010. Denn es ist bereits sichtbar geworden, dass die Gespräche nicht gut laufen und nirgendwo hinführen." Und er fügt hinzu: "Das Schlimmste ist: Christofias und Talat reden über unwichtige Themen. Wenn man die zentralen Probleme nicht auf den Tisch zu bringen wagt, kann man nicht hoffen, das es eine Lösung gibt."
Auch im griechischen Teil der geteilten zyprischen Hauptstadt, so scheint es, stehen die Zeichen für eine Wiedervereinigung nicht gut. Stimmt es also doch, was zuvor Festlandsgriechen und -türken erzählt hatten? Sie sprachen beide von einer ausgesprochen skeptischen Stimmung auf Zypern sowie von vielen gegenseitigen Vorbehalten.
Die Mauern in den Herzen zerstören
Kurz bevor ich in den türkischen Nordteil der Insel-Hauptstadt zurückgehe, bekommt die Sache dann doch noch einen anderen Aspekt. In der Ledra-Straße, der Haupteinkaufsmeile von Nikosia, setze ich mich in ein Café. Hier treffe ich den Dozenten Dimitrios - und der beleuchtet die Teilung Zypern noch einmal neu: "Die stärksten Mauern sind nicht diejenigen, die wir sehen können. Es sind diejenigen, die wir in unseren Herzen, in unserem Inneren haben", sagt Dimitrios, "und ich denke, wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen, diese Mauern zu zerstören und zu beseitigen - also die Mauern in unserer Vorstellung und nicht die realen."